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Celia ging hinauf in den Schlafraum, um ihren Koffer zu holen, und stieß in der Tür beinahe mit Heather zusammen, die eine zerschlissene Reisetasche geschultert hatte und vor Schreck laut aufschrie.

»Jesses!«, rief sie mit ihrer heiseren Stimme und fasste sich an die Brust. »Du kannst einen vielleicht erschrecken. Was glotzt ’n so komisch? Ist was?«

»Kannst du mir erklären, was hier los ist?«, fragte Celia und berichtete von der Frühstücksszene.

»Ach, das!«, lachte Heather, klopfte Celia aufmunternd auf die Schulter und folgte ihr zu ihrem Bettkasten. »Mach dir nichts draus! Das ist nur wegen dem verrückten Bedford.«

»Adam?«, wunderte sich Celia. »Was ist mit ihm?«

»Hast dem Kerl ganz schön den Kopf verdreht«, meinte Heather und ließ sich ächzend auf ihrem Bett nieder. »Junge, Junge, hat der hier einen Aufstand gemacht! So ein verrückter Hund!«

»Was? Wann?«, entfuhr es Celia. »Wovon redest du?«

»Von gestern Abend«, sagte Heather und lachte abfällig. »Vor dem Haus hat er gestanden und rumkrakeelt. Dass er unbedingt mit dir sprechen muss, um sich zu entschuldigen. Er wär jetzt ein anderer Mensch. Er hätte sich geändert. Irgendwas in der Art. Der war gar nicht mehr zu beruhigen und hat geflennt wie ein Schuljunge, der vom Lehrer was auf die Finger bekommen hat. War ’n ganz schönes Theater, das kannst du mir glauben. Alle haben an den Fenstern gestanden und sich über ihn lustig gemacht. Aber der hat sich einfach nicht mehr eingekriegt. Als wär er betrunken. War er vielleicht auch.«

Celia schüttelte fassungslos den Kopf und brachte kein Wort heraus.

»Der wollte einfach nicht glauben, dass du nicht im Haus bist«, fuhr Heather fort. »Dachte wohl, du würdest dich vor ihm verstecken. Er hat gezetert, als hätte er komplett den Verstand verloren. Erst als Captain Florence kam, hat er sich langsam beruhigt und ist schließlich wie ein begossener Köter davongeschlichen. Das Gegröle der Mädels kannst du dir vorstellen.« Heathers belustigte Miene nahm plötzlich einen nachdenklichen Ausdruck an, dann setzte sie kopfschüttelnd hinzu: »Mensch, Celia! Ausgerechnet der verrückte Bedford! Wie bist ’n bloß an den gekommen?«

»Ich bin überhaupt nicht an den gekommen«, protestierte Celia und holte ihren Koffer unter dem Bett hervor. »Ich weiß auch nicht, was in ihn gefahren ist. Gestern ist er plötzlich aus der Haut gefahren. Der war mit einem Mal wie verwandelt. Ich hab’s mit der Angst zu tun bekommen und bin vor ihm weggelaufen.« Sie dachte an Adams irren Gesichtsausdruck, und wieder schauderte es sie. Dann fragte sie: »Woher kennst du ihn überhaupt?«

»Bedford? Den kennt hier jeder«, schnaufte Heather verächtlich. »Und alle nehmen sich in Acht vor ihm. Dem ist nämlich nicht zu trauen. So ’ne fromme Uniform macht noch keinen neuen Menschen.«

»Was meinst du damit?«, fragte Celia und erinnerte sich an die seltsamen Andeutungen, die Captain Florence gemacht hatte. »Was ist denn mit ihm?«

»Verrückt ist der Kerl, wenn du mich fragst«, antwortete Heather, tippte sich an die Stirn und blies bedeutsam die Backen auf. »Und ’n gemeingefährlicher Mörder obendrein.«

»Ein Mörder? Wie kommst du darauf?«

»Jedenfalls hat er seine Frau auf dem Gewissen«, meinte Heather und hob die buschigen Augenbrauen. »Auch wenn er dafür nicht ins Zuchthaus musste.«

Celia verstand nicht. »Seine Frau ist bei der Geburt ihres Kindes gestorben«, sagte sie und schüttelte verwirrt den Kopf. »Genauso wie das Kind.«

»Aber doch nur, weil der Kerl sie vorher im Suff verprügelt hat«, antwortete Heather und deutete einen Faustschlag in den Bauch an. »Aus Eifersucht, heißt es. Weil er im Alkoholwahn geglaubt hat, das Kind sei nicht von ihm.«

»Bist du sicher?«, erkundigte sich Celia leise.

»Ich war nicht dabei«, lachte Heather knurrig. »Aber so wurde es mir erzählt. Er hat sie verdroschen, deswegen gab’s die Blutungen und die Fehlgeburt. Umgebracht hat er sie, auch wenn’s ihm nie angekreidet wurde. Das sagen alle, also wird’s wohl stimmen. Und jetzt mimt er den Heiligen und Abstinenzler und will andere bekehren. Ausgerechnet der!«

»Er hat mir ihr Grab gezeigt«, sagte Celia fassungslos. »Er hat gesagt, dass er sich für sie freut, weil sie in die Herrlichkeit befördert wurde.«

»Verrückt! Sag ich doch«, lautete Heathers abschließendes Urteil. »Halt dich von dem Irren fern. Mit solchen Kerlen ist nicht zu spaßen. Die sind zu allem fähig.« Sie stand auf, klopfte auf ihre Reisetasche und sagte: »Ich muss los.«

Celia fühlte sich mit einem Mal wie vor den Kopf geschlagen. Ihr wurde übel, alles drehte sich vor ihren Augen, sie schmeckte Galle in ihrem Mund. Plötzlich ergaben die seltsamen Andeutungen von Florence Booth einen Sinn. Von der Schuld hatte sie gesprochen, die einem Mann den Verstand rauben konnte. Und von den Narben, die immer wieder aufzubrechen drohten. Celia erinnerte sich an das auffällige Zucken in Adams Gesicht, als er von den Vorwürfen gesprochen hatte, die er sich wegen des Todes seiner Frau machte. Und sie begriff nun, dass Adam den Frieden mit seiner unverzeihlichen Tat gemacht hatte, indem er die Tatsachen verdreht hatte. In Wahrheit hatte nicht erst der Tod seiner Frau ihn zum Alkoholiker gemacht, vielmehr hatte die Trunksucht seine Frau getötet. Doch Adam hatte in seiner Erinnerung Ursache und Wirkung vertauscht. Durch Eva Booth hatte er zwar zu Gott gefunden und den Alkohol überwunden, doch den Teufel war er deswegen nicht losgeworden. Das hatte Celia gestern am eigenen Leib zu spüren bekommen.

»Mach’s gut, Celia!«, rief Heather und winkte von der Tür.

Celia fuhr wie aus einem bösen Traum auf. Erst jetzt begriff sie, was Heathers Worte, das unberührte Bett und ihre geschulterte Reisetasche bedeuteten. Sie sprang auf und fragte: »Wo willst du hin?«

»Ich zieh um«, antwortete Heather grinsend. »Die frommen Schwestern haben mich die längste Zeit getriezt. Damit ist es nun vorbei.«

»Wohin gehst du?«

»Zu meinem Freund.«

»Du hast einen Freund?«, wunderte sich Celia. »Seit wann?«

»Seit gestern. Hab ihn letzte Nacht im Ten Bells kennengelernt«, lachte Heather und zwinkerte ihr zu. »Er wohnt nicht weit von hier. Drüben in der Dorset Street. Wir werden uns also vermutlich weiterhin über den Weg laufen, Schätzchen.«

Celia wunderte sich, dass Heather einen Tag, nachdem sie jemanden in einer Kneipe kennengelernt hatte, gleich zu ihm in die Wohnung zog, doch das behielt sie lieber für sich. Stattdessen fragte sie: »Wie heißt denn dein neuer Freund?«

»Michael«, antwortete Heather. »Er arbeitet unten am Hafen.«

»Freut mich für dich«, sagte Celia zögerlich und merkte, dass ihre Worte halbherzig und unecht klangen. Deshalb fügte sie rasch hinzu: »Ehrlich! Ich wünsch dir alles Gute.« Sie überlegte, ob sie Heather von Maureens Angebot und ihrer neuen Unterkunft in Stepney erzählen sollte. Doch dann entschied sie sich dagegen, lief zur Tür und drückte Heather an sich. Die Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie sagte: »Danke für alles.«

»Nun übertreib mal nicht!«, wehrte Heather ab, ohne jedoch ihre Rührung ganz verbergen zu können. »Ich bin ja nicht aus der Welt.« Dann verdrehte sie plötzlich theatralisch die Augen, hob entschuldigend die Hand und rief: »Was bin ich doch für ein dummes Schaf!« Sie griff in ihre Reisetasche, holte ein gefaltetes Papier heraus und sagte: »Ich hab ja noch ein Geschenk für dich. Hab ich gestern in einer Buchhandlung in der Brick Lane entdeckt. Das ganze Buch konnte ich nicht mitgehen lassen, war so ’n dicker Sammelband in Leder, aber die eine Seite tut’s vermutlich auch.«