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Es überraschte sie etwas, als Mel sehr ernst wurde und sich eilig entschuldigte.

»Du wirst mir verzeihen, Schwester, wenn ich gleich nachsehe, was da geschehen ist. Es gehört zu meinen Pflichten, mich um solche Vorfälle zu kümmern. Wir müssen dafür sorgen, daß der Fluß dadurch nicht für andere Schiffe blockiert wird. Entschuldige bitte.«

Schnell lief er den Uferweg entlang in die Richtung, die Schwester Etromma und ihr Begleiter wie auch Äbtissin Fainder eingeschlagen hatten.

Fidelma hatte keine Zeit, über deren Sorgen nachzugrübeln. Sorgfältig besah sie sich den Kai und die Umgebung, dann seufzte sie leise. Sie glaubte nicht, daß sie weitere Geheimnisse erfahren würde, wenn sie noch länger hierblieb. So machte sie sich auf den Weg zum Gasthaus.

Kapitel 7

Sobald Fidelma im Gasthaus zum Gelben Berg ankam, suchte sie Dego und Enda auf. Sie waren von ihrem Streifzug durch die Stadt zurückgekehrt, hatten aber wenig zu berichten. Die Meinungen der Leute waren sehr geteilt. Einige waren offensichtlich entsetzt über den Befehl des Königs, daß hinfort die Bußgesetze das Recht für alle Bürger darstellen sollten und nicht mehr nur einfach die Regeln, nach denen einige religiöse Gemeinschaften ihr Leben einrichteten. Andere, die fanatischer dem neuen Glauben anhingen, befürworteten die extremen Vorschriften der Bußgesetze. Dego und Enda konnten sich ihr Urteil lediglich nach einigen Gesprächen bilden, die sie mit Händlern und Kaufleuten auf dem Marktplatz geführt hatten, denn sie mußten sehr vorsichtig vorgehen. Doch auch so war es klar, daß sich die Nachricht von Fidelmas Ankunft und ihren Absichten schnell in der Stadt verbreitete. Wie lautete doch das alte Sprichwort? Ein Gerücht braucht kein Pferd, um rasch voranzukommen.

Fidelma ihrerseits gab ihnen einen kurzen Überblick über das, was sie in der Abtei erfahren hatte. Dego und Enda machten lange Gesichter, als sie ihnen die Beweise gegen Eadulf aufzählte.

»Ich muß noch einmal in die Abtei und mit Äbtissin Fainder sprechen«, sagte sie. »Es geht um die verschwundene Schwester Fial, deren Aussage mir sehr wenig glaubwürdig erscheint. Fainder dagegen ist mir ein Rätsel. Wenn wir von Fials Motiven absehen, war es der Einfluß der Äbtissin, der den Übergang zum anderen Gesetz bewirkt hat. Sie hat etwas sehr Beunruhigendes an sich.«

»Allerdings, Lady«, überlegte Enda, »gibt es da die Aussage von Schwester Fial. Sie behauptet, sie habe selbst beobachtet, wie Eadulf ihre Freundin vergewaltigt und getötet hat. Das ist nach jedem Gesetz deutlich genug.«

Mit düsterer Miene stimmte Dego seinem Kameraden zu. »Meinst du, du kannst ihre Aussage erschüttern?« fragte er.

»Vielleicht könnte ich das, nach dem, was ich bisher gehört habe, aber nur, wenn ich die Gelegenheit habe, mit ihr zu sprechen. Ihr Verschwinden kommt anscheinend sehr gelegen.«

Dego und Enda wechselten einen Blick.

»Nimmst du an, man habe sie absichtlich versteckt?« fragte Enda.

»Ich kann nur sagen, daß das Verschwinden Schwester Fials in das Bild paßt.« Fidelma dachte nach. »Immerhin könnte ich so viele Fragen zum Ablauf des Verfahrens stellen, daß jeder unvoreingenommene Richter den Vollzug der Strafe bis zum Abschluß weiterer Untersuchungen aussetzen würde. Wenn ich noch einmal die Äbtissin gesprochen habe, werde ich verlangen, daß König Fianamail sein Wort hält und sich meine Gründe für eine Berufung anhört. Wir müssen uns eine Woche Zeit verschaffen. Ich würde meinen Fall lieber vor Barran vertreten als vor einem Brehon aus Laigin, der möglicherweise von Bischof Forbassach beeinflußt ist.«

»Was tun wir inzwischen?« fragte Dego.

»Da gibt es etwas«, meinte Fidelma bedächtig. »Ich habe erfahren, daß die Äbtissin Fainder regelmäßig an jedem Nachmittag die Abtei zu Pferde verläßt und geheimnisvolle Ausritte unternimmt, von denen sie manchmal sehr spät zurückkehrt. Ich würde gern wissen, wohin sie reitet und wen sie aufsucht.«

»Glaubst du, daß die Äbtissin irgendwie in den Fall verwickelt ist?« forschte Enda.

»Möglich. Im Augenblick entdecke ich so viele Geheimnisse an diesem Ort, daß es wohl am besten ist, wenn wir eins nach dem anderen aufklären. Vielleicht ist es gar nicht wichtig, vielleicht aber doch. Es war bei der Rückkehr von einem solchen Ausritt, als sie nach Mitternacht bei der Leiche des ermordeten Mädchens gesehen wurde. Ob das ein bloßer Zufall war?«

»Enda und ich werden ein Auge auf die Äbtissin und ihre Ausritte haben.« Dego lächelte. »Das kannst du uns überlassen.«

Es dauerte einige Zeit, bis Mel im Gasthaus auftauchte.

Fidelma hatte ihr Mittagsmahl beendet und wollte gerade zur Abtei aufbrechen. Dego und Enda waren wieder an ihre Aufgaben gegangen. Mit steigender Erbitterung hatte Fidelma festgestellt, daß sie nichts tun konnte, bis Äbtissin Fainder zur Abtei zurückkam oder Schwester Etromma Fial aufspürte. Sie war unruhig und ärgerte sich, weil sie wußte, daß die Zeit verrann und Eadulf so wenig davon verblieb. Sie zwang sich, im Hauptraum des Gasthauses vor dem prasselnden Feuer sitzen zu bleiben und ihre wachsende Erregung zu bezähmen. Es lag nicht in ihrer Natur, stillzusitzen, wenn es soviel zu tun gab. Ruhe fand sie bei den Worten ihres Lehrers, Brehon Mo-rann: Wem Geduld mangelt, der besitzt keine Weisheit.

Sie nahm auch Zuflucht zur Kunst des dercad, der Meditation, durch die zahllose Generationen irischer Mystiker den Zustand des sitchain, des Friedens, erlangt hatten, indem sie fremdes Gedankengut und störende geistige Reize ausschalteten. In Zeiten hoher Belastung übte sich Fidelma regelmäßig in dieser alten Kunst, wenn auch manche Vertreter des Glaubens, wie Erzbischof Ultan von Armagh, sie als heidnischen Brauch verurteilten, weil sie schon vor der Ankunft des neuen Glaubens von den Druiden praktiziert worden war. Selbst der heilige Patrick, ein Brite, der vor zweihundert Jahren einen großen Anteil an der Verbreitung des Glaubens in den fünf irischen Königreichen besaß, hatte mehrere dieser Meditationsübungen zur Selbsterkenntnis ausdrücklich untersagt. Das dercad jedoch war zwar verpönt, aber noch nicht verboten. Es war ein Mittel, den Wirbel der Gedanken in einem verstörten Gemüt zu beruhigen und zu besänftigen. Fidelma wandte es regelmäßig an.

Die Zeit verging, und schließlich hörte sie Mel hereinkommen. Leicht löste sie sich aus ihrer Meditation und begrüßte ihn.

»War es schlimm?« fragte sie sofort.

Er fuhr zusammen, denn er hatte sie nicht in der halbdunklen Ecke sitzen sehen. Dann begriff er, was sie meinte, und schüttelte den Kopf.

»Der Untergang des Flußschiffs? Nein, zum Glück hat niemand das Leben verloren.«

»Und war es Gabrans Schiff?«

Die Frage schien Mel zu überraschen.

»Wie kommst du darauf?« wollte er wissen.

»Nun, Schwester Etromma war sehr besorgt, als sie hörte, es könnte sein Schiff gewesen sein, weil der Mann mit der Abtei Handel treibt.«

»So?« Mel überlegte einen Moment und winkte ab. »Es war ein alter Flußkahn, der längst hätte zu Brennholz verarbeitet werden sollen. Er war völlig morsch. In ein paar Stunden kann man das Wrack ans Ufer ziehen und die Fahrrinne frei machen.«

»Also war Schwester Etrommas Aufregung unbegründet?«

»Wie ich dir schon sagte, wir sind ein Flußhafen, und es bereitet uns Sorge, wenn Gefahr besteht, der Fluß könnte unpassierbar werden.«

»Ich verstehe.«

Mel wollte weitergehen, doch sie hielt ihn zurück.

»Mir sind noch ein paar Fragen eingefallen, die du mir beantworten könntest. Es dauert nicht lange.«

Mel setzte sich zu ihr. »Ich helfe dir gern, Lady«, sagte er lächelnd. »Stell deine Fragen.«

»Unter welchen Umständen ist dein Kamerad ertrunken - der, der in der Nacht des Mordes an Gorm-gilla bei dir war?«