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»Womit kann ich dir dienen, Schwester Fidelma?« fragte sie mit weniger atemloser Stimme als zuvor.

»Ich möchte sofort mit Bruder Eadulf sprechen.«

Schwester Etrommas Augen weiteten sich. »Mit dem Angelsachsen? Den willst du aufsuchen?«

»Ist das ein Problem? Die Äbtissin hat gesagt, ich solle jede Unterstützung erhalten.«

»Natürlich.« Schwester Etromma sah verwirrt aus. »Daran habe ich nicht gleich gedacht. Komm, ich zeige dir den Weg.«

»Bist du hier schon lange Verwalterin?« fragte Fidelma, während sie durch die düsteren, gewölbten Gänge der Abtei schritten.

»Ich bin hier rechtaire seit zehn Jahren. In die Abtei kam ich schon als Kind, mit meinem Bruder zusammen.«

»Zehn Jahre rechtaire«, überlegte Fidelma. »Das ist eine ganz schöne Zeit. Kennst du Äbtissin Fainder schon lange? Ich weiß, daß sie erst kürzlich aus Rom zurückgekehrt ist, aber kanntest du sie, bevor sie dorthin ging?«

»Als sie vor drei Monaten in die Abtei kam«, sagte Schwester Etromma, »war sie den meisten von uns fremd. Vor ihr war Noe unser Abt. Wir sind ein gemischtes Haus, weißt du. Wie Kildare.«

Fidelma quittierte das mit einem kurzen Lächeln.

»Ich weiß. Warum hat sich Abt Noe entschlossen, von der Leitung des Klosters zurückzutreten?«

»Es war der König selbst, der Noe ersuchte, sein geistlicher Berater zu werden, so hat man es uns jedenfalls erzählt. Er hat noch Zimmer in der Abtei, aber meist hält er sich im Königspalast auf. Die Leitung der Abtei ging an Fainder über, die dann zu unserer Äbtissin ernannt wurde.«

Spürte Fidelma eine leichte Bitterkeit in ihrem Ton?

»Warum wurde Fainder dazu ernannt, wenn sie vorher gar nicht dieser Gemeinschaft angehörte?«

Schwester Etromma gab darauf keine Antwort.

»Als rechtaire der Abtei seit zehn Jahren, könnte man meinen, hättest du einen größeren Anspruch darauf gehabt?« drang Fidelma in sie.

»Sie war ein Schützling Abt Noes in Rom.«

»Ich wußte nicht, daß Noe jemals Geistlicher in Rom war.«

»Er machte nur eine Pilgerreise und hielt sich nicht lange dort auf. Da lernte er die Äbtissin kennen, glaube ich, und brachte sie mit zurück als seine Nachfolgerin. Nach seiner Rückkehr kündigte er an, er wolle sich aus der Abtei zurückziehen.«

»Das ist ungewöhnlich«, bemerkte Fidelma. Dann fiel ihr eine andere Möglichkeit ein. »Ist Fainder vielleicht mit Noe verwandt?«

Die Bevorzugung von Verwandten war auch in religiösen Häusern nicht unbekannt, und oft gelangten Äbte, Äbtissinnen und sogar Bischöfe durch dasselbe Nachfolgesystem ins Amt wie die Könige und der Adel. Sie mußten von entsprechender Abstammung sein und wurden dann von ihren derbhfine gewählt, die sich gewöhnlich aus drei Generationen einer Familie zusammensetzten, die von einem gemeinsamen Urgroßvater abstammte. Oft wurden auf diese Art und Weise Söhne, Enkel, Neffen und Vettern oder Kusinen zu Nachfolgern von Äbten oder Äbtissinnen gemacht.

Als Etromma nicht auf ihre Frage reagierte, stellte Fidelma eine andere.

»Bist du zufrieden mit der Art, wie die Äbtissin das Kloster leitet? Ich meine, gefällt dir Fainders Bestreben, nach den Bußgesetzen und nach der römischen Form der Verwaltung zu herrschen? Es überrascht mich, daß Abt Noe diese neue Entwicklung absegnet, denn ich dachte immer, er wäre ein Anhänger der Regel Colmcilles.«

Schwester Etromma blieb einen Moment stehen und veranlaßte Fidelma, dasselbe zu tun. Die Verwalterin schaute sich um, als fürchte sie heimliche Lauscher, ehe sie antwortete.

»Schwester«, flüsterte sie, »es ist nicht klug, hier von solchen Konflikten zu reden. Über die Differenzen zwischen der irischen und der römischen Kirche wird an diesem Ort nicht gesprochen. Seit Fainder unsere Äbtissin geworden ist, hat sie Macht und Reichtum erlangt. Es ist nicht angebracht, Kritik zu äußern.«

»Reichtum?« forschte Fidelma.

Schwester Etromma zuckte die Achseln. »Die Äbtissin verachtet materiellen Besitz nicht, wenn sie auch anderen die Strenge der Bußgesetze predigt. Seit ihrer Ankunft hier scheint sie ein großes Vermögen erworben zu haben. Vielleicht sollte man an die Reichen und Mächtigen denken, die sie begünstigen. Aber mir steht es nicht zu, Kritik zu üben.«

Fidelma war es klar, daß die Verwalterin einen Groll gegen die Äbtissin hegte.

Doch Fidelma wollte die Frage der Vorurteile Schwester Etrommas nicht weiter verfolgen. Ihr lag mehr daran, zu erfahren, wie es Eadulf erging.

Schwester Etromma lief rasch den Gang weiter.

»Weißt du, was mit Bruder Eadulf geschehen ist?« Fidelma griff dieses Thema nach einer kleinen Pause auf.

»Er soll morgen hingerichtet werden.«

»Ich meine die Dinge, die zu seinem Prozeß geführt haben.«

»Ich weiß, daß er bei seiner Ankunft ganz angenehm wirkte und unsere Sprache gut beherrschte.«

»Du bist ihm also begegnet, als er hier ankam?«

»Bin ich nicht die rechtaire der Abtei? Es ist meine Pflicht, alle Reisenden zu begrüßen, besonders diejenigen, die unsere Gastfreundschaft in Anspruch nehmen wollen.«

»Wann kam er denn hier an?«

»Vor ungefähr drei Wochen. Er stand am Tor und bat um Unterkunft für eine Nacht. Er sagte, er wolle auf einem Flußschiff hinunter zum Loch Garman fahren. Dort wollte er ein Schiff suchen, das ihn ins Land der Angelsachsen zurückbrächte. Viele angelsächsische Schiffe laufen heutzutage Loch Garman an.«

»Was geschah dann?«

»Davon weiß ich nur wenig. Er kam, wie gesagt, am späten Nachmittag an, und ich gab ihm ein Bett im Gästehaus. Er nahm am Gottesdienst teil und aß eine Mahlzeit. In der Nacht wurde ich von der Äbtissin geweckt. Anscheinend war die Leiche einer jungen Novizin am Kai außerhalb der Abtei gefunden worden. Der Hauptmann der Wache hatte sie entdeckt. Von den Schiffen, die dort anlegen, wird viel gestohlen. Ein ausgedehnter Handel läuft über die Stadt. Deshalb wird an den Kais ständig Wache gehalten. Dieses junge Mädchen war vermutlich vergewaltigt und dann erdrosselt worden. Es wurde Alarm geschlagen. Die Äbtissin forderte mich auf, sie zu dem Nachtlager des Angelsachsen zu führen.«

Fidelma runzelte die Stirn. »Warum zu dem Angelsachsen? Wieso verfiel die Äbtissin gerade auf ihn?«

Schwester Etromma blieb ungerührt. »Ganz einfach. Er war erkannt worden.«

»Erkannt? Von wem und wie?« Fidelma bemühte sich, ihr Entsetzen nicht zu verraten.

»Der Hauptmann der Wache hatte der Äbtissin erklärt, daß der Angelsachse der Täter sei. Ich führte die Äbtissin, den Hauptmann der Wache und ein paar andere ins Gästehaus. Der Angelsachse war im Bett und tat so, als ob er schliefe. Als man ihn aus dem Bett holte, fand man Blutflecke an ihm und ein Stück Stoff, das von der Kutte der toten Novizin abgerissen war.«

Fidelma unterdrückte ein Stöhnen. Das sah übler aus, als sie sich vorgestellt hatte.

»Das ist schlimm genug, aber du hast mir noch nicht gesagt, wie er erkannt wurde. Ich verstehe nicht, wie der Hauptmann der Wache behaupten konnte, der Angelsachse sei der Täter, wenn er, wie du sagst, nicht auf frischer Tat ertappt, sondern schlafend im Gästehaus gefunden wurde. Wie heißt übrigens dieser Hauptmann der Wache? Mit dem möchte ich sprechen.«

»Sein Name ist Mel.«

Diese Auskunft überraschte Fidelma.

»Ist das derselbe Mel, der jetzt die Palastwache Fia-namails befehligt? Der Bruder von Lassar, der Wirtin des Gasthauses zum Gelben Berg?«

Schwester Etromma schaute sie verblüfft an. »Den kennst du also schon?«

»Ich wohne im Gasthaus zum Gelben Berg.«

»Nach seiner erfolgreichen Festnahme des Angelsachsen hat ihn der König befördert. Vorher war er Hauptmann der Wache am Hafen.«

»Eine schöne Beförderung«, bemerkte Fidelma trocken.

»Fianamail ist manchmal großzügig denen gegenüber, die ihm gute Dienste leisten«, meinte die Verwalterin. Hörte Fidelma einen leicht ironischen Ton heraus?