Eadulf grinste trübselig. »Und ohne Essen und Wasser«, setzte er hinzu. »Ich erwähnte schon, daß die Gastfreundschaft der Abtei nicht eben die beste ist.«
Fidelma starrte ihn entsetzt an. »Was?«
»Erst nach zwei Tagen kam Bruder Cett wieder herein und brachte mir Waschwasser und etwas zum Essen. Eine Stunde später erschien ein großer, leichenblasser Mann mit einer spröden Stimme und stellte sich als ein Brehon des Königs vor.«
»Bischof Forbassach!«
»Ja, er nannte sich Bischof Forbassach. Kennst du ihn?«
»Er ist mein Gegner von früher her. Aber erzähl weiter.«
»Es war dieser Forbassach, der mir erklärte, ich sei angeklagt, eine junge Novizin der Abtei vergewaltigt und dann erdrosselt zu haben. Ich war sprachlos. Ich sagte ihm, ich sei zur Abtei gekommen, um eine Mahlzeit und eine Unterkunft für die Nacht zu erbitten. Dann sei ich geweckt, ergriffen und zwei Tage lang in diese Zelle gesperrt worden. Er erwiderte, ich sei im Bett gefunden worden mit Blut auf meiner Kleidung und mit einem abgerissenen Stück von dem blutigen Gewand der Novizin.« Er verzog den Mund. »Ich glaubte es schlau anzustellen, als ich spöttisch zu dem Bischof sagte, er hätte doch behauptet, das Mädchen sei erdrosselt worden, wenn ich also voller Blut gewesen wäre, dann wäre das doch wohl ein Wunder. Da erklärte mir der Bischof, woher das Blut käme. Die Novizin war eine zwölfjährige Jungfrau. Als krönenden Abschluß informierte mich der Bischof dann noch darüber, daß es eine Augenzeugin meiner Untat gäbe.«
»Ich fürchte, das ist eine ziemlich vernichtende Beweislage, Eadulf«, meinte Fidelma. »Hast du eine Ahnung, wie das alles zustande kommt?«
Eadulf senkte den Kopf. »Überhaupt keine. Ich dachte, es wäre alles nur ein böser Traum«, murmelte er.
»Stimmt es, daß du Blut auf deiner Kleidung hattest?«
»Mir fiel das Blut an meiner Kleidung auf, kurz nachdem ich hierhergebracht worden war. Ich dachte einfach, es wäre mein eigenes Blut, denn die Leute, die mich wegschleppten, schlugen und traten mich. Ich hatte auch eine Rißwunde im Gesicht.«
Fidelma sah die kleine vernarbende Wunde. »Und das abgerissene Stück von der Kutte?«
Eadulf zuckte die Achseln. »Davon wußte ich nichts, bis mir bei der Gerichtsverhandlung ein Stück Tuch vorgehalten wurde. Ich kannte es nicht.«
»Und die Augenzeugin?«
»Das junge Mädchen? Die log oder irrte sich.«
»Hattest du sie schon einmal gesehen? Ich meine, bevor sie dich beschuldigte?«
»Ich glaube nicht. Ich nahm an, es sei dasselbe junge Mädchen, das man in meine Zelle geführt und das auf mich gezeigt hatte. Ich muß zugeben, daß ich nach all den Schlägen noch nicht ganz auf der Höhe war. Sie erschien bei der Verhandlung und wurde Fial genannt.«
»Du sagtest, du hättest am Gottesdienst teilgenommen und zu Abend gegessen, ehe du zu Bett gingst. Hast du Fial dabei gesehen?«
»Meines Wissens nicht, aber sie könnte mich gesehen haben. Merkwürdigerweise kann ich mich an gar keine jungen Novizinnen in der Kapelle erinnern, jedenfalls nicht an so junge wie sie. Fial war höchstens zwölf oder dreizehn Jahre alt.«
»Hast du mit irgend jemandem gesprochen außer mit der Verwalterin und der Äbtissin?«
»Ich habe mich kurz mit einem jungen Bruder unterhalten. Er hieß Ibar.«
Fidelma hob überrascht den Kopf. »Ibar?« Unwillkürlich ging ihr Blick zum Fenster, und sie dachte an den Leichnam am Galgen.
»Es hieß, er habe einen Tag nach meinem angeblichen Mord an dem jungen Mädchen einen Flußschiffer umgebracht«, bestätigte Eadulf. »Heute früh haben sie ihn gehängt.« Plötzlich erschauerte er. »Irgend etwas stimmt hier nicht, Fidelma. Ich meine, du solltest diesen Ort sofort verlassen, ehe dir etwas zustößt. Ich könnte den Gedanken nicht ertragen ...«
Fidelma beugte sich vor und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.
»Was hier auch immer nicht stimmen mag, Eadulf, sie würden nicht wagen, mir etwas anzutun, aus Furcht vor einer Vergeltung, der sie nicht gewachsen wären. Wer >sie< auch sein mögen. Mach dir keine Sorgen um meine Sicherheit. Außerdem habe ich zwei Krieger meines Bruders bei mir.«
Eadulf schüttelte hartnäckig den Kopf. »Trotzdem ist deine Sicherheit an diesem Ort der Finsternis nicht gewährleistet, Fidelma. Etwas Böses geht in dieser Abtei um, und es wäre mir lieber, wenn du mich verloren gibst und um deiner Sicherheit willen nach Cashel zurückkehrst.«
Fidelma schob trotzig das Kinn vor. »Hör auf mit diesem Gerede, Eadulf. Ich bin hier, und ich bleibe hier, bis wir die Angelegenheit geklärt haben. Nun konzentriere dich. Erzähl mir von deiner Gerichtsverhandlung.«
»Die Zeit verging, ich verlor den Überblick. Bruder Cett brachte mir nur ab und zu etwas Essen, und waschen durfte ich mich, wenn es ihm gerade gefiel. Er liebt es, anderen weh zu tun. Ein böser Mensch. Nimm dich vor ihm in acht.«
»Ich habe gehört, er sei etwas einfältig.«
Eadulf lächelte schief. »Einfältig? Ja. Er gehorcht, wenn ihm etwas befohlen wird, und etwas Schwieriges kann er nicht verstehen. Aber wenn ihm geheißen wird, er solle Schmerzen zufügen, dann genießt er das. Er fungierte als Henker bei . « Eadulf zeigte zum Fenster, und Fidelma erriet den Rest.
Angewidert rümpfte sie die Nase. »Ein Mönch als Henker? Gott sei seiner irregeleiteten Seele gnädig. Aber du wolltest von der Verhandlung erzählen.«
»Ich wurde hinuntergebracht in die Kapelle, und Bischof Forbassach führte den Vorsitz zusammen mit Äbtissin Fainder. Dazu kam noch ein Mann, der ebenso finster und starr dreinschaute wie Forbassach. Es war ein Abt.«
»Abt Noe?«
Eadulf bejahte mit einem Nicken. »Kennst du den auch?«
»Beide, Bischof Forbassach und Abt Noe, sind meine Gegner von früher her.«
»Bischof Forbassach wiederholte die Beschuldigungen, und ich wies sie zurück. Forbassach meinte, es würde mir schlimm ergehen, denn ich vergeudete die Zeit des Gerichts. Ich wies die Beschuldigungen erneut zurück, denn was sollte ich sonst tun als die Wahrheit sagen?« Eadulf schwieg einen Moment nachdenklich. »Schwester Etromma wurde als Zeugin vernommen. Sie berichtete, wie sie mich in der Abtei aufgenommen hatte. Dann identifizierte sie die Leiche des ermordeten Mädchens als eine gewisse Gormgilla, die als Novizin in die Abtei eintreten wollte .«
Fidelma unterbrach ihn.
»Einen Augenblick, Eadulf. Wie lauteten ihre Worte genau? Über Gormgilla, meine ich.«
»Sie sagte, Gormgilla sei eine Novizin .«
»Das hast du eben anders ausgedrückt. Du hast gesagt, >die als Novizin in die Abtei eintreten wollte.< Warum hast du diese Worte gebraucht?«
Eadulf zuckte verlegen die Achseln. »Ich glaube, so hat sie es gesagt. Kommt es darauf an?«
»Durchaus. Aber erzähl weiter.«
»Das war alles, was Schwester Etromma mitzuteilen hatte, außer dem Hinweis, daß Gormgilla erst zwölf Jahre alt war. Dann wurde das andere Mädchen aufgerufen .«
»Welches andere Mädchen?«
»Das in meine Zelle kam und auf mich zeigte.«
»Ach ja, Fial.«
»Sie stellte sich dem Gericht als Novizin in der Abtei vor. Sie erklärte, sie sei Gormgillas Freundin gewesen. Sie setzte hinzu, sie habe mit ihr verabredet, daß sie sich kurz nach Mitternacht am Kai treffen wollten.«
»Warum?«
Eadulf schaute Fidelma verständnislos an. »Warum?« wiederholte er.
»Hat man sie denn nicht gefragt, warum sie sich mit einer jungen Novizin nach Mitternacht am Kai treffen wollte? Wir reden von Zwölfjährigen, Eadulf.«
»Keiner hat sie danach gefragt. Sie sagte einfach, sie sei zum Kai gegangen und habe gesehen, wie ihre Freundin mit einem Mann kämpfte.«
»Wie hat sie das gesehen?«
Eadulf war verblüfft, Fidelma bewahrte Geduld.