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»Es war nach Mitternacht«, erläuterte sie. »Vermutlich war es dunkel. Wie konnte sie das alles sehen?«

»Ich nehme an, der Kai war von Fackeln erhellt.«

»Hat man das nachgeprüft? Und konnte man bei dem Fackelschein das Gesicht des Mannes deutlich erkennen? Hat man sie gefragt, wie dicht sie dran war und wo das Licht brannte?«

»Nichts von alledem. Sie sagte nur aus, sie habe ihre Freundin mit einem Mann kämpfen sehen.«

»Kämpfen?«

»Sie sagte, der Mann habe ihre Freundin erwürgt«, fuhr er fort. »Dann sei er aufgestanden und zur Abtei gerannt. Sie hätte mich als diesen Mann erkannt. Sie sagte, der Mann sei der fremde Angelsachse gewesen, der sich in der Abtei aufhielt.«

Fidelma stutzte wieder. »Sie gebrauchte die Worte >der fremde Angelsachse<?«

»Ja.«

»Und du behauptest, du hättest sie vorher nie gesehen? Nie mit ihr gesprochen?«

»Das stimmt.«

»Woher wußte sie dann, daß du ein Angelsachse bist?«

»Wahrscheinlich hat man es ihr gesagt.«

»Genau. Und was hat man ihr noch alles gesagt?«

Eadulf blickte sie traurig an. »Schade, daß du bei der Verhandlung nicht dabei warst.«

»Vielleicht. Du hast noch nicht erwähnt, wer dich vor Gericht vertreten hat.«

»Niemand.«

»Was?« Sie explodierte vor Zorn. »Du hattest keinen dalaigh, der dich verteidigte? Hat man dir keinen angeboten?«

»Ich wurde nur zur Verhandlung geführt. Ich hatte keine Gelegenheit, um einen Rechtsbeistand zu bitten.«

Zum erstenmal erhellte eine leichte Hoffnung Fi-delmas Gesicht.

»Hier ist vieles schief gelaufen, Eadulf. Bist du sicher, daß Bischof Forbassach dich nicht gefragt hat, ob du einen Verteidiger möchtest oder dich selbst verteidigen willst?«

»Da bin ich sicher.«

»Was wurden noch für Beweise gegen dich vorgebracht?«

»Ein Bruder Miach sagte aus. Es hieß, er sei hier der Arzt. Er erläuterte im einzelnen, wie das Mädchen vergewaltigt und erdrosselt wurde. Dann wurde ich gefragt, ob ich noch weiter leugne, und ich bejahte das. Da erklärte Forbassach, der Fall werde nach den kirchlichen Gesetzen entschieden und nicht nach den Gesetzen der Brehons von Eireann. Ich solle gehängt werden. Das Urteil werde dem König selbst zur Bestätigung vorgelegt. Vor ein paar Tagen kam die Bestätigung des Königs, und so werde ich morgen Bruder Cett dort unten auf der Plattform begegnen.«

»Nicht, wenn es noch Gerechtigkeit gibt, Eadulf«, erwiderte Fidelma fest. »Nach dem, was du mir berichtet hast, sind noch viele Fragen zu stellen.«

Eadulf verzog traurig den Mund. »Vielleicht ist es jetzt etwas zu spät dafür, Fidelma?«

»Nein. Ich lege Berufung ein.«

Zu ihrer Überraschung schüttelte Eadulf den Kopf.

»Du kennst die Äbtissin nicht. Sie hat großen Einfluß auf Bischof Forbassach. Die Leute hier leben in ständiger Angst vor ihr.«

Das interessierte Fidelma. »Woher weißt du das?«

»Da ich hier schon ein paar Wochen eingesperrt sitze, habe ich ein Gespür für das wenige entwickelt, was mir zugetragen wird. Selbst der unsägliche Bruder Cett versorgt mich auf seine wortkarge Art mit Informationen. Wenn diese Abtei ein Spinnennetz ist, dann sitzt die Äbtissin in seinem Zentrum wie eine hungrige schwarze Spinne.«

Fidelma lächelte, denn das erschien ihr als eine treffende Beschreibung der Äbtissin Fainder.

Sie stand langsam auf und sah sich in der Zelle um. Sie enthielt nichts außer einem Schemel und einem Bett mit einem Strohsack und einer Decke. Eadulf besaß nur die Kleidung, die er anhatte.

»Du meintest, die Äbtissin müsse deine Reisetasche und den Amtsstab und den Brief von Colgü an Theodor haben?«

»Wenn das alles nicht unter dem Bett im Gästehaus geblieben ist.«

Fidelma ging zur Tür, hämmerte dagegen und rief nach Schwester Etromma. Dann wandte sie sich zu Eadulf um und lächelte ihm aufmunternd zu.

»Gib die Hoffnung nicht auf, Eadulf. Ich werde die Wahrheit herausbekommen und zusehen, daß ich Gerechtigkeit finde.«

»Dabei will ich dir helfen, aber ich erwarte nichts mehr an diesem Ort.«

Es war der stämmige, finstere Bruder Cett, der die Tür öffnete und beiseite trat, um Fidelma auf den dunklen Gang hinauszulassen. Er schlug die Zellentür zu und schob die Riegel vor.

»Wo ist Schwester Etromma?« wollte Fidelma wissen.

Der Riese antwortete nicht, sondern hob nur die Hand und zeigte den Gang entlang.

Fidelma folgte seinem Wink und fand Schwester Etromma, die am Ende der Treppe in einer Fensternische mit Bank wartete. Das Fenster blickte auf den Fluß. Kähne fuhren darauf, es schien eine belebte Wasserstraße zu sein. Schwester Etromma war so versunken in diesen Anblick, daß Fidelma hüsteln mußte, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.

Sie wandte sich um und sprang sofort auf.

»Ist dein Gespräch mit dem Angelsachsen befriedigend verlaufen?« fragte die Verwalterin der Abtei rasch.

»Befriedigend? Kaum. Bei dem Verfahren sind viele ««befriedigende Dinge vorgefallen. Wie ich hörte, hast du als Zeugin ausgesagt?«

Schwester Etrommas Miene wurde abweisend. »Ja.«

»Es hieß, du habest das Opfer, Gormgilla, identifiziert. Ich wußte nicht, daß du sie kanntest.«

»Ich kannte sie nicht.«

Fidelma war verblüfft. »Wie konntest du sie dann identifizieren?«

»Ich sagte dir schon, sie war eine jungen Novizin in der Abtei.«

»Allerdings. Dann kann ich also annehmen, daß du als Verwalterin der Abtei sie mit den anderen Novizinnen begrüßt hast, als sie in der Abtei eintraf? Wann ist sie denn dieser Gemeinschaft beigetreten?«

Schwester Etrommas Miene wurde unsicher.

»Ich weiß nicht mehr recht ...«

»Ich brauche eine genaue Aussage, Schwester«, fuhr Fidelma sie bissig an. »Sag mir bitte genau, wann du das tote Mädchen Gormgilla zum erstenmal gesehen hast.«

»Ich ... ich sah sie erst, als ihr Leichnam in die Totenhalle der Abtei gebracht wurde«, gestand die Verwalterin.

Fidelma starrte sie einen Moment verdutzt an. Dann schüttelte sie den Kopf. Vielleicht sollte sie sich daran gewöhnen, daß dieser Fall verblüffende Wendungen nahm.

»Du sahst sie zum erstenmal, nachdem sie schon tot war? Wie konntest du sie dann als Novizin der Abtei identifizieren?«

»Die Äbtissin sagte mir, das wäre sie.«

»Aber du hattest kein Recht, sie mit einer Aussage vor Gericht zu identifizieren, wenn du sie nicht persönlich kanntest.«

»Ich würde nie am Wort der Äbtissin zweifeln. Außerdem erklärte Fial, sie sei ihre Freundin und mit ihr in die Abtei gekommen, um als Novizin einzutreten.«

Fidelma hielt es für zwecklos, der Verwalterin die Regeln für eine Zeugenaussage klarzumachen.

»Deine Aussage ist gerichtlich wertlos. Wer hat dieses Mädchen vor ihrem Tod gesehen? Sie ist doch nicht einfach so in der Abtei aufgetaucht?«

Schwester Etromma blieb hartnäckig. »Die Äbtissin hat es mir gesagt, und ich sage es dir. Außerdem nimmt die Vorsteherin der Novizinnen die Neuankömmlinge in Empfang und bildet sie aus. Sie müßte das Mädchen gesehen haben.«

»Aha. Jetzt kommen wir der Sache näher. Warum hat die Vorsteherin der Novizinnen nicht ausgesagt? Wer ist diese Frau, und wo finde ich sie?«

Schwester Etromma zögerte. »Sie befindet sich auf einer Pilgerfahrt nach Iona.«

Fidelma stutzte. »Und wann hat sie die angetreten?«

»Ein oder zwei Tage vor dem Mord an Gormgilla. Deshalb war es normal, daß ich als Verwalterin der Abtei die Aussage machte. Wahrscheinlich hatte die Äbtissin von der Vorsteherin der Novizinnen erfahren, daß das Mädchen zu ihren Schützlingen gehörte.«

»Genau darum besitzt deine Aussage keine gesetzliche Grundlage. Du hast nur wiederholt, was man dir gesagt hatte, nicht, was du weißt.« Fidelma war zornig darüber, daß man das gesetzlich übliche Verfahren anscheinend völlig mißachtet hatte. Es waren bestimmt genügend Verstöße gegen die Rechtsordnung vorgekommen, mit denen eine Berufung zu begründen war.