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Eine Frau.

Er zog eine Augenbraue in die Höhe. Dieses Mal haben sie eine Frau dabei, dachte er, und auch wenn sie wie ein Mann aussieht, sie ist eindeutig eine Frau. Lächelnd erinnerte sich Owahiri, dass sie bei der ersten Ankunft des Schiffes verwundert gewesen waren, dass so viele Männer ohne eine Frau reisten. So boten sie den Fremden zur Begrüßung Jungen und Männer an, damit sie sich ein wenig verwöhnen lassen konnten. Doch die wehrten ab und verlangten nach Frauen, nach weicher Haut und sanften Stimmen. So recht verstanden hatte er bis heute nicht, warum sie aus ihren Erfahrungen nichts gelernt hatten und bei den darauffolgenden Reisen noch immer keine Frauen mitnahmen.

Nun hatten sie eine Frau dabei.

Eine einzige.

Wie sind diese Männer auf ihrem langen Weg mit einer Frau an Bord ausgekommen?, fragte er sich und schüttelte den Kopf. Vieles an den Bleichäugigen würde ihm rätselhaft bleiben, und auch das Verhalten der Frau erschien ihm sonderbar. Sie stieg aus dem Boot, stand bis zu den Knien im Wasser und wehrte die Hände ab, die nach ihr griffen, um ihr an Land zu helfen.

Er sah den Lauf der Dinge vor sich. Die Gäste würden die Insel abgehen, aber selbst die, die bereits hiergewesen waren, würden vieles nicht wiedererkennen. Maulbeerbäume und Gras hatten sich über die Haine ausgebreitet, an denen früher die schönsten Häuser gestanden hatten. Aber was sollte er den Gästen vom Krieg erzählen? Sicher wollten sie erst einmal von den Früchten kosten, sich an den Speisen satt essen und in die Arme der Frauen schmiegen. Er konnte es ihnen nicht verdenken.

Ob die Frau sich auch erst einmal einen Mann erwählte? Vielleicht sollte ich sie, überlegte er, danach mit Revanui zusammenbringen. Die beiden könnten sich gemeinsam im Fluss erfrischen gehen, bis ich das Essen zubereitet habe. Bei einem Essen kann man vieles besprechen. Wenn ich die fremden Worte noch gut genug erinnere, habe ich dieses Mal viele Fragen. Krankheiten sind zurückgeblieben, und vielleicht können sie uns bei der Behandlung helfen. Wie bauen sie ihre Boote? Und wie schärfe ich die Äxte und die Scheren, wenn sie stumpf werden?

Sicher, es war unklug, die Gäste gleich mit Fragen zu bedrängen, erst sollten sie sich erholen und stärken. Dann konnten sie in Ruhe die Fragen beantworten und im Anschluss ihr Eisen verteilen. Auch er brauchte Nägel und Nadeln, um neue Angelhaken zu biegen. Revanui würde wütend werden, aber das war es wert.

Owahiri ging in die Hocke. Er sah die Blicke der Männer, deren Hände die Frauen berührten, die wiederum ebenso neugierig zulangten.

Die Frau mit der hellen Haut stand noch immer abseits im Wasser. Ihr Oberkörper war mit mehreren Lagen Stoff verdeckt, selbst die Arme hatte sie bis zu den Handgelenken verhüllt. Nur die Beinkleider hatte sie zu den Knien hinaufgeschoben, sodass die dahinrollenden Wellen hin und wieder ein wenig ihrer weißen Waden aufblitzen ließen. Gebannt starrte sie auf die Begrüßungsszenen und rührte sich nicht.

Lautes Gelächter ließ Owahiris Blick abschweifen. Vier Frauen, eine davon war Revanuis beste Freundin, zogen erste Männer mit sich und verschwanden auf der Lichtung, die zum Wasserfall in die Tiefe des Waldes führte.

Zwei der jüngeren Männer aus seiner Nachbarschaft hatten die Frau entdeckt. Sie liefen ins Wasser, fassten sie an den Händen, begleiteten sie an den Strand und schoben sie ebenfalls in Richtung des Waldes.

Die Frau wehrt sich. Ob sie heilig ist? Vielleicht dürfen wir ihr die Ehren der Insel nicht erweisen? Vielleicht dürfen das nur ausgesuchte Männer? Vielleicht will sie gebeten werden oder möchte eine bestimmte Zeremonie damit verbinden? Er seufzte und erhob sich. So weiß die Fremden waren, so sonderbar benahmen sie sich auch zuweilen.

***

Das Wasser hatte ihre Füße umspült und der Wind die Wangen gestreichelt. Wohin sie zuerst schauen sollte, hatte sie nicht gewusst. Auf die Palmen, den Strand, die vereinzelten Hütten im Schatten der Bäume, die blütenbedeckten Büsche?

Es waren letztlich die Hände gewesen, die ihren Blick auf sich gezogen hatten. Dunkle Hände waren vor ihr aufgetaucht, Hände mit flinken Fingern, die sie sachte berührten und die ihr eine Gänsehaut verursachten. Wann hat mich das letzte Mal ein Mensch in Zuneigung berührt?, hatte sie sich einen Wimpernschlag lang gefragt und die Antwort samt den Händen von sich geschoben. Doch die Hände waren zurückgekehrt. Zwei Männer, lachende Münder, blitzende Augen und Worte, süß geflüstert, die sie nicht verstand. Arme, die sich sanft um ihre Schultern legten und sie vorwärts drängten. Straffe Männerwaden neben sich, eine Hüfte an ihrer, die Lichtung, die näherrückte. Zweige, die sie streiften, Schatten, der sich auf sie legte. Der schmalere von beiden nahm ihr Gesicht in die Hände. Sanft drückte sie ihn beiseite, um den Strand hinunterzuschauen.

Wo waren die Männer ihres Schiffes geblieben?

Waren sie alle ihren Lenden gefolgt?

Sah denn niemand ihre Not? Dass ihr Puls trommelte und dass die Angst ihr die Kehle zudrückte, sodass ihr kein Laut entsprang? Wieder tauchten die Hände auf und nestelten an ihrem Hemd herum.

»Nicht das Hemd«, schrie sie auf. »Geh weg und rühr mich nicht an.«

Es steht offen.

Dein Hemd steht offen.

Hoffentlich sind alle Männer dem Gieren ihrer Lenden gefolgt.

Mary beugte sich in den Schatten des Mannes, und ihr Brustwickel geriet ins Rutschen. Mit zitternden Händen raffte sie ihr Hemd zusammen und zog die Weste wieder darüber.

Der Mann strich ihr sanft über das Haar.

Mit einer heftigen Bewegung schüttelte sie seine Hand ab, doch er schien es für ein Spiel zu halten, denn er fasste ihre Schulter und zog sie wieder an sich.

Just in diesem Moment entdeckten Bartholomäus und Sohnrey sie im Halbschatten des Buschwerkes. Sie zeigten hinauf zu ihr und jagten den Strand entlang.

Bartholomäus brüllte, doch der Mann vor ihr ahnte nicht, was sich hinter seinem Rücken anbahnte.

Der zweite Mann, ebenso ahnungslos, legte seine Hände auf ihre Schultern, ein knetender Griff, der offensichtlich der Entspannung dienen sollte. Der schmalere der beiden nestelte erneut an ihrer Weste, und Mary packte seine Arme.

Der Mann, der hinter ihr stand, drückte sie auf die Knie. Seine Hände zogen den Stoff des Hemdes die Schultern herab. Zogen ihn auseinander und gaben die Brustwickel den Blicken frei.

Und so standen sie vor ihr: der schmale Tahitianer, Bartholomäus und Sohnrey. Sie schauten auf den Stoff der verrutschten Wickel, die das weiße Fleisch ihrer linken Brust bloßlegten.

Der Tahitianer musterte ihre Brust, ihr Gesicht und dann die beiden Matrosen. Die standen starr, die Augen aufgerissen und die Münder halboffen. Erst verkrallten sich die Blicke auf der weißen Rundung ihrer Haut, dem braunen Hof, der sich im Wind zusammenzog, und sprangen dann hinauf zu ihrem Gesicht.

Mary sah, dass Bartholomäus und Sohnrey begriffen: Marc, der Arzt, vor dem sie soeben die Hosen heruntergelassen hatten, war eine Frau. Den Kopf gesenkt, knöpfte sie das Hemd zu.

Schweigend standen sie beieinander.

Der Mann, der hinter ihr stand, nahm seine Hände von ihren Schultern. Die beiden Tahitianer traten beiseite und verschwanden im Dickicht der Insel.

Marys Blick hetzte über die Bucht, suchte das Schiff, die Beiboote und den Sandstrand ab. Sie atmete auf. Carl war nirgends zu entdecken.

Ihre Beine schmerzten, als sie sich erhob. Sie zerrte an der Weste und schloss die Knöpfe. Den Blick auf ihre Finger gerichtet, durchzuckte sie der Gedanke: Da war noch jemand. Am äußeren Rand des Strandes stand noch jemand.