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Halb geöffnet forderten seine Lippen auf, in sie hineinzubeißen, ganz sanft, um ihn dann zu küssen, bis er keine Luft mehr bekam. Flach und schnell ging sein Atem, ein Rhythmus, der sie rasend machte.

»Welch unfassbares Glück, dass wir uns begegnet sind«, flüsterte er und ließ seine Lippen über ihre Stirn und Augen spielen. »Glaube nicht, dass ich dich jemals wieder von mir lasse.«

Marys Lachen glich einem gurrenden Stöhnen. Sie genoss das fremde Geräusch und seine federleichten Berührungen, so warm und weich, dass sie wünschte, der Moment möge niemals enden. Er möge sich ausdehnen und das Kribbeln, das ihren Körper durchlief, festhalten.

In den Sand zog er sie und schob ihren Rock in die Höhe. Ein Rascheln ließ sie den Kopf drehen. Der Aufsatz. Sie lag darauf. Leise lachte sie auf. So war das eben: Alles, was sich bisher in ihrem Leben abgespielt, Raum und Aufmerksamkeit gefordert hatte, musste sich jetzt in Demut üben, musste warten, bis wieder seine Zeit kam.

Sie schloss die Augen.

Für einen Moment sah sie die Teakschatulle mit dem Schmetterling vor sich.

Seine kräftigen Farben verliefen ineinander.

Carls Finger ließen sie schweben.

Mit kraftvollen Flügelschlägen erhob sie sich.

Carl.

Er war es, der sie vollständig machte.

Tahiti, 11. Juli 1786

Ein kurzes Röcheln ließ sie aufschrecken. Sie wrang den Lappen in der Wasserschüssel aus und legte ihn wieder auf Carls Stirn. Schob das Kissen ein Stück tiefer in seinen Nacken und spürte, dass die Haut glühte. Sein Brustkorb hob und senkte sich, langsam, als würde ein immenses Gewicht auf ihm lasten. Seit Stunden hatte er sich nicht mehr gerührt. Stumm hatte Mary zugesehen, wie der Schweiß begann, an seinem Körper herabzulaufen, wie sich die Rinnsale ihren Weg über Stirn, Hals und Bauch hinweg suchten. Schon morgens waren auf seinem Hemd kleine, feuchte Stellen erschienen. Sie waren ihr aufgefallen, als er sich neben ihr über die Karte gebeugt hatte.

Der Tag war sonnig gewesen, und ein leichter Wind war vom Meer her auf die Insel zugetrieben. Die Arbeitsbedingungen waren gut gewesen. Es war nicht so heiß wie an den vorangegangenen Tagen, und trotzdem hatten sie Mühe gehabt, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Dann hatte er über Kopfschmerzen geklagt, und sie hatten die Exkursion ins Landesinnere verschoben. Stattdessen hatten sie ihr Lager am Strand aufgeschlagen und sich in den Schatten zurückgezogen.

Doch die Bilder stimmten nicht. Je öfter Mary sie sich in Erinnerung rief, desto klarer sah sie, dass Carl nicht einfach unter Kopfschmerzen gelitten hatte. Sie waren an diesem Tag nur langsam vorangekommen, zu oft hatte er mit dem Arm über die Stirn gewischt, obwohl es keinen Grund zum Schwitzen gegeben hatte. So hatten sie über der Karte gesessen, bis sie beschlossen hatten, die Arbeit einzustellen und an den Strand zu gehen. Und spätestens hier, am Strand, als Carl sich vorgebeugt und die Arme ausgestreckt hatte, um eine Kokosnuss aus dem Sand zu heben, hätte sie sehen müssen, dass die kleinen, feuchten Stellen zu Flecken geworden waren, zu großflächigen und nassen Flecken. Sie hätte den glasigen Blick sehen müssen. Sie hätte laut schreien, den Strand entlanglaufen und Owahiri suchen müssen. Sie hätte irgendetwas unternehmen müssen.

Sie hatte es nicht getan, sie war nicht von seiner Seite gewichen, und nun war es zu spät.

Ihre Augen brannten, und in ihrer Nase kribbelte es.

Seine Lider zitterten, langsam bewegte er seinen Kopf. Hastig blinzelte sie und wischte die Tränen weg. Er sollte nicht aufwachen und sie so sehen, mit geröteter Nase und vom Weinen verschwollenen Augen. Sie wollte lächeln und ihm das Gefühl geben, dass er bei ihr gut aufgehoben war, dass sie sich nicht fürchtete und mit klarem Blick seine medizinische Betreuung leistete.

»Mein Engel«, sagte er mit schwacher Stimme. Sofort ergriff Mary die Kokosnussschale, hob seinen Kopf und führte sie ihm an den Mund. Er trank langsam. Seine Lippen waren farblos und aufgesprungen.

Hätten wir doch früher von dem Fieber erfahren, rief es in Mary. Innerlich krümmte sie sich und weinte, zerfraß die Angst ihre Eingeweide, äußerlich saß sie aufrecht, mit durchgedrücktem Rücken, und ließ Carl nicht aus den Augen.

Sie hatten einen Vorsprung gehabt, zumindest hatten sie das angenommen. Das verfluchte Fieber war auf Tahaa ausgebrochen und nach Raiatea und Huahine übergesprungen. Sie hatten die Geschichten, dass kaum einer der Erkrankten es überlebte, sehr wohl vernommen. Und es war Owahiri gewesen, der richtig gehandelt hatte. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, hatte er alle Vorbereitungen für die Rückfahrt nach Tahiti getroffen. Als er zum Aufbruch gemahnt hatte, war sie für einen Moment unsicher geworden, vielleicht war sie auch einen Moment zu sicher gewesen. Vieles hatte dafür gesprochen, die Arbeit einzustellen und erst wieder zurückzukehren, wenn das Fieber vorüber war. Aber Carls Entscheidung war ihr so klar, so überzeugend erschienen: Sie hatten so kurz vor der Beendigung der Vermessung gestanden, dass auch sie dachte, diesen kleinen Aufschub könnten sie sich noch herausnehmen. Huahine und Moorea lagen weit voneinander entfernt. Wir werden schon davonkommen, das habe ich gedacht. Dein Argument, dass wir erst aufbrechen müssten, wenn das Fieber die Insel erreicht, leuchtete mir ein. Wir haben es nicht gewusst. Wir haben einfach nicht wissen können, dass das Fieber nicht nur die Insel, sondern – was inzwischen naheliegt – auch dich längst erreicht hatte. Als wir nach Tahiti aufbrachen, haben wir es von Moorea mitgenommen.

Wieder flatterten Carls bläulich weiß schimmernde Lider. Sanft strich sie über sein Haar. »Schlaf weiter. Wenn du gesund bist, werden wir in der Sonne sitzen und Früchte essen, schwimmen und am Strand spazieren gehen. Und erst wenn wir einander ein paar Tage genossen, angeschaut und geliebt haben, dann werden wir die Arbeit wieder aufnehmen«, flüsterte sie und spürte den Knoten im Hals. Nicht weinen, dachte sie. Fang nur nicht an zu weinen.

Sein Zittern riss sie aus ihren Gedanken, in Wellen durchlief es Carls Körper. Während sie ihm den Schweiß aus dem Gesicht wischte, bemerkte sie, dass sein Hemd durchnässt war. Sie knöpfte es auf und versuchte, seinen Arm durch den Ärmel zu schieben. Es gelang ihr nicht.

Sie stand auf und sah, dass inzwischen die Nacht hereingebrochen war. Die Abendröte war nur noch in einem zarten Streifen am Horizont zu erkennen, gefolgt von einem violetten Ton, der fließend ins tiefe Schwarz überging. In der Nacht würde sein Fieber steigen, sie wusste, dass erneut der Kampf begann, es bis zum kommenden Tag zu schaffen. Nur das zählte.

Während sie die hölzerne Kiste öffnete, wälzte Carl sich auf die Seite. Sein Atem ging schnell und unregelmäßig. Neben seinen Büchern lagerte er, sorgfältig in ein leinenes Tuch gebunden, seine medizinischen Instrumente. Sie nahm die Schere heraus. Vorsichtig begann sie, sein Hemd zu zerschneiden und die Streifen unter ihm hervorzuziehen. Er stöhnte, als sie dabei seinen Arm anhob.

»Es tut mir leid, mein Liebling, aber du musst aus dem nassen Hemd heraus«, flüsterte sie und wusch seinen Körper. Die breite Brust mit den zerzausten Haaren darauf, die Lenden, die in wunderschönem Fluss in die kräftigen Schenkel übergingen.

Vorsichtig deckte sie ihn zu. Dieses Tuch hatte sie gemeinsam mit den tahitianischen Frauen aus Maulbeerbaumrinde hergestellt. Schicht um Schicht hatten sie die Fasern mit Holzkeilen weichgeklopft, um sie dann mit weiteren Schlägen miteinander zu verbinden. Sie hatte gewusst, dass er es liebte, auch bei warmen Nächten in Tücher gehüllt zu schlafen. So hatte sie sich bei der Arbeit immer wieder Carls Gesicht vorgestellt, das Leuchten in seinen Augen, wenn sie ihm das Tuch überreichen würde. Und es war so gekommen, wie sie es sich ausgemalt hatte. Das Leuchten in seinen Augen ließ sie auch jetzt noch lächeln.