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Mit offenen Mündern saßen die Männer da, selbst Seth war beeindruckt.

»Das glaube ich nicht«, rief Toni. Er verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf.

»Doch, es stimmt. Ich habe es auch erlebt, und ich sage euch, es ist wundervoll«, pflichtete Henry bei. Er hob den Becher und nahm einen Schluck Grog.

Segelmacher-John fuhr fort. »Also, wenn ihr einem alten Mann wieder Glauben schenken wollt, bin ich bereit, weiterzuerzählen. Stellt euch das so vor: In Tahiti haben die Häuser keine Wände. Es sind vier Pfosten, auf denen ein Dach liegt, und das wars. So kann jeder alles sehen, immer. Und wenn zwei Liebende zueinanderfinden, dann singen die Umstehenden und feuern sie an. Je wilder und hemmungsloser der Akt wird, desto begeisterter feiert man ihn. Und im Moment der Erlösung des Paares beginnen alle zu klatschen.«

Da saßen die Kerle und fraßen ihm aus der Hand.

»Ich schwöre es euch: Tahiti ist das Paradies. Und die Frauen sind so schön, so zart und duften so wunderbar nach süßen Blüten, dass es einem den Verstand raubt, insofern man noch einen Funken davon auf dieser Reise bewahrt hat. Und so liegt es doch auf der Hand: Wenn ihr Dreckskerle da ankommt, könnt ihr sie mit den schäbigen Gastgeschenken sicherlich nicht überzeugen, dass sie euch in ihr Paradies einlassen und zu ihrem Fest der Liebe einladen. Aber ich kann euch verraten, was ihr unternehmen müsst, dass sie genau das tun …«

Das lüsterne Grinsen, das Segelmacher-Johns Gesicht überzog, ließ Seth schaudern. Sofort ließ er sich in seine Hängematte zurückfallen, presste die Hände auf die Ohren und trat gegen die Wand.

Sollte Segelmacher-John geahnt haben, was er mit seiner Erzählung heraufbeschwor, so ließ er es sich nicht anmerken. In den folgenden Tagen wurde sein Bericht vom Paradies ständig wiederholt. Überall. Beim Klettern im Großmast, beim Schrubben des Decks, bei jeder Gelegenheit wurde die Geschichte von den wundersamen Weibern weitergetragen. Gern hätte Seth die Männer geschüttelt und angebrüllt, sie sogar angefleht, dass sie doch einen Tag, einen einzigen Tag über andere Dinge sprechen sollten.

Doch es kam noch ärger: Die Mannschaft geriet in ein nicht gekanntes Fieber: Die Männer stutzten sich die Bärte, schnitten sich die verfilzten Haare und reinigten sich die verteerten Hände. Sie zogen sich aus und knüpften ihre Kleidungsstücke an Schnüre, die sie vom Heck ins Wasser warfen, sodass die Sailing Queen einen ellenlangen Wäscheschwanz hinter sich herzog. Und als Toni ihm auf die Schulter klopfte und sagte, es sei Zeit, sich für die Mädchen frischzumachen, zögerte Seth. Er sah dem Hünen ins Gesicht und fragte sich, ob er ihm erklären sollte, dass er beschlossen hatte, ewig dreckig zu bleiben und ohne eine Frau in seinem Leben auszukommen. Doch Tonis Blick ließ ihm keine Wahl, er entkleidete sich, bis er nackt an Deck stand.

Seit der Abfahrt hatte Kapitän Taylor Morgen für Morgen Reinlichkeit gepredigt, und nur widerwillig war die Mannschaft seinen Anweisungen gefolgt. Nun wurden die Männer eifriger als er selbst. Einige Wagemutige folgten sogar seinem Beispiel und stürzten sich zum Waschen vom Heck ins Meer. Sir Belham und Marc standen an Deck bereit, um einzugreifen, denn das Wasser konnte selbst starken Männern bei einem Sprung aus dieser Höhe die Knochen brechen. Nach den Anweisungen der beiden hatten sie sich, und darunter auch einige, die nicht schwimmen konnten, die Nasen zugehalten, die Augen geschlossen und waren mit übereinandergekreuzten Beinen in die Tiefe gesprungen.

Seth hatte sich damit begnügt, mit der Kelle Wasser aus dem Bottich zu schöpfen und es sich über den Kopf zu schütten. Dann hatte er darauf gewartet, dass die Leine wieder eingeholt wurde, um Hose und Hemd an sich zu reißen und die tropfnassen Kleidungsstücke anzuziehen.

Tahiti, 22. April 1786

Und so standen an diesem Morgen reihenweise aufgeputzte Männer in salzstarrend steifer Kleidung auf dem Deck. Sie stierten auf das seichte Wasser und die Insel, deren bewaldete Berge in den Himmel ragten.

Am Strand konnten sie kleine Hütten und an Land gezogene Kanus erkennen. Parallel zum Ufer verliefen mehrere Klippenreihen, an denen sich weißschäumend die Wellen brachen. Über das Geräusch der Brandung hinweg vernahmen sie das Quieken von Schweinen, und das Wasser lief ihnen bei dem Gedanken an einen knusprigen Braten im Mund zusammen.

Seth nickte und sah mit eigenen Augen, was Segelmacher-John beschrieben hatte: die Frauen. Ihre Haut war hellbraun, und sie hatten wirklich schwarzes Haar, das mit Blütenkränzen geschmückt war. Einige trugen Tücher, die sie über der Schulter verknotet hatten und die bis zu den Knien herabhingen. Aber ebenso viele standen mit nackten Brüsten, nur ein Tuch um die Hüfte geschlungen, am Strand.

Lukas vergaß das Blinzeln, so glotzte er zur Insel hinüber.

Zwei Seesoldaten, die Seth auf der Reise fremd geblieben waren, drängten sich hinter Lukas und sahen aus, als würden sie jeden Moment zu sabbern beginnen.

Und Toni, der kletterte die Wanten hinauf, riss seine Mütze vom Kopf und schwang sie durch die Luft. »Willkommen im Paradies, Männer«, brüllte der Zimmermann, und das Gejohle der Männer, das ihm antwortete, klang viehisch.

Erschrocken hielt Seth sich die Ohren zu.

***

Mary schirmte ihre Augen mit der Hand gegen das gleißende Licht ab und schaute zur Insel hinüber. Dort standen sie, die Frauen, deren Schönheit und Sanftmut noch im fernen Europa besungen wurde.

Und ja, sie waren schön.

Auch in Feuerland hatten die Frauen kaum ihre Scham verdeckt, die Brüste freischwingend und unbefangen vor den gierigen Blicken der Mannschaft hergetragen. Aber diese Frauen hier waren anders, auf eine Art, die sich nicht benennen, aber selbst auf die Entfernung erkennen ließ. Der betörende Duft der Blüten der Insel, der über das Wasser zum Schiff getrieben wurde, schien ein Versprechen, wie wohlriechend die Haut dieser Schönheiten sein würde.

An der Reling drängten sich die Männer. Mary bemerkte Carl, der nicht weit entfernt von ihr stand. Auch er ließ die Insel nicht aus den Augen, sein Blick war nicht zu deuten. Er will mit mir hierbleiben, aber ich habe nur darüber nachgedacht, was geschieht, wenn er mich als Frau wahrnimmt. Vielmehr sollte ich mich fragen, ob ich es ertragen werde, dabei zuzusehen, wenn er sich mit diesen Schönheiten vergnügt. Werde ich es an seiner Seite aushalten, wenn er sich ein Liebchen nimmt, das vielleicht sogar sein Herz berührt? Und wie wird es mir ergehen, wenn er mich dabei weiterhin für einen Mann hält?

Der Anker fiel. Das Rasseln der Kette ließ das gesamte Schiff erzittern.

»Achtzehn Wochen«, Bartholomäus’ Stimme klang heiser. »Seit achtzehn Wochen haben wir kein Land mehr betreten.«

»So lange ist das her? Das kann nicht sein.« Mary fixierte die Palmenblätter, die sich im Wind wiegten.

»Den letzten Landgang hatten wir in Feuerland.«

Da hatte er noch zwei Arme, durchfuhr es sie. Die Meeresenge vor Kap Hoorn wird sein Leben auf ewig in ein Davor und ein Danach unterteilen. Kein Wunder, dass er das auf den Tag genau weiß.

Die Glocke wurde geschlagen.

Carl starrte immer noch zur Insel hinüber.

Mit der Hand fuhr Mary über ihren Nacken und hasste das kurze Haar.

Kapitän Taylors Uniform saß akkurat, der Stoff war gebürstet, jeder Knopf poliert worden. Die Perücke war gekämmt, das Gesicht rasiert. Er nahm den Dreispitz ab.

Sofort ergriffen die Männer der Mannschaft ihre Mützen und senkten die Häupter.

Mit tragender Stimme verlas Taylor höchstselbst die Bestimmungen, die beim Aufenthalt zu berücksichtigen waren: »Diese Regeln hat jedermann zu beachten, der Seiner Majestät Bark Sailing Queen angehört. Sie wurden zum Zwecke eines geregelten und einheitlichen Handels von Vorräten mit den Einwohnern von Tahiti erlassen.