Der wischte sich die Finger an seiner Hose ab. »Ein verstockter und zuchtloser Kerl ist das, der muss nicht alles wissen«, sagte er und stellte eine Holzschale auf den Tisch. »Rosmarin. Wachkraut brauchst du also. Du kannst von Glück reden, dass wir solche Schätze noch bei uns haben.« Henry setzte Wasser in einem Kessel auf. »Einen Aufguss solltest du davon herstellen. Zwiebeln sind als Umschlag fabelhaft, und Honig vollbringt Wunder. Du kannst ihn in den Tee rühren, oder besser noch: Gib ihn dem Jungen auf die Lippen. Manche lieben die Süße und werden munter dadurch.« Rosmarinzweige und Zwiebeln wanderten in die Schale. Mit einer flinken Bewegung öffnete Henry den Honigtopf und strich einen Löffel des zähen Goldgelbs in einen Becher. »Und Eier«, sagte er, »rohe Eier brauchst du auch.«
Mary lachte auf. »Eier? Was soll ich mit Eiern anfangen?«
»Das ist gut gegen Fieber. Du trennst das Eiklar, schmierst es in ein Tuch und bindest es dem Jungen um die Füße. Wenn das Eiklar trocken ist, schlägst du das nächste Ei auf und wiederholst den Vorgang.«
»Woher weißt du das alles? Vielleicht solltest du meine Arbeit übernehmen?«
Henrys Wangen röteten sich. »Ich bin zwar kein Doktor, aber von meinen Lebensmitteln und Gewürzen verstehe ich was.« Kurz verdüsterte sich seine Miene. »Zumindest manchmal. Und jetzt mach, dass du wegkommst, bevor der Verstockte wieder zurückkehrt.« Henry legte ein Tuch über die Schüssel und den Honigbecher, schenkte heißes Wasser in eine Kanne und zog ein Tablett hervor. »Marc, und wenn er wach wird, dann gib mir Bescheid. Ich habe noch einiges auf Lager, was so einen kleinen Mann stärken kann. Und wenn du irgendwem sagst, was hier gerade vor sich ging«, Henry ergriff sein Messer und ließ den Finger über die Klinge wandern, »dann gibt es Unannehmlichkeiten.«
Mary grinste, und der Smutje warf die Tür hinter ihr zu.
Carls Blick fiel auf die lederne Tasche. Erstaunt sah er auf.
»Der Kapitän sagte, ich solle keine Medikamente verwenden. Aber niemand hat mir verboten, Doc Havenports Instrumente zu nutzen.«
»Wenn dir so viel an dem Jungen liegt«, sagte Carl und trat näher, »wollen wir ihn dann nicht in Doc Havenports Kajüte bringen? Dort ist eine Behandlung besser durchzuführen.«
»Was bleibt denn dort noch? Ein Behandlungstisch! Den Rest soll ich nicht anrühren. Und es ist gleich, wo der Junge liegt.«
»Gut, gut. Hast du ihn purgiert? Oder irgendwelche Einläufe gemacht?«
»Nein, ich denke, Durchfall würde ihn schwächen.«
»Hast du ihn zur Ader gelassen?«
»Nein. Ich versuche es mit Umschlägen aus Rosmarinauszügen. Und mit ein wenig Wärme. Zudem flöße ich ihm Tee mit Honig ein und lege Wadenwickel an.«
»Sehr gut.« Carl schob eines der Tücher beiseite, das auf der Seekiste lag, und seine Hand zuckte zurück. »Was ist das?«, fragte er und zog die Stirn kraus.
Mary errötete. »Eiklar.«
Er hob die Decke hoch und schaute auf Seths gewickelte Füße.
»Ich will nichts unversucht lassen.«
»Das hat schon meine Großmutter bei mir angewandt. Schaden kann es nicht. Aber ich frage mich, wie du an die Eier kommst. Hast du die Ställe geplündert?«
Sie schwieg.
»Ach, du hast ja Beziehungen aus deinen alten Kombüsenzeiten.« Er lächelte. »Dann können wir jetzt nicht mehr viel machen, außer warten. Du hast den Jungen derweil auf das Beste versorgt.« Sanft klopfte er ihr auf die Schulter und ließ seine Hand für einen Wimpernschlag dort liegen.
Eine Nacht konnte lang werden. Der Lichtschein der Öllampe erhellte einen scharf abgegrenzten Raum, hinter dem die Dunkelheit lauerte. Die Schwester der Müdigkeit.
Mit einem Ruck hob Carl den Kopf. Er blinzelte, reckte sich, ergriff den Becher mit dem Tee und setzte sich neben Seth. Er hob den Kopf des Jungen und flößte ihm Schluck um Schluck ein. Ein feines Rinnsal floss aus dem Mundwinkel und tropfte auf Carls Hose.
Mary reichte ihm ein Tuch und schob die Bettdecke von Seths Füßen. Die Wadenwickel waren trocken. Sie nahm sie ab und legte sie in die Wasserschüssel, schlug ein Ei auf und trennte das Eiklar. Als sie die Füße anhob, um sie wieder in den kalten, nassen Stoff einzuschlagen, hielt sie kurz inne. Wie klein die Füße in ihrer Hand wirkten.
Carl wischte den Schweiß von Seths Gesicht und tastete den dürren Brustkorb ab, um Atmung und Herztöne zu prüfen. »Sein Zustand ist unverändert«, sagte er und setzte sich auf die Seekiste. Lehnte sich an die Bordwand und schloss die Augen.
Mary sank auf den Rand ihrer Koje. Ihr Blick strich über Carls Gesicht, und ihre Gedanken schwärmten aus. Wir sitzen hier beisammen, mitten in der Nacht. Schauen auf das Kind, und ich kann kaum ausatmen, so laut schlägt mein Herz. Ich bin fast toll vor Angst, dass du in der Ruhe zu lange auf meine Hände schaust und die Frau in mir siehst.
Nein, das stimmt nicht, ertönte eine mahnende Stimme in ihrem Kopf. Noch mehr fürchtest du, dass du einer unüberlegten Gemütsbewegung nachgibst und ihn berührst. Und dass er nicht die Frau in dir sehen könnte.
Pazifischer Ozean, 10. März 1786
Sie schläft wie ein Kleinkind, den Rücken rund gebogen, den Kopf auf die Arme gelegt. Und sieht noch jünger aus als sonst. Was für Grausamkeiten hat sie in den letzten Stunden ertragen müssen. Vielleicht sollte ich ihr sagen, dass ich alles weiß, vielleicht sollte ich ihr die Gelegenheit geben, sich für einen Augenblick die Last von der Seele zu reden und sich anzulehnen? Carl streckte sich und nahm vorsichtig den Lappen von der Stirn des Jungen. Der Stoff war inzwischen getrocknet. Die Haut war kühl und schweißfrei. Er lauschte dem Atem. Flach und gleichmäßig, vielleicht haben wir es geschafft, dachte er.
Der kleine Kopf bewegte sich und rutschte auf die linke Seite. Die Lippen, spröde und gesprungen, öffneten sich einen Spalt.
Carl nahm das Tuch, benetzte es mit Wasser und befeuchtete die Lippen. »Komm, mach die Augen auf, Kerlchen«, sagte er leise, und tatsächlich schlug der Junge die Lider auf. Unbewegt schaute er ihn an.
Jetzt kommt die Erinnerung zurück. Du armer Kerl. Carls Herz zog sich zusammen. »Schön, dass du wieder wach bist«, sagte er. »Hast du Schmerzen?«
Seth reagierte nicht.
Ich muss Mary wecken. Sie wird sich freuen, dass der Kleine die Nacht überstanden hat. Carl drehte sich zur Seite und wollte sich vorbeugen, um sie an der Schulter zu packen. Doch er stieß fast mit ihr zusammen. Aufrecht saß sie auf dem Rand der Koje, ihre Miene unbewegt wie die des Kindes. Er zuckte zurück und schwieg.
***
Was wollen die?
Merkst du das? Die schauen mich so merkwürdig an.
Wo bin ich hier?
Wo ist meine Hängematte?
Warum redet Sir Belham beständig auf mich ein? Ich bin so müde, ich will weiterschlafen. Alles an mir ist so schwer.
Warum verlässt Marc die Kajüte?
Vielleicht wird Sir Belham aufhören, mit mir zu reden, wenn ich den Kopf zur Seite drehe.
Ja, sehr gut, er schweigt. Endlich. Hat er nichts zu tun? Warum sitzt er hier?
Habe ich gerade Freiwache?
Ich habe es genau gehört, die Tür ist wieder aufgegangen. Was meinst du, Nat? Kann ich nachschauen, wer gekommen ist?
Ja?
Gut!
Ach so, Marc ist wieder da. Kannst du sehen, was er auf dem Tablett trägt?
Speck?
Gebratenen Speck mit Eiern?