Aidan setzte zögernd an. »Bist du sicher, daß es hier etwas herauszufinden gibt, Lady? Ich meine, könnte es sein ...?« Er verstummte unter ihrem mißbilligenden Blick.
Dego schaltete sich besorgt ein.
»Wenn Aidan hier am hellen Tage losreitet, Lady, hat er keine große Chance, falls Krieger von Laigin uns beobachten, wovon man wohl ausgehen kann.«
»Dann geben wir ihnen eben etwas zu beobachten«, erwiderte Fidelma mit einem plötzlichen Aufwallen ihrer alten Zuversicht. »Wir gehen in die Stadt und suchen uns eine Unterkunft. Sind wir erst einmal in der Menschenmenge, verläßt uns Aidan. Wenn er nach Westen zum Slaney reitet, sieht es so aus, als ob er einfach nach Cashel zurück will. Dicht am Fluß gibt es genügend Wald, und in dessen Schutz kann er sich nach Norden wenden. Einverstanden?«
»Einverstanden«, erklärte Aidan. Dann fuhr er fort: »Es tut mir leid, Lady, daß ich gezweifelt habe .«
Fidelma legte ihm die Hand auf den Arm.
»Du hast das Recht zu zweifeln, Aidan. Das Unvorstellbare könnte wahr sein - Eadulf könnte schuldig sein. Wir wollen nicht vorschnell urteilen. Aber denken wir auch daran, daß wir ihn kennen.«
Dego wechselte Blicke mit seinen Kameraden.
»Wir halten zu dir, Lady. Gehen wir jetzt?«
»Sogleich. Wir führen unsere Pferde vom Tor langsam und zwanglos den Berg hinunter, und wenn wir zwischen den Häusern sind und den Blicken von der Burg entzogen, dann kann Aidan aufsitzen und nach Westen reiten.«
Sie ließen ihre Pferde aus dem Stall holen. Als die Stallburschen sie brachten, kam der Befehlshaber der Wache heraus.
»Bleibt ihr nicht hier, Lady?« fragte er überrascht. Für gewöhnlich wurde hochstehenden Besuchern die Gastfreundschaft des Königs angeboten.
»Wir suchen uns eine Unterkunft in der Stadt«, erklärte sie ihm. »Es ist besser, wenn ich und meine Begleiter uns nicht der Gastfreundschaft eures Königs aufdrängen.«
Der Mann schaute verblüfft drein. Es war ungewöhnlich, aber er wußte etwas von der Feindschaft zwischen Fearna und Cashel und führte ihren Weggang darauf zurück.
»Sehr wohl, Lady. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«
»Vielleicht kannst du uns ein Gasthaus in der Stadt empfehlen.«
Der Befehlshaber der Wache reagierte sofort. »Es gibt mehrere, Lady. Ich habe eine Schwester, die das Gasthaus zum Gelben Berg gleich hinter dem Hauptplatz führt. Es ist nach dem Ort benannt, aus dem wir stammen, sieben Kilometer nordöstlich von hier. Ihr Haus ist sauber und ruhig. Sie duldet keine Rüpeleien.«
»Dorthin werden wir uns wenden«, versicherte ihm Fidelma mit dankbarem Lächeln.
»Sie heißt Lassar. Sag ihr, daß ihr Bruder das Haus empfohlen hat.«
Mit den Zügeln über dem Arm führten sie die vier Pferde durch das Tor der Burg und den abfallenden Weg hinunter zu dem Gewirr der Häuser. Es war Mittag, und in den Straßen drängten sich die Menschen. Auf dem Hauptplatz wurde Markt gehalten, er war voller Stände, an denen alle Arten von Fisch, Geflügel und Fleisch verkauft wurden ebenso wie Obst und Gemüse. Die Verkäufer, die sich im Anlocken von Kunden gegenseitig überboten, veranstalteten ein ohrenbetäubendes, mißtönendes Getöse.
Fidelma führte die drei Krieger über den vollen Platz zur Mündung einer Seitenstraße und sah sich um. Sie waren nicht mehr im Blickfeld der Wachposten der Burg. Sie wandte sich an Aidan.
»Du weißt, was du zu tun hast?«
Der junge Mann lachte und sprang in den Sattel. »Ich sehe dich hier in ein paar Tagen wieder und brin-ge Barran mit, Lady. Wenn ich nicht zurückkehre, heißt das, daß ich tot bin.«
»Dann sorge dafür, daß du zurückkehrst.«
Er hob die Hand zum Gruß und grub seinem Pferd die Hacken in die Weichen.
Sie sahen ihm nach, wie er die Straße so schnell entlangritt, wie es die Passanten erlaubten. Dann verschwand er hinter Gebäuden. Fidelma seufzte tief und drehte sich zu ihren verbleibenden zwei Begleitern um.
»Wohin jetzt, Lady?« fragte Dego. »Gehen wir zur Abtei und suchen Bruder Eadulf?«
»Als erstes sollten wir dem Vorschlag des Befehlshabers der Wache folgen und das Gasthaus seiner Schwester suchen«, lächelte Fidelma. »Dann gehe ich zur Abtei.«
»Ist das nicht gefährlich? Ich meine, ein Gasthaus zu nehmen, das ein Krieger von Laigin empfohlen hat?« fragte Enda.
»Vielleicht auch nicht. Die Beziehung könnte uns nützlich werden. Ich glaube nicht, daß mit der Empfehlung eine Hinterlist verbunden ist. Ich denke, der Mann ist ehrlich.«
»Ein Krieger von Laigin und ehrlich?« Dego schien überzeugt, so etwas gäbe es nicht.
Fidelma erklärte ihre Meinung nicht weiter, sondern hielt einen Vorbeikommenden an und fragte ihn nach dem Gasthaus zum Gelben Berg. Es stellte sich heraus, daß es nur eine Straße weiter lag, aber vor dem Lärm des Hauptplatzes durch andere Gebäude geschützt war. Es machte sich kenntlich durch ein Schild mit einem gelben Dreieck, das sichtlich einen Berg darstellte. Das Gasthaus war groß, ein zweistöckiges Holzhaus mit eigenem Hof und Ställen. Es schien beliebt zu sein, denn mehrere Leute gingen hinein oder kamen heraus.
Sie führten ihre Pferde in den Hof, und Dego nahm Fidelmas Zügel, während sie zur Tür des Hauses schritt. Eine füllige Frau eilte heraus, als Fidelma sich näherte. Sie hatte ein freundliches Gesicht, und Fidelma stellte eine Ähnlichkeit mit dem Befehlshaber der Wache fest.
»Zimmer für die Nacht?« begrüßte sie die Frau. »Wir bieten die besten Preise in Fearna, Schwester. Und du findest hier eine bessere Unterkunft und besseres Essen, als wenn du um kostenlose Unterbringung in der Abtei bittest .«
Sie brach ab, als sie plötzlich an der Ausrüstung der beiden Krieger erkannte, daß sie aus Muman kamen.
»Bist du Lassar?« fragte Fidelma freundlich und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich.
»Ja.« Mit mißtrauischer Miene musterte die Wirtin die Fragestellerin.
»Es war dein Bruder, der Krieger in der Burg, der uns dein Gasthaus empfohlen hat, Lassar.«
Die Augen der Frau weiteten sich achtungsvoll. »Ihr wart in Fianamails Burg?«
»Es gehörte zu meinem Auftrag hier, auch mit Fia-namail zu sprechen«, erklärte ihr Fidelma. »Hast du Zimmer für meine Begleiter und für mich?«
Lassar schaute zweifelnd zu den Kriegern hinüber, ehe sie Fidelma antwortete.
»Ich habe ein Zimmer, das sie sich teilen können, und ein kleines Zimmer für dich allein - aber das kostet mehr, als wenn ihr zusammen in einem Zimmer schlaft«, fügte sie gleich hinzu.
»Das ist kein Problem.«
Lassar hob die Hand, und wie aus dem Nichts erschien ein Stallbursche und führte ihre Pferde fort. Dego hatte ihnen rasch noch die Satteltaschen abgenommen.
Die breitgesichtige Frau winkte sie herein. »Dann hat also Mel das Gasthaus empfohlen, ja?«
»Mel?«
»Mein Bruder. Ich dachte, er fühlte sich vielleicht zu erhaben, um sich an mein Geschäft zu erinnern, wo er doch jetzt der Befehlshaber von Fianamails Palastwache ist.«
»Jetzt?« Fidelma war die leichte Betonung nicht entgangen. »Ist er erst kürzlich Befehlshaber geworden?«
»O ja. Er ist gerade erst in die Wache aufgenommen und zu ihrem Hauptmann gemacht worden.«
Lassar führte sie die Treppe zum zweiten Stock hinauf und zu einer Tür, die sie mit einer Miene aufriß, als enthülle sie einen kostbaren Schatz. Es war ein dunkles, enges Zimmer mit einem winzigen Fenster, das einem Furcht einflößen konnte.
»Das ist dein Zimmer, Schwester.«
Fidelma hatte schon Schlimmeres gesehen. Wenig-stens schien es warm zu sein, und das Bett war bequem.
»Und das Zimmer für meine Begleiter?«
Lassar zeigte den Korridor entlang.
»Das da hinten können sie sich teilen. Möchtet ihr auch im Hause essen?«
»Ja, allerdings könnten sich unsere Pläne ändern.«
Lassar überlegte. »Dann wollt ihr also einige Zeit bleiben?«