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Ein Feuer brannte. Daneben saßen dicht aneinandergedrängt auf einem Baumstamm, die Ölplane um die Schultern gelegt, seine drei Gefährten. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Carl der Anblick amüsiert, doch jetzt wünschte er sich nur, ebenfalls unter die Plane zu klettern.

»Oh, ein Geier«, rief Bartholomäus erstaunt aus.

Carl ließ den Vogel auf den Boden fallen. »Ja, mehr war in der Dunkelheit nicht zu holen.« Seine Stimme klang flach vor Wut, aber er konnte nicht aus seiner Haut. Es war sein Verschulden, dass sie die Nacht hier verbringen mussten. Der Kälte, dem Wind und dem Schnee ausgesetzt. Und mit einem Geier, einem jungen, mageren Vogel dazu, würden sie den Hunger kaum lindern können. Er ging vor dem Feuer in die Knie und hielt seine Hände vor die züngelnden Flammen. Das war also der Spätsommer auf Feuerland.

»Er ist noch warm«, sagte Carl, zog sein Messer und schnitt dem Vogel die Kehle durch. Er ließ das Blut in eines der Sammelgläser hineinlaufen, bis es halb gefüllt war, und hielt es Randy hin. Der verzog das Gesicht, wodurch seine Nase noch schiefer wirkte.

»Trink«, sagte Carl. »Das kann uns das Leben retten. Wer weiß, wie lange wir ohne Nahrung auskommen müssen.«

Das Blut schwappte im Glas, als der angehende Offizier danach griff. Er hielt die Luft an und nahm einen Schluck. Angeekelt wischte er sich mit der Hand den Mund aus und gab den Trank an Bartholomäus weiter.

»Nimm vom Schnee, damit kannst du den Mund spülen«, riet Mary dem Midshipman.

Bartholomäus nippte und würgte, sog die Luft ein und nahm einen Mundvoll. Dann langte Mary nach dem Glas und trank mehrere Schlucke. Als sie Carl das Glas herüberreichte, berührten sich beider Finger. Sie hat warme Hände, das beruhigt mich, bemerkte er und schaute in das Glas. Ein Spiegel Flüssigkeit, der im Schein des Feuers fast braunschwarz glänzte. Die Kälte setzt auch mir zu, ich sitze hier und mache mir über die unsinnigsten Dinge Gedanken. Er trank. Das Blut hinterließ einen metallischen Geschmack auf der Zunge und rann lauwarm seine Kehle hinab. Nicht unangenehm, nur ungewöhnlich, in jedem Fall unvergesslich.

Heißes Wasser. Hätte er den Geier in heißes Wasser legen können, hätten sich die Federn leichter lösen lassen. Mühselig hatte er sie stattdessen gerupft und über dem Feuer die restlichen Haare geflammt. Carl streckte ein Bein des Vogels, bis das Gelenk deutlich hervortrat. Mit mehreren Schnitten durchtrennte er die Sehnen und Bänder am Fersengelenk. Mit zwei Fingern hob er die Haut über dem Kropf und rieb sie gegeneinander. In die Haut stieß er das Messer, ein sorgfältiger Schnitt, dann zog er die hellen Lappen nach links und rechts auf. Den nun freiliegenden Kropf, die Speisewie auch die Luftröhre zog er mit einer kreisenden Bewegung heraus. Unter dem Brustbein schnitt er den Bauch auf, behutsam, um nicht den Darm zu treffen. Mit der Klinge löste er die Bauchdecke und entfernte die Innereien samt Darm. Am Ende rieb er den Vogel mit Schnee ab, dann nahm er das Tuch, in das der Zwieback eingeschlagen gewesen war, und hüllte die magere Beute darin ein.

»Wir sollten den Vogel erst morgen früh aufbereiten. Ist das in eurem Sinne? Ich denke, wir brauchen vor dem Marsch eine Stärkung«, schlug Carl vor, und die anderen nickten.

»Dann lasst uns schlafen. Wer übernimmt die erste Wache?«

Carl schlug die Augen auf. Es war dunkel und kalt. Dicht über sich sah er Mary, der Schein des Lagerfeuers warf Schatten über ihr Gesicht. Weshalb, fragte er sich schlaftrunken, war ihm in den ersten Wochen nie aufgefallen, dass ihr Kinn trotz des Grübchens viel zu schmal und der Mund wiederum zu voll und sinnlich war? Offensichtlich genügten Hose, Hemd und ein paar derbe Schuhe, um die Wahrnehmung zu trüben.

»Wachwechsel«, flüsterte sie.

Mühsam streckte Carl die ausgekühlten Beine durch. Linkerhand lag Bartholomäus, in der Mitte, direkt vor ihm, Randy Hall.

»Da. Da …«, flüsterte Mary plötzlich und richtete ihren zitternden Finger auf den Midshipman.

Carls Herz machte einen doppelten Schlag. Er packte den Mann an der Schulter und riss ihn herum. Die Augen waren geöffnet, der Blick gebrochen. Wenn es einen Gott gibt, werde ich im Fegefeuer schmoren, brüllte es in ihm auf. Es sind zu viele. Wir verlieren auf dieser Fahrt zu viele Männer. Es ist, als würde ein Fluch auf unserem Schiff liegen.

»Dich trifft keine Schuld.«

Carl schaute die Frau an seiner Seite an. Die dunklen Augen hielten seinen Blick fest. »Nein, ich weiß. Mich trifft keine Schuld, dass wir uns verlaufen haben, und mich trifft auch keine Schuld, dass ein Mann auf einer Expedition unter meiner Leitung zu Tode gekommen ist.« Er langte sich an die Stirn, sein Kopf schmerzte wieder. Schlagartig und berstend.

»Genauso ist es. Randy war betrunken. Und heute nicht das erste Mal. Der Alkohol hat ihn geschwächt.«

»Wenn es so einfach wäre.«

»Es ist so einfach. Du denkst, dass wir deinetwegen hier in der Wildnis sitzen. Aber dem ist nicht so. Keiner kennt den Weg zum Schiff. Wir leben, und wäre er kein Säufer gewesen, er hätte die Nacht überlebt.«

Bartholomäus schnarchte laut auf.

Carl und Mary schwiegen kurz und erhoben sich gleichzeitig. Sie beugten sich und hoben Randy Hall an.

Das Knacken der Zweige, vielleicht auch die Kälte, die Bartholomäus nun vollständig umfing, ließ ihn erwachen. Es dauerte einen Wimpernschlag, bis er sich orientiert hatte und begriff, was das Bild, das sich ihm bot, bedeutete. Vor ihm standen Carl und der Zeichner Marc, die den vierten Mann der Exkursion, an Armen und Beinen gepackt, trugen.

»Er hatte Brustschmerzen. Die hat er versucht, mit Grog zu betäuben. Immer wieder.« Bartholomäus räusperte sich, seine Stimme war belegt. »Kaum einer hatte mit ihm zu schaffen. Er war ein Trinker, aber ein wirklich netter Kerl. Einsam halt.«

Carl schaute dem Mann, der vor seinen Beinen in der Luft baumelte, ins Gesicht. Morgen, wenn sie mehr Licht haben würden, suchte er sich zu beschwichtigen, könnten sie ihn beisetzen. Mit Anstand und Würde. Etwas abseits des Feuers legten sie ihn ab.

»Lasst mich die Wache übernehmen. Schlaft ein wenig.« Bartholomäus kniete sich neben Randy Hall.

Carl sank auf das Öltuch, und Mary setzte sich neben ihn.

»Können wir zusammenrücken, damit wir uns beim Schlafen wärmen?«, fragte Carl und schämte sich, dass er auf einen Moment Nähe hoffte.

Sie rutschten näher aneinander und sagten kein Wort mehr.

***

Es war aufgeklart. Sterne waren zu sehen. Grau schob sich der eigene Atem, sobald er in die kühle Luft aufstieg, ins Blickfeld. Mary neigte den Kopf zur Seite. Carls Augen waren geöffnet, das Gesicht dem Himmel zugewandt. Seine Hüfte berührte die ihre. Gern hätte sie seinen Kopf an ihre Schulter gezogen, ihre Wange an ihn geschmiegt und ihm über das wirre Haar gestrichen. Ihm ein wenig seines Schuldgefühls genommen. Gern hätte sie ihn daran erinnert, dass sie die Übernachtung vorgeschlagen hatte, doch sie wusste, dass dieser Einwand zwecklos war.

Bartholomäus gab Reisig ins Feuer. Laut knackte das trockene Holz, als das Feuer nach ihm langte.

Mary drehte sich um, spürte Carls Wärme und schloss die Augen, ohne Schlaf zu finden.

Feuerland, 8. Dezember 1785

Fünf Happen zähes Fleisch für jeden. Mehr gab der Geier zum Frühstück nicht her. Müde und ausgekühlt saßen sie um das Feuer, und Mary ahnte, dass jeder von ihnen den gleichen Gedanken vor sich herschob. Randy musste würdig beigesetzt werden, doch die Erde war gefroren, und ihnen fehlte das Werkzeug, eine Grube auszuheben.

»Steine«, sagte Carl unvermittelt. »Wir können ihn unter Steinen begraben.«