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Ihre Augen wurden rund. »Was sagst du da?«

Er nickte heftig. »Freust du dich?«, fragte er, und seine Augen glänzten.

Die Kutschentür stand offen, doch Mary rührte sich nicht.

Flugs schaute Seth zu dem Mann und beugte sich erneut vor. »Bitte, glaube mir, er ist dir nicht böse.«

Ihre Arme flogen in die Höhe und schlossen sich um seinen Hals. Er spürte die kalten Hände, die sich in seinen Nacken legten und seinen Kopf vorzogen. Ihre Lippen kamen näher, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu geben. Er schnappte nach Luft und schaute zu dem Mann, dann zu der Frau in der Tür. Ob sie das gesehen hatten?

Wortlos drehte Mary sich um und bestieg die Kutsche, die anfuhr. Sie schaute aus dem Fenster, hob die Hand, und ihre Finger deuteten ein Winken an.

»Ich wünsche dir Glück, Mary«, flüsterte Seth und tastete nach seiner Stirn.

Es war Mittag, als er das Kontor betrat. Der Vorsteher verlor kein Wort, sah ihn nur an, hob den Daumen und zeigte hinter sich, auf das Büro des Direktors.

Seth hatte gewusst, dass sein Fehlen nicht unentdeckt bleiben würde. Er hatte gewusst, dass es Ärger geben würde, und trotzdem fürchtete er sich nun, dem Direktor gegenüberzutreten.

Mit gesenktem Kopf betrat er das Zimmer und blieb neben der Tür stehen. Seine Mütze hielt er hinter dem Rücken, und die Finger kneteten den weichen Stoff.

»Du weißt, dass ich dich dafür sofort auf die Straße setzen kann?« Mr. Reeds Stimme war ruhig und gelassen und ließ Seths Herz noch schneller schlagen.

Warum kann er mich nicht anbrüllen und mir eine runterhauen?, fragte er sich.

»Jetzt komm schon her, oder willst du da hinten Wurzeln schlagen?«

Bis zum Tisch trat er vor, doch aufzuschauen traute er sich nicht. »Es tut mir leid«, sagte er leise.

Mr. Reed lachte auf. »Das will ich hoffen. Wo warst du?«

Ihm wurde heiß. Er hatte sich keine Ausrede einfallen lassen. Was war er für ein einfältiger Stümper!

»Wo warst du? Ich erwarte eine Antwort. Von ihr wird das Strafmaß abhängen.«

»Ich war bei Mrs. Fincher. Also, bei ihrem Haus.«

»Verdammt noch mal, jetzt schau mich an, wenn wir miteinander reden. Was hast du da gemacht?«

»Ich wollte Miss Linley sehen.«

»Wie bitte?«

»Ich hatte noch etwas von ihr. Das wollte ich ihr wiedergeben.«

»Heute morgen? Du hättest es ihr nicht heute Nachmittag oder in drei Tagen vorbeibringen können?«

Seth bemühte sich, Mr. Reed in die Augen zu schauen, und spürte, dass seine Hände feucht wurden. Noch fester packte er seine Mütze. »Nein, sie musste es haben, bevor sie nach London abreiste. Es sollte ihr Glück bringen.«

»Glück bringen?«

»Bei ihrer Vorladung, bei der Royal Society.«

Der Direktor ließ ihn nicht aus den Augen. Er lehnte sich zurück, langte nach der Schreibfeder und biss auf ihr herum. Das Schweigen war schlimmer als die bohrenden Fragen.

»Du magst sie?«

Seth nickte. »Sie war immer gut zu mir.«

Die Feder flog auf den Tisch. »Verschwinde, wir sprechen uns später.«

Seth glättete Bestell- und Warenlieferscheine, kontrollierte Bogen um Bogen, zählte nach, hakte ab. Doch die Zeit dehnte sich, und das Warten schien kein Ende zu nehmen.

Als der Vorsteher an ihm vorbeilief, wieder den Daumen hob und wortlos in Richtung des Büros zeigte, verspürte er grenzenlose Erleichterung. Sofort sprang er auf, krempelte die Ärmel aus, strich das Haar zur Seite und öffnete die Tür.

Mr. Reed stand am Fenster. »Ich mag es nicht, angelogen zu werden«, begann er. »Doch ich verstehe deine Begründung, denn ich hätte dir wahrscheinlich keinen freien Vormittag gewährt.«

Mit gesenktem Kopf lauschte Seth seinen Ausführungen.

»Da ich dein Verhalten nicht dulden kann, möchte ich wissen, was du als angemessene Strafe ansehen würdest?«

Warum kann er mir nicht einfach wie Vater eine runterhauen? Warum ist das so schwierig mit ihm, fuhr es Seth erneut durch den Kopf. Was soll ich denn jetzt sagen? »Den Pferdestall«, platzte er heraus. »Ich könnte den Pferdestall ausmisten. Der ist groß, da habe ich zu tun. Nach dem Feierabend, meine ich natürlich.«

Der Direktor wiegte den Kopf hin und her. »Das ist gut. Sag dem Stallburschen, dass er dann frei hat. Die Pferde kannst du gleich mitversorgen, wenn du ohnehin da bist.«

Ob er jetzt gehen durfte? Ob es damit schon ausgestanden war? Die Schultern sackten ihm vor Erleichterung nach vorn, als er sie sah, die winkende Hand, die ihm andeutete, das Zimmer zu verlassen. Er hastete zur Tür und fasste die Klinke.

»Seth, was machst du kommende Woche, am Mittwochabend?«

»Nichts, Mr. Reed.«

»Ich bin bei Mrs. Fincher und Miss Linley eingeladen. Willst du mich begleiten?«

»Ich? Euch begleiten?« Ihm brach die Stimme. Ein Kloß rutschte durch seinen Kehlkopf.

»Ja, ich denke, Miss Linley wird erfreut sein. Du musst ihr wichtig sein. Jedenfalls wird sie schon einen Weg finden, ihre Tante davon zu überzeugen, dass ein Gedeck mehr aufgelegt wird.«

»Danke. Danke. Ich …«

»Nun mach dich wieder an die Arbeit, und zieh dir an dem Tag ein frisches Hemd an, ja?«

Vor der Tür lehnte sich Seth gegen die Wand. Mittwoch werden wir gemeinsam an einem Tisch sitzen und zu Abend speisen. Wir werden uns an die Reise erinnern. Das wird schön, Mary. Seine Beine wankten, als er ins Kontor lief.

Kaum, dass er sich über seine Bestellscheine beugte, wurde ihm siedendheiß. Wer sagt denn, dass sie noch einmal nach Hause kommt? Was ist, wenn sie inhaftiert wird? Seine Hand zitterte, und ein Tintentropfen fiel von der Feder. Kreisrund sog ihn das Papier ein. Kurz blickte Seth sich um und legte die Feder ab. Bedächtig faltete er die Hände und schloss die Augen. Lieber Gott, bitte hilf uns. Beschütze Mary, dass sie nicht ins Gefängnis muss, ja? Ich werde dir auf dem Heimweg auch zum Dank in St. Andrew’s eine Kerze anzünden.

London, 30. Mai 1788

Sie hatte die Welt umrundet. Hier, in England, hatte sie nie zuvor auch nur den Weg von Plymouth nach London zurückgelegt. Nun zogen Straßen um Straßen am Fenster der Kutsche vorbei, vom Regen verschwommene Bilder. Im Hintergrund, rechter Hand, konnte Mary bald die Themse als silbern glänzendes Band erkennen. Linker Hand überragte die bleierne Kuppel von St. Paul’s das Dächermeer. Dreihundertfünfundsechzig Fuß hoch, für jeden Tag des Jahres einen Fuß, von einem verschwindend kleinen Kreuz in sanftem Gold gekrönt.

Langsam ließ sie sich zurücksinken. Du hast eine Aufgabe, beschwor sie sich. Du wirst hineingehen und ihnen deine Erkenntnisse präsentieren. Die werden sie dir nicht nehmen können.

Der Wagen hielt an. William öffnete die Tür, und Mary erblickte das Somerset House. Ein Palast, ein weißschimmernder Palast des Wissens, aus grobem Portlandstein gebaut. Unüberschaubar mit seiner kaum endenden Längsfront und dem mittig platzierten Eingangsportal samt seinem flachen Spitzgiebel, dessen darüberliegende Fensterfront von Säulen eingefasst war. Der Wind umarmte sie, als sie aus dem Wagen stieg.

William nahm ihre Hand und hielt sie für einen Moment fest umschlossen. Seine Augen waren schwarz und glänzend, als hätte er Fieber. Gern hätte sie ihre nassen Finger noch einen Augenblick in seiner Hand gewärmt, doch sie durfte nicht zu spät erscheinen. Sie versuchte, ihm ein Lächeln zu schenken, bevor sie sich dem Wind überließ, der sie kraftvoll dem Portal entgegenschob und ihren Rücken stützte.

Ein junger Mann nahm sie in Empfang und führte sie durch das Entree, dem Gang auf Gang und Tür auf Tür folgten. Menschen eilten ihnen entgegen und verschwanden.