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»Was sagen?«, fragte die bärtige Luisa und wandte sich dann an den Riesen: »Qué hace?«

»No sé«, sagte Carlos achselzuckend.

»Das erzähl ich euch oben«, erwiderte Maureen und schloss die schwere Eisentür auf, die zu einem kargen und unbeleuchteten Treppenhaus führte. »Es gibt was zu feiern.« Und mit Blick auf Heather und Celia setzte sie hinzu: »Ihr seid natürlich herzlich eingeladen.«

Die »Wohnung« der drei Bühnendarsteller befand sich im vierten Stock des Lagerhauses, direkt unter dem Dach. Im Grunde war sie nichts anderes als ein zugiger Verschlag, der mit groben Leinentüchern vom Rest des mit Stützbalken und Halbwänden versehenen Dachbodens abgetrennt war. Es gab noch weitere dieser Wohnwinkel auf dem Stockwerk, doch keiner von ihnen verfügte auch nur über eine Eingangstür.

Maureen schob das bis zum Boden reichende Laken zur Seite und sagte: »Willkommen in unserem Zeltlager!«

In einer Ecke des Verschlags lag eine Doppelmatratze auf dem Boden, in einer anderen Ecke eine einzelne Matte. Außer diesen Bettstellen gab es nur eine kleine Kommode, einen Waschzuber, zwei Stühle und einen winzigen Tisch, auf dem eine Petroleumlampe stand. Der Eisenofen in der Ecke hatte eine Kochplatte, aber kein Abzugsrohr.

»Gemütlich«, sagte Celia höflich, da ihr nichts Besseres einfiel.

»Brauchst dich meinetwegen nicht bemühen«, lachte Maureen. Sie entzündete die Lampe, stellte die Ledertasche, in der sie ihre Kostüme und Requisiten verstaut hatte, auf den Tisch und zog mit großer Geste eine Flasche Gin hervor.

»Oho!«, jubelte Heather. »Was sehen meine entzündeten Augen?«

Luisa und Carlos sahen sich verständnislos an, ließen sich aber ebenso wie die anderen einschenken. Da es nur drei Gläser gab, tranken Maureen und Heather aus großen Blechtassen, die bis oben hin gefüllt waren.

»Und was gibt es zu feiern?«, wollte Celia wissen, nachdem sie an dem Schnaps genippt und die Miene verzogen hatte.

»Eine neue Arbeit«, sagte Maureen und ließ sich auf ihre Matratze fallen. »Auf der Großen Bühne im People’s Palace. Für nur einen Auftritt am Abend, bei dreifacher Gage. Nächste Woche geht’s los.«

»People’s Palace?«, wunderte sich Luisa und kraulte ihren Bart. »Du arbeiten?«

»Im Mile End?«, setzte Carlos ehrfürchtig staunend hinzu. Selbst im Sitzen war er größer als Celia, die neben dem Tisch stand.

»Si«, antwortete Maureen grinsend und hob ihren Becher. »Und darauf trinken wir. Salud!«

»Seit wann gibt es im Volkspalast ein Kuriositätenkabinett?«, meinte Heather skeptisch und kippte den Gin hinunter, als wäre es Wasser. »Und wie willst du dich da nennen? Milly, die Mamba von Mile End?« Sie lachte spöttisch.

»Sehr witzig«, sagte Maureen säuerlich.

»Was ist dieser People’s Palace überhaupt?«, wollte Celia wissen. Sie hielt ihr Glas prostend in die Höhe, nippte aber nur vorsichtig an dem Gin.

»So ’ne schnieke Bude für feine Pinkel, die sich für was Besseres halten«, sagte Heather und zog einen Flunsch. »Dabei steht der Palast mitten im East End, an der Mile End Road, gleich vorm Regent’s Canal. Drumherum wimmelt’s von Armenhäusern, billigen Matrosenkaschemmen und verkommenen Dockanlagen.«

Celia wunderte sich, dass Heather alles madig zu machen versuchte, was mit Maureen zu tun hatte. Solange Celia die Schlangenfrau von Shoreditch noch nicht persönlich kennengelernt hatte, hatte Heather mit der Freundin und ihren erstaunlichen Fähigkeiten regelrecht geprahlt, doch seit sie bemerkt hatte, dass Celia Gefallen an Maureen und ihren Künsten gefunden hatte, schien es Heather ein wahres Bedürfnis zu sein, alles schlechtzureden und mieszumachen. Als wären die beiden Konkurrentinnen und nicht alte Freundinnen.

»Der Palast wurde erst vor Kurzem gebaut und von der Königin eingeweiht«, begann Maureen, wurde aber prompt von Heather unterbrochen.

»Das ist immer noch ’ne Baustelle«, warf sie unfreundlich ein und hielt Maureen ihre Tasse hin.

»Mag sein«, antwortete diese achselzuckend, schenkte nach und lächelte dann Celia zu. »Aber der große Festsaal und die Bibliothek sind schon fertig. Ein riesiges und stattliches Gebäude ist das, wie ein richtiger Königspalast, überall Säulen und Statuen und Gemälde und bunte Fenster. Dort finden seit einiger Zeit Tanz-und Kulturveranstaltungen statt. Bälle, Konzerte, Theateraufführungen, Lesungen, Vorträge und so was in der Art.«

»Aber keine Monstrositätenshows«, höhnte Heather.

»Wir nicht monstruos«, empörte sich Luisa.

»Nein, natürlich nicht«, lachte Heather heiser und zupfte sich am Kinn, als wollte sie sich den Bart kraulen. »Hätte ich kein Rasiermesser, würde ich auch so aussehen wie du! Und das lange Elend neben dir ist auch ganz normal.«

»Schnauze da drüben!«, meldete sich eine Männerstimme aus einem der Nachbarverschläge. »Wenn ihr lärmen wollt, dann geht in den Pub!«

Heather unterdrückte ein weiteres Lachen und wedelte mit der Hand.

»Jetzt lass gut sein!«, zischte Maureen und legte den Zeigefinger auf die Lippen.

Luisa und Carlos stellten beleidigt ihre Gläser ab, nickten Maureen und Celia zu, ignorierten Heather und begaben sich zur ihrer Doppelmatratze, die sie durch einen weiteren Schiebevorhang vom übrigen Wohnwinkel trennen konnten.

»Was ist denn mit denen los?«, fragte Heather verächtlich. »Laus über die Leber gelaufen? Oder sollte ich sagen: Laus über den Bart?«

Maureen verdrehte die Augen und schwieg.

»Und du?«, fragte Celia und schüttelte den Kopf, als Maureen ihr nachschenken wollte. »Du wirst mit deiner Show im Festsaal auftreten?«

»So sieht’s aus«, antwortete Maureen stolz. »Auf einer riesigen Bühne vor tausenden von Zuschauern. Ich war gestern da und hab’s mir angeschaut. So was Schickes habe ich lange nicht gesehen.«

»Da passt du mit deinem durchsichtigen Trikot ja wunderbar hin«, knurrte Heather. »Können dir gleich tausende zwischen die Schenkel glotzen.«

»Wenigstens glotzen sie nur und stecken nichts rein!«, fauchte Maureen.

»Was soll ’n das jetzt heißen?«, rief Heather.

»Ruhe, verdammt!«, schrie der Nachbar von nebenan. »Sonst komm ich rüber und steck euch auch was rein, nämlich in die Schnauze!«

Eine peinliche Stille entstand. Celia starrte verlegen auf ihre Hände, Heather schenkte sich unterdessen selbst was nach, da sie offensichtlich keine Lust hatte, Maureen darum zu bitten.

»Maureen?«, flüsterte Celia scheu und beugte sich dabei ein wenig vor.

»Hm?«

»Kann ich dich was fragen?«

»Sicher.« Sie schien sich zu erinnern und fragte: »Du suchst jemanden, oder?«

»Es geht um meinen Vater.«

Maureen schaute einen Moment überrascht, nickte ihr dann aber auffordernd zu.

»Du bist doch mal beim Silver King aufgetreten, nicht wahr?«

Wieder ein Nicken, etwas zögerlicher und vorsichtiger, dann setzte sie hinzu: »Ist aber schon etwas länger her. Wieso?«

»1884?«, fragte Celia.

»So lange nun auch wieder nicht. ’84 war ich noch in Blackburn.«

»Kennst du einen Ned Brooks? Hast du den Namen schon mal gehört? Er hat für Tom Norman in der Whitechapel Road gearbeitet. Oder dort gewohnt.«

»Dein Vater?«, fragte Maureen und schüttelte den Kopf, als Celia nickte. »Der Name sagt mir nichts. Als was ist er denn aufgetreten?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete Celia und starrte auf ihre Finger, als würde ihr Blick wie von einem Magneten angezogen. »Er war eigentlich kein Schausteller, jedenfalls konnte er nichts Besonderes. Er war Seemann. Einfacher Matrose. Auf Rennjachten und so.«

»Kenn keinen Matrosen mit dem Namen«, antwortete Maureen, beugte sich vor und legte ihre Hand auf Celias Knie. »Und Tom Norman hab ich erst vor zwei Jahren kennengelernt. Da hat kein Seemann für ihn gearbeitet. Oder bei ihm gewohnt. Tut mir leid.«