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Fidelma zog die Decken von der Strohmatratze fort. Es war der übliche dünne Strohsack. Prüfend befühlte sie ihn hier und da.

»Wonach suchst du?« wollte die Verwalterin wissen.

Fidelma gab keine Antwort.

Sie hatte etwas Härteres in dem Stroh ertastet, und ihr Blick fiel auf ein Loch an der Seite der Matratze, wo die Naht geöffnet worden war. Sie lächelte. Sie kannte Eadulf besser als er sich selbst. Er war ein vorsichtiger Mensch, und in der Aufregung der letzten Wochen hatte er vergessen, wie vorsichtig er gewesen war.

Fidelma griff in die Matratze hinein, und ihre schlanken Finger erfaßten den kleinen Holzstab. Daneben spürte sie die weiche Pergamentrolle. Rasch zog sie beides heraus und hielt es der erstaunten Schwester Etromma hin.

»Das wirst du mir bezeugen, Schwester«, sagte Fidelma und stand auf. »Hier ist der weiße Amtsstab, den Bruder Eadulf bei sich führte zum Zeichen dafür, daß er als offizieller Gesandter des Königs von Cashel unterwegs war. Hier ist der Brief von der Hand desselben Königs an Erzbischof Theodor von Canterbury. Bruder Eadulf hatte sie aus Vorsicht in der Matratze versteckt.«

Schwester Etrommas Miene nahm einen seltsamen Ausdruck an, in dem Unsicherheit vorzuherrschen schien.

»Das sollten wir am besten zu Äbtissin Fainder bringen«, meinte sie schließlich.

Fidelma schüttelte den Kopf und steckte beides in ihr marsupium, die Ledertasche, die sie immer am Gürtel trug.

»Diese Dinge behalte ich. Du hast gesehen, woher ich sie genommen habe? Du wirst es mir bezeugen. Damit ist bewiesen, daß Bruder Eadulf ein fer taistil war, ein techtaire, ein Königsbote, und somit Angehöriger der königlichen Hofhaltung mit entsprechenden Schutzrechten.«

»Es hat keinen Zweck, daß du mir das Gesetz erklärst«, wandte Schwester Etromma ein. »Ich bin keine dalaigh

»Aber du wirst bezeugen können, wo ich diese Gegenstände gefunden habe«, erwiderte Fidelma. »Und jetzt ...«

Sie ging zur Tür, und Schwester Etromma trottete unglücklich hinterher.

»Wohin willst du jetzt, Schwester?« fragte sie. »Wieder zur Äbtissin?«

»Zur Äbtissin? Nein, die suche ich später auf«, antwortete Fidelma, die es sich anders überlegt hatte. »Zeig mir erst noch die Stelle, wo Gormgilla überfallen und getötet wurde.«

Schwester Etromma schien beunruhigt, als sie Fidelma weiterführte, durch noch mehr Gänge und zu einem kleinen Hof an der anderen Seite der Abtei, der dem Geruch nach wohl an die Küche und die Vorratsräume der Abtei grenzen mußte. An einer Seite des kleinen Hofs gab es zwei hohe Holztore, und Schwester Etromma ging geradewegs auf sie zu. Sie versuchte nicht, die schweren Eisenriegel zurückzuschieben, denn in einem der großen Tore befand sich eine kleine Tür, durch die sich ein Mensch gerade hindurchquetschen konnte. Sie öffnete die Tür und wies wortlos hinaus.

Fidelma kletterte hinaus - denn man mußte über das Unterteil der Tür steigen - und stand vor dem Fluß. Unmittelbar vor den Toren führte ein Weg an der Abteimauer entlang, der viel befahren und so breit war, daß ihn Frachtwagen benutzen konnten. Am Ufer war Erde aufgeschüttet, und dort hatte man einen hölzernen Kai erbaut. An ihm hatte ein ziemlich großes Flußschiff festgemacht, von dem mehrere Männer Fässer ausluden.

»Das ist unser eigener Kai, Schwester«, erklärte Etromma. »Hier werden Waren für die Abtei entladen. Weiter oben am Fluß befinden sich andere Kais für die Kaufleute der Stadt.«

Fidelma blieb einen Augenblick stehen und ließ ihr Gesicht von der Sonne bescheinen. Hier war es warm, trotz der leichten Brise, und erfrischend nach der Muffigkeit und Dunkelheit der Abteigebäude, aus denen sie gekommen war. Sie schloß einen Moment die Augen, atmete tief und entspannte sich. Danach schaute sie sich um. Die Verwalterin hatte recht. Auf dem Fluß lagen noch mehrere Schiffe an den Kais vertäut. Fearna, fiel ihr ein, war ja auch ein Handelszentrum, nicht nur der Königssitz der Ui-Cheinnselaigh-Dynastie, die über Laigin herrschte.

»Wo wurde der Mord verübt?«

Schwester Etromma zeigte auf den Kai der Abtei. »Genau hier.«

In der Abtei begann eine Glocke zu läuten. Überrascht blickte Fidelma auf. Es war doch wohl nicht ein Ruf zum Gebet? Gleich darauf rannte ein Mönch aus der Abtei auf Schwester Etromma zu.

»Schwester, ein Bote von flußaufwärts ist gekommen. Ein Schiff ist mitten im Fluß gesunken. Er meint, es könnte das Schiff sein, das vor kurzem vom Kai der Abtei abgelegt hat.«

»Gabrans Schiff?« Etromma war blaß geworden. »Ist der Bote sich sicher? Sind alle gerettet?«

»Nein, er ist sich nicht sicher, Schwester«, antwortete der Mönch. »Und mehr weiß er nicht.«

»Dann müssen wir sehen, was wir tun können.«

Sie wandte sich der Abtei zu, doch dann fiel ihr ein, daß Schwester Fidelma noch neben ihr stand, und sie zögerte.

»Entschuldige, Schwester. Anscheinend ist eins der Schiffe, die regelmäßig mit der Abtei Handel treiben, untergegangen. Als Verwalterin der Abtei muß ich mich darum kümmern. Der Fluß ist gefährlich.«

»Soll ich mitkommen?« fragte Fidelma.

Schwester Etromma schüttelte beunruhigt den Kopf. »Nein, ich muß gehen.«

Sie lief dem Bruder nach, der schon den Weg an der Abteimauer entlangeilte. Verblüfft beobachtete Fidelma ihren raschen Abgang. Dann wurde sie von einer Männerstimme abgelenkt, die ihren Namen rief. Sie drehte sich um und erblickte eine vertraute Gestalt, die auf dem Uferweg angeschlendert kam.

Es war der Krieger Mel, genau der, von dem Schwester Etromma gesagt hatte, er habe die Leiche des ermordeten Mädchens gefunden und ihren Tod zu Eadulf zurückverfolgt. Es traf sich gut, daß er jetzt gerade erschien und ihr die Mühe ersparte, ihn zu suchen. Sie ging ihm entgegen und erreichte ihn, als er eben die Planken des Kais betrat.

»So sehen wir uns wieder, Lady«, begrüßte er sie mit einem breiten Lächeln und blieb vor ihr stehen.

»Ja, so ist es. Man sagte mir, du heißt Mel.«

Der Krieger nickte freundlich. »Wie ich höre, bist du meiner Empfehlung gefolgt und wohnst mit deinen Begleitern im Gasthaus meiner Schwester Lassar. Ich dachte, du hättest noch einen dritten Mann bei dir? Lassar berichtete mir, daß nur du und zwei andere dort übernachten.«

Fidelma war klar, daß der Krieger genau beobachtete und sie ihre Worte vorsichtig wählen mußte.

»Zuerst waren wirklich drei Krieger bei mir. Einer mußte nach Cashel zurückkehren«, log sie.

»Nun, ich hoffe, dir gefällt die Unterkunft. Meine Schwester hat gutes Essen und bequeme Betten zu bieten.«

»Meine Gefährten und ich, wir fühlen uns wirklich sehr wohl im Gasthaus zum Gelben Berg. Aber es ist schön, daß ich dich hier treffe.«

Der Krieger runzelte leicht die Stirn. »Wieso, Lady?«

»Ich habe gerade in der Abtei mit den Leuten gesprochen, die mit dem kürzlichen Mord an einer jungen Novizin zu tun hatten«, erwiderte Fidelma. »Sie sagten mir, du seist ein wichtiger Zeuge im Prozeß gegen Bruder Eadulf gewesen.«

Der Krieger machte eine abwehrende Geste. »Ich war nicht unbedingt ein wichtiger Zeuge. Ich war lediglich der Hauptmann der Wache gerade an diesem Kai hier in der Nacht, als der Mord verübt wurde.«

»Kannst du mir genau beschreiben, was geschah? Ich nehme an, du weißt, weshalb ich mich dafür interessiere?«

Einen Moment schien der Krieger verlegen, doch dann nickte er.

»Gerüchte verbreiten sich schnell in dieser Stadt, Lady. Ich weiß, wer du bist und warum du hergekommen bist.«

»Wie kam es, daß du in der Nacht hier auf dem Kai warst?«

»Ganz einfach, ich hatte Wache, wie ich schon sagte. Wir waren zu viert hier.« Mit einer ausholenden Armbewegung wies er auf die ganze Ansammlung von Kais der Stadt Fearna.