Выбрать главу

Die Frage schien Mel zu überraschen.

»Daig? Er hatte wie gewöhnlich nachts Wache am Kai, und da muß er wohl auf den nassen Planken ausgerutscht und mit dem Kopf irgendwo aufgeschlagen sein, vielleicht auf einem Träger. Er fiel bewußtlos ins Wasser und ertrank, ehe es jemand bemerkte. Am nächsten Tag fand man seine Leiche.«

Fidelma dachte darüber nach.

»Also war sein Tod - Daig hieß er, nicht wahr? -, also war Daigs Tod einfach ein tragischer Unfall. Es gab keinen Anlaß, etwas anderes zu vermuten?«

»Es war wirklich ein Unfall, und ein tragischer dazu, denn Daig war ein gutes Mitglied unserer Wache und kannte den Fluß in- und auswendig. Er war auf den Flußschiffen hier aufgewachsen. Aber wenn du meinst, es gäbe eine Verbindung zu dem Mord an Gormgilla, dann kann ich dir versichern, daß das nicht stimmt.«

»Ich verstehe.« Sie stand plötzlich auf. »Weißt du, ob Schwester Etromma in die Abtei zurückgekehrt ist?«

»Ich glaube schon.« Der Krieger erhob sich langsam.

»Und Äbtissin Fainder? Ist sie auch zurück?«

Mel zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht - ich glaube kaum. Wenn sie die Abtei verläßt, dann meistens für einige Zeit.«

»War die Äbtissin auch bei dem gesunkenen Schiff?«

»Ich habe sie dort nicht gesehen. Es wäre auch ungewöhnlich. Die Äbtissin reitet regelmäßig am Nachmittag allein aus. Ich glaube, sie reitet hinauf in die Berge.«

»Vielen Dank, Mel. Du hast mir sehr geholfen.«

Als Fidelma zur Abtei zurückkehrte, wurde sie am Tor von Schwester Etromma begrüßt.

»Nun, Schwester«, sagte Fidelma, »hast du etwas von der verschwundenen Schwester Fial gehört?«

Schwester Etrommas Miene blieb ausdruckslos.

»Ich bin gerade erst in die Abtei zurückgekommen. Ich werde weiter nachforschen. Ich habe jemanden aus unserer Gemeinschaft beauftragt, die Abtei gründlich nach ihr abzusuchen.«

»Ist Äbtissin Fainder wieder da? Ich muß ihr noch weitere Fragen stellen.«

Schwester Etromma war erstaunt. »Wieder da?«

Fidelma nickte geduldig. »Von dort, wohin sie nachmittags immer reitet. Du weißt nicht zufällig, wo das ist?«

Die Verwalterin der Abtei wies das von sich.

»Ich kenne mich mit den persönlichen Gewohnheiten der Äbtissin nicht aus. Komm mit. Ich glaube, sie ist in ihrem Zimmer.«

Sie führte Fidelma wieder durch die düsteren Gänge der Abtei zu den Räumen der Äbtissin. Auf dem Wege dorthin mußten sie einen kleinen Hof mit Kreuzgang hinter der Kapelle überqueren.

Hier schallten ihnen laute Stimmen entgegen. Fidelma erkannte den schrillen Ton der Äbtissin, die sich bemühte, eine harte, fordernde männliche Stimme zu übertönen. Schwester Etromma neben ihr blieb stehen und hüstelte nervös.

»Anscheinend ist die Äbtissin beschäftigt. Vielleicht sollten wir lieber wiederkommen, wenn sie weniger ... beansprucht ist«, murmelte sie.

Fidelma zögerte keinen Moment.

»Meine Angelegenheit kann nicht warten«, erklärte sie bestimmt. Sie ging den Kreuzgang entlang zur Tür der Äbtissin und klopfte an, während Schwester Etromma hinter ihr her trottete. Die Tür war halb offen, und die Reden gingen weiter, als habe man ihr Klopfen überhört.

»Ich sage dir, Äbtissin Fainder, das ist eine Schande!« Der Sprecher war ein älterer Mann, dessen Kleidung seinen Rang und Einfluß verriet. Sein schneeweißes Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Er trug einen silbernen Stirnreif und einen langen grünen, gewebten Mantel. In der Hand hielt er einen Amtsstab.

Äbtissin Fainder lächelte trotz ihres schrillen Tons. Näher besehen, war es nur eine Maske, eine Anspannung ihrer Gesichtsmuskeln. Sie bemühte sich, überlegen zu erscheinen.

»Schande? Du vergißt, mit wem du sprichst, Coba. Außerdem sind meine Handlungen vom König, seinem Brehon und seinem geistlichen Berater gebilligt worden. Willst du etwa behaupten, du könntest das besser beurteilen als sie?«

»Das behaupte ich«, erwiderte der Mann uneinge-schüchtert. »Besonders, wenn sie dabei die Grundlagen unserer Gesetze außer acht lassen.«

»Unserer Gesetze?« höhnte die Äbtissin. »Die in dieser Abtei anerkannten Gesetze sind die der Kirche, der sie angehört. Andere Gesetze erkennen wir nicht an. Was das übrige Königreich anbelangt - nun, wir dürfen es nicht länger in Unwissenheit versinken lassen. Wir müssen das christliche Gesetz annehmen, wie Rom es erlassen hat, sonst sind wir verdammt in alle Ewigkeit.«

Der Mann, den sie als Coba angeredet hatte, trat beinahe drohend einen Schritt näher an den Tisch der Äbtissin heran. Fainder wich nicht zurück, als er sich zornig vorbeugte.

»Es ist seltsam, solche Worte aus dem Munde einer gelehrten Frau zu hören, besonders einer in deiner Stellung. Erinnerst du dich nicht an die Worte Paulus’ von Tarsus an die Römer? >Denn so die Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur tun des Gesetzes Werk, sind dieselben, dieweil sie das Gesetz nicht haben, sich selbst ein Gesetz, als die da beweisen, des Gesetzes Werk sei geschrieben in ihrem Herzen.< Paulus von Tarsus hatte mehr Verständnis für unser Gesetz als du.«

Die Augen der Äbtissin Fainder wurden dunkel vor Zorn.

»Du besitzt die Dreistigkeit, mir mit der Bibel zu kommen? Willst du etwa Mönchen und Nonnen, die dir im Glauben überlegen sind, vorschreiben, wie die Bibel auszulegen ist? Du vergißt dich, Coba. Du hast eine Pflicht zum Gehorsam gegenüber uns, die wir dazu berufen sind, dich im Glauben zu leiten. Du wirst gehorchen und nicht mit mir streiten.«

Der ältere Mann schaute fast mitleidig auf sie herab.

»Wer hat dich dazu berufen, mich zu leiten? Ich jedenfalls nicht.«

»Meine Vollmacht stammt von Christus.«

»Wenn ich mich an den ersten Brief des Apostels Petrus aus derselben Bibel erinnere, und ihn hatte Christus zum Führer der Gläubigen bestimmt, so heißt es dort: >Weidet die Herde Christi, die euch befohlen ist, und sehet wohl zu, nicht gezwungen, sondern willig; nicht als die übers Volk herrschen, sondern werdet Vorbilder der Herde.< Vielleicht solltest du dich an diese Worte erinnern, bevor du unbedingten Gehorsam verlangst?«

Äbtissin Fainder erstickte beinahe an ihrem Ärger.

»Besitzt du denn keine Demut, Mann?« Ihre Stimme schnappte fast über vor Zorn.

Coba lachte kühl. »Ich besitze Demut genug, um zu erkennen, wenn es mir an Demut fehlt.«

Plötzlich fiel der Blick der Äbtissin auf Fidelma, die in der Tür stand und der Auseinandersetzung mit stillem Vergnügen lauschte. Die Miene der Äbtissin Fainder verwandelte sich sofort in eine kalte Maske. Sie wandte sich wieder dem älteren Mann zu.

»Der Brehon und der König sind sich in der Frage der Strafe einig, Coba. Sie wird vollzogen. Mehr habe ich dir nicht zu sagen. Du kannst gehen.« Dann fragte sie Fidelma mit eisiger Stimme: »Und was willst du jetzt, Schwester?«

Der Mann hatte sich umgeschaut, sobald er Fidelma gewahrte. Er machte keine Miene, der brüsken Verabschiedung durch die Äbtissin zu folgen.

»Ich warne dich, Äbtissin Fainder«, sagte er, den Blick auf Fidelma gerichtet, und schnitt ihr jede Antwort an die Äbtissin ab. »Ich lasse diese Sache nicht auf sich beruhen. Du hast schon einen jungen Bruder hingemetzelt, und jetzt willst du den Angelsachsen töten. Das entspricht nicht unserem Gesetz.«

Fidelma redete ihn an und nicht die Äbtissin.

»Du bist also gekommen, um Einspruch gegen dieses Todesurteil zu erheben?« fragte sie und schaute ihn interessiert an.

Coba reagierte wenig freundlich.

»Das habe ich getan. Wenn du eine Nonne sein willst, dann wirst du das auch tun.«

»Ich habe meinen Einspruch bereits eingelegt«, versicherte ihm Fidelma. »Wer bist du?«

Unwillig schaltete sich Äbtissin Fainder ein.

»Dies ist Coba von Cam Eolaing. Er ist bo-aire dieses Ortes und kein ollamh des Rechts oder der Religion«, fügte sie gehässig hinzu. Ein bo-aire war ein örtlicher Friedensrichter, ein Fürst ohne Landbesitz, dessen Reichtum nach der Zahl der Rinder bemessen wurde, die er besaß, weshalb er ein »Kuh-Häuptling« genannt wurde. »Coba, das ist Schwester Fidelma von Cashel.«