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Die erste Tasse wurde auf dem Beistelltisch neben William abgestellt, und der silberne Löffel klapperte auf der Untertasse.

Landon lehnte sich in seinem Sessel zurück und versuchte, den Abstand zu William zu vergrößern. Aufmerksam musterte er ihn. Dieser alte Mann und ich, wir haben im Laufe der Jahre ein Verhältnis aufgebaut, das merkwürdig ist. Warum lasse ich mich immer wieder auf ihn ein?

Seth trat hinter den Schreibtisch und stellte die Tasse auf den Tisch. Die Köchin hatte Kekse gebacken und auf jeden Tellerrand einen gelegt. Landon griff danach, biss zu und ließ William nicht aus den Augen. Der Mann saß aufrecht und rang die Hände.

Ihm geht jede Boshaftigkeit ab. Er handelt nach seinem Gefühl und vergisst dabei die Etikette. Ich könnte boshaft sein und denken, er vergisst sie absichtlich. Vielleicht ist der Anstand ihm schlicht egal, wenn es um Mary geht. Ob er eigene Kinder hat? Erwähnt hat er nie welche.

William räusperte sich. »Soweit die guten Nachrichten. Die schlechte Nachricht hat uns jedoch gleich heute am frühen Morgen erreicht: Miss Linley ist aufgefordert worden, vor der Royal Society zu erscheinen.«

Der Junge stand immer noch neben seinem Stuhl. Landon nickte ihm zu und beugte sich zur Schreibtischplatte vor. »Wann?«

»In drei Tagen. Man will ihr genug Zeit für die Anreise lassen. Ihr wisst, was das bedeutet?«

Eine Ahnung durchlief Landon, doch er schüttelte den Kopf. Seth rührte sich noch immer nicht von der Stelle, vielmehr starrte er William unentwegt an.

»Wenn die Royal Society ihre Arbeit nicht anerkennt«, William griff nach der Teetasse und umschloss sie mit den Händen, »wird sie sich vor der Royal Navy verantworten müssen.«

Landon seufzte. Er hatte nicht einmal eine Vorstellung, welcher Taten man sie bezichtigen würde. Einen Anwalt konnte er empfehlen, aber das hatte Henriette Fincher sicher schon bedacht.

Sein Blick fiel auf den Jungen, der mit seinen dürren, zum Körper unverhältnismäßig langen Beinen zur Tür schlich und sie behutsam schloss. Landon wandte seinen Blick ab, stutzte und sah noch einmal zur Tür. Sie war wieder einen Spalt geöffnet worden und blieb angelehnt. Der Kleine lauscht, stellte er erstaunt fest und konzentrierte sich auf William. »Auch wenn sie wieder in der Stadt ist«, sagte er, »können wir nicht viel für sie tun. Richtet den Damen bitte aus, dass ich im Zweifelsfall einen guten Anwalt empfehlen kann.«

William erhob sich und zog aus seiner Brusttasche einen Umschlag. »Mrs. Fincher bat mich, dies bei Euch abzugeben. Sie möchte Euch in der kommenden Woche zum Dinner bitten. Zu Marys Begrüßung.«

Landon starrte auf den Umschlag und hob die Augenbrauen in die Höhe. »Verzeiht die Indiskretion. Aber wie kommt es zu diesem Sinneswandel? Letzthin schien sie mir noch recht ungehalten über das Verhalten ihrer Nichte zu sein.«

William wiegte den Kopf. »Verstehe einer die Frauen. Vielleicht bleibt ihr nicht mehr, als die Flucht nach vorne anzutreten?« Spitzbübisch lächelte er. »Verzeiht den Scherz. Wenn Ihr ernsthaft nach meiner Einschätzung fragt, würde ich sagen, sie hat ihr gefehlt. Es war einfach zu still im Haus.«

Plymouth, 28. Mai 1788

Mrs. Finchers Haus war hübsch anzusehen. Roter Backstein, Fenster mit Butzenrahmen, die in Weiß erstrahlten, und eine gelbe Eingangstür, über der sich ein gläserner Fensterbogen wölbte. So ein Haus hatte sich seine Mutter zeitlebens gewünscht. Seth entdeckte, dass die Kutsche bereits angespannt war. Er verfiel in einen Laufschritt, als sich die Tür öffnete. Abrupt bremste er ab und blieb stehen. Er spürte, dass er die Augen aufriss und dass der Mund ihm offen stand. In Tahiti hatte er sie das letzte Mal gesehen, mit kurzem Haar, in Hemd und Hose. Jetzt trug sie ein Schultertuch über einem hellen Kleid. Eine Haube bedeckte ihren Kopf, unter der seitlich dunkle Locken hervorsprangen. So fremd sie ihm erschien, sie war es. Er setzte an, wollte sie rufen, bevor sie den Wagen bestieg. Doch immer noch wollte ihr Name ihm so schwer über die Lippen.

»Mary«, rief er, »Mary, warte!« Doch seine Stimme sackte weg. Er sog die Luft ein und brüllte mit aller Kraft: »Marc!«

Alle blickten zu ihm herüber. Der alte Mann, der am Tag zuvor im Kontor aufgetaucht war, und die Frau, die in der Tür auf die Abfahrt wartete. Sie musste Mrs. Fincher sein. Und Mary. Sie wirbelte um ihre eigene Achse. Ungläubig schaute sie ihn an, einen Wimpernschlag lang, bis sie einen Schrei ausstieß und ihm entgegenlief. Die Arme geöffnet, kam sie auf ihn zu.

Seth schloss die Augen und ertrug ihre Umarmung. Dann machte er sich frei und trat einen Schritt zurück. Sie war viel blasser, als er sie in Erinnerung hatte, und sie war geschminkt. Nur ein wenig, aber sie hatte Farbe auf den Augenlidern, den Wangen und den Lippen. Seth runzelte die Stirn, er hasste Schminke noch immer. Aber Mary war trotzdem hübsch anzusehen, trotz der Schminke und des Grübchens im Kinn. Er konnte sich kaum noch vorstellen, dass er an ihrer Seite um die halbe Welt gereist war. Irgendwie erschien sie ihm verkleidet und fremd.

»Was machst du hier? Arbeitest du bei Landon? Geht es dir gut? Wie war eure Heimreise? Seit wann bist du wieder in England?« Ihre Fragen prasselten auf ihn ein, und erstaunt bemerkte er, dass er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit ein klein wenig genoss. Immer noch lagen ihre Hände auf seinen Armen. Sie schien ihn nicht loslassen zu wollen und musterte ihn eingehend. »Himmel, was bist du gewachsen, du bist fast so groß wie ich. Ein stattlicher Mann wirst du werden.«

Seth wurde rot und trat einen Schritt zurück. Jetzt reicht es, dachte er und strich seine Jacke glatt. Wenn er etwas mehr hasste als Schminke, dann waren es Komplimente. Als er den Kopf hob, sah er, dass der alte Mann auf sie beide zukam. Die Zeit wurde knapp, Seth wusste, er musste sich beeilen.

Er zog den zinnernen Reiter aus seiner Tasche. »Ich habe ihn dir … Ich habe ihn dir geklaut. Das tut mir so leid, aber er hat mir viel Glück gebracht, und jetzt brauchst du ihn.«

Mary starrte auf die Zinnfigur und schloss die Finger darum. Dann blickte sie auf, und er sah die Tränen in ihren Augen.

Ihm wurde heiß. »Wirklich, ich schäme mich, bitte verzeih mir. Ich bin kein Dieb. Ich war wütend, ich wollte dich mit irgendetwas ärgern.«

Mit der Ecke ihres Umhangs tupfte sie sich die Augenwinkel trocken und lachte. »Ich freue mich so, dich zu sehen! Danke, dass du gekommen bist, und danke für den Glücksbringer. Er ist von Owahiri, und er wird mir helfen. Da bin ich sicher.«

Seth nickte und atmete auf.

»Wir müssen aufbrechen, wenn wir rechtzeitig ankommen wollen.« Der alte Mann war neben Mary getreten, hatte seine Hand auf ihre Schulter gelegt und schaute streng. Ob er ihn wiedererkannte, fragte Seth sich und wich den durchdringend blickenden Augen aus.

»Komm, bring mich schnell zur Kutsche und erzähl mir, ob du bei Landon lernst«, sagte Mary und eilte dem alten Mann hinterher.

Mit zwei großen Schritten war er neben ihr. »Ja, der Direktor ist sehr nett. Er lässt mich schon sehr viele Aufgaben übernehmen, und ich habe eine eigene Kammer, in der ich wohne.«

Sie lächelte. »Ich wusste es. Auch wenn er nicht mehr mit mir redet, er ist ein guter Mann.«

Ohne nachzudenken, beugte Seth sich vor. »Versprich mir, dass du mich nicht verrätst, ja?«, flüsterte er.

Neugierig kam Mary näher.

»Er hat deine Wunderkammer aufgekauft und viele deiner Bücher gelesen«, flüsterte er ihr zu. »Ich habe es gesehen. Erst lagerten die Kisten im Schuppen, später ließ er sie in den Keller des Kontors bringen. Dort bin ich hinuntergeschlichen und habe heimlich nachgeschaut. Dein Name stand in vielen Büchern. Es gibt viele Belege, so wie die, die wir auf der Fahrt angelegt haben. Sie sind gut erhalten, und die Kisten sind voll mit Sammlungsstücken aller Art.«