Выбрать главу

Schon vom ersten Kauf an hatte Carl sich vorn an die Reling gestellt und jeden der Fische gesichtet, die an Deck gereicht wurden. Er hatte Mary angehalten, Skizzen zu machen, sich Form und Farben zu notieren. Noch immer fiel es ihm schwer, ihr Aufgaben zu übertragen, ihr Anweisungen zu geben, manchmal ertappte er sich sogar dabei, dass er ihr aus dem Weg ging. Er konnte nicht umhin, sie als Frau wahrzunehmen, und musste sie doch als Mann ansprechen. Konzentration erforderte dieser Umgang, gelegentlich nahm er nahezu groteske Züge an. Bei fast jedem Satz, mit dem er sich an sie wandte, betonte er ihren Namen: Marc. Immer wieder Marc. Marc, könntest du … Marc, würdest du … Und so war auch der Auftrag, die Fische zu skizzieren, mit Marc eingeleitet worden. Der Smutje hatte die Augen gerollt, als er gehört hatte, dass erst der Zeichner ans Werk gehen würde, und sich dann doch damit abgefunden, dass ihm eine Vielzahl der Fische erst später, nach Abschluss der ersten Arbeiten, in die Kombüse gebracht wurde.

»Der Zuckerhut! Der Zuckerhut!« Die Stimme des Schiffsjungen, der im Krähennest Ausschau hielt, verursachte Carl eine Gänsehaut. Der Seehafen von Rio de Janeiro tauchte vor ihnen auf. Er zwängte sich zwischen die Männer, schob ein wenig mit der Schulter und drängte mit der Hüfte, bis er einen Platz ergattert hatte, der ihn die Küste überblicken ließ. Uneinnehmbar, dachte er, als er wenig später den Seehafen erblickte. Diese Stadt ist uneinnehmbar.

Die feinsandige Bucht südlich des Zuckerhuts wurde mit einer Geschützabteilung von mehr als zwanzig Kanonen abgedeckt. Am Fuße des Berges konnte er in einer Landenge ein steinernes Fort erkennen, das ebenfalls mit Kanonen versehen war, die nur dem Zwecke dienten, einfahrende Schiffe treffen zu können. Am Eingang der Bucht konnte er Fort Lozio ausmachen, die sechseckige Festung aus Stein, die man auf einen Felsen gebaut hatte. Rings um die Bucht waren weitere Kanonen an strategisch wichtigen Positionen aufgestellt. Carl schüttelte den Kopf. Eine bis an die Zähne bewaffnete Stadt. Seine Exzellenz Dom António Rolim de Moura hatte Kapitän Cook das Leben schwergemacht. Ob er noch der königliche Statthalter Brasiliens war?

Wenig später ruderte ein Boot mit zehn Riemen auf die Sailing Queen zu, zehn bewaffnete Soldaten und zwei portugiesische Beamte an Bord. Carl beugte sich vor, um die Männer besser sehen zu können. Sie reagierten nicht auf die Zurufe der Seeleute, freundliche Grußworte in holprigem Spanisch. Schweigend kamen die Beamten an Bord und verschwanden mit Kapitän Taylor in dessen Kajüte, während das Boot mit den bewaffneten Soldaten vor der Sailing Queen auf- und abschaukelte.

Als die Beamten das Achterdeck wieder verließen, beobachtete die versammelte Mannschaft, dass die Pinasse hinabgelassen wurde und dass der Kapitän die Seitenstufen der Bordwand mit den Fremden hinabkletterte. Kaum waren die beiden Boote außer Hörweite, machte die Nachricht die Runde: Eine Audienz hatte der Kapitän, beim Statthalter persönlich, und der Mannschaft war offiziell untersagt worden, das Schiff zu verlassen.

Die Sonne schien in die Offiziersmesse und warf die Schatten der Fensterkreuze auf den Tisch. Carl fuhr mit seinem Blick die harten Konturen nach.

Ihm gegenüber saßen Mary und Franklin, Peacock lief vor dem Kamin auf und ab. Selbst Doc Havenport hatte sich zu ihnen gesellt. Zwei der Offiziere hatten den Kapitän begleitet, die verbliebenen sorgten an Deck dafür, dass es nicht zu Unruhen unter der Mannschaft kam. Schnell hatte die Nachricht zu Aggressionen geführt. Einige der Seeleute hatten beschlossen, sich nicht den Vorschriften des Statthalters beugen zu wollen, und das Beiboot zu Wasser gelassen. Carl war sich nicht sicher, ob für dieses eigenmächtige Handeln nicht noch die neunschwänzige Katze zum Einsatz kommen würde.

»Man hätte St. Egremont auf den Falkland-Inseln anlaufen sollen«, sagte Doc Havenport in das Schweigen hinein. Mit geschürzten Lippen zwirbelte der Arzt die Spitze seines Bartes.

»Es heißt Port Egmont, und wisst Ihr überhaupt, wie weit das noch entfernt ist? Zudem sind dort die Möglichkeiten einer Bevorratung schlechter«, entgegnete Franklin.

Carl hörte aus der Antwort seines Gehilfen einen gereizten Unterton heraus. Seit dem Streit der beiden Männer konnte Franklin keinen Satz des Schiffarztes ohne Kommentar stehen lassen. Meist entstanden Wortgefechte, die Carl amüsierten, jetzt strengten sie ihn an. Wir müssen bald wieder irgendwelche Tinkturen und Pillen bestellen, befand er im Stillen, damit Doc Havenport genug Grund hat, sich in seiner Kajüte zu vergraben.

Mit Daumen und Zeigefinger strich er sich kurz über die Augenbrauen. Ein leichter Druck war in seiner Stirn zu spüren, der bis unter die Schädeldecke ausstrahlte. Es würde nicht mehr lange dauern, und ein satter Kopfschmerz würde daraus erwachsen. Er sah auf. Still saß Mary ihm gegenüber, doch nichts schien ihr zu entgehen, nicht einmal zwei Finger, die sich über eine Stirn schoben. Carl schüttelte nur kurz den Kopf, eine Andeutung, dass es keinen Grund zur Besorgnis gab. Sie nickte und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch.

»Ja, aber um was geht es denn hier? Was will der Statthalter von Kapitän Taylor?« Peacock blieb stehen, schaute in die Runde und zupfte gedankenverloren an der Ecke eines zerknüllten Taschentuchs herum.

»Das geht schon seit Jahren so. Immer wieder beruft sich der Statthalter auf den König Portugals, dessen Befehle er angeblich ausführt. Er meint, jedes Schiff würde in seinem Hafen die gleiche Behandlung erfahren, was nachweislich nicht der Fall ist. Die Besatzungen spanischer Schiffe können sich hier frei bewegen, während englische Schiffe unter Aufsicht gestellt werden. Unseren Handelsschiffen wird häufig Schmuggel oder gar Spionage vorgeworfen«, antwortete Carl.

Der Astronom schnappte nach Luft. »Spionage? Was sollen wir denn hier spionieren?«

»Wir könnten uns beispielsweise für die Festungsanlagen der Stadt interessieren.«

»Aber wir sind doch nicht das erste englische Schiff, das hier anlegt. Jedes vor uns könnte doch die Bewaffnung längst erfasst und weitergegeben haben.« Peacocks Stimme kletterte in unangenehme Höhen.

»Derweil könnte man durchaus Veränderungen an den Befestigungen der Stadt vorgenommen haben. Spionage ist ein laufendes Geschäft, das dazu dient, jede Veränderung und Neuerung des Gegners auszukundschaften.«

»Auch wenn dem so ist, der Vorwurf ist absurd«, warf Franklin ein, die Arme vor der Brust verschränkt.

»Ja, das ist es auch. Meist erhalten die Schiffe letztlich auch den gewünschten Proviant und können dann weiterreisen.«

»Will der Statthalter auf diese Weise die Preise in die Höhe treiben?« Es war die erste Frage, die Mary in die Unterhaltung einbrachte. Ihrer Stimme fehlten Peacocks Entsetzen und Franklins Hohn. Es war eine klare Frage, ruhig formuliert.

»Vielleicht spielt das eine Rolle, aber ich denke, dass es hier schlichtweg um Schikane geht.« Carl erhob sich und lief zum Fenster hinüber. »Ich hätte eine Idee, wie wenigstens unsere Forschungen nicht zu sehr unter diesen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit zu leiden hätten.« Er nickte und war sicher, dass der Plan funktionieren könnte.

Und vor dem Fenster lockte sattgrün und erdbraun das fremde Land.

***

Ein jeder an Bord hatte schlechte Laune, selbst Seth fühlte die Wut in seinem Bauch. Sie rumorte laut und deutlich. Anstatt eines Landgangs hatte man erneut das große Reinemachen ausgerufen. Das Polieren, Wischen und Schrubben trug nicht gerade dazu bei, seine Stimmung zu heben. Übellaunig schaute er zum Land hinüber. Was war das für ein schwarzer Schatten? Er blinzelte und schirmte mit der Hand das Sonnenlicht ab.