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An der rechten Seite der Halle hatte sich Bischof Forbassach niedergelassen; er hatte Abt Noe, Äbtissin Fainder, Schwester Etromma und mehrere andere wichtige Mitglieder der Abtei neben sich, darunter Bruder Cett und den Arzt, Bruder Miach.

Ihnen gegenüber, an der linken Seite der Halle, war der Platz für Schwester Fidelma und Eadulf. Hinter ihnen saßen ihre getreuen Gefährten Dego, Enda und Aidan.

Mel und seine Krieger waren anscheinend für die Sicherheit in der Königshalle verantwortlich, doch Fidelma fiel es auf, daß die Fianna-Krieger, die Barran von Tara herbegleitet hatten, an strategischen Punkten der Versammlung postiert waren.

Es war Mittag, und am Vormittag hatte sich viel ereignet. Barran hatte mehrere persönliche Aussprachen geführt. Jetzt war es an der Zeit, den Fall in öffentlicher Verhandlung zu klären.

Barran blickte hinüber zu seinem leitenden Schreiber und nickte kurz. Dieser erhob sich und klopfte dreimal mit seinem Amtsstab auf den Boden.

»Dieses Gericht ist zusammengetreten, um die abschließenden Plädoyers zu hören und Urteile zu sprechen in den Fällen des Todes einer gewissen Gormgilla, eines unbekannten Schiffers, eines Kriegers von Laigin namens Daig, des Bruders Ibar, Mönch in Fearna, und eines Kaufmanns von Cam Eolaing namens Gabran.«

Barran begann ohne weitere Vorrede.

»Mir liegt ein Plädoyer der dalaigh Fidelma von Cashel zur Verteidigung des Bruders Eadulf von Seaxmund’s Ham vor, eines angelsächsischen Gesandten in unserem Land. Sie beantragt, daß sein Schuldspruch durch die Gerichte von Laigin, sein Urteil und alle darauf folgenden Verstöße gegen die Gesetze von Laigin in seinem Bemühen, seine Unschuld zu erweisen, aufgehoben und aus den Gerichtsakten dieses Königreichs getilgt werden. Sie begründet ihren Antrag damit, daß Eadulf an allen ihm zur Last gelegten Vergehen unschuldig und alles darauf Folgende ein ungerechtes Vorgehen gegen ihn war. Der besagte Eadulf handelte in Selbstverteidigung und war dazu vom Gesetz berechtigt.«

Barran schaute hinüber zu Bischof Forbassach.

»Was erwiderst du auf diesen Antrag, Brehon von Laigin?«

Bischof Forbassach erhob sich. Er war etwas blaß, und seine Miene spiegelte seinen Verdruß. Er hatte an diesem Vormittag mehrere Stunden mit Barran und Fidelma zugebracht. Er räusperte sich und sagte dann ruhig: »Es gibt keinen Einwand gegen den Antrag der dalaigh von Cashel.«

Ein hörbares Raunen der Überraschung lief durch den Saal, als die Leute begriffen, was da gesagt worden war. Bischof Forbassach setzte sich wieder.

Barrans leitender Schreiber klopfte mit seinem Stab, um Ruhe zu gebieten. Barran wartete, bis das Murmeln verebbte, ehe er sprach.

»Damit erkläre ich den Schuldspruch und das Urteil gegen Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham in aller Form für null und nichtig. Er verläßt dieses Gericht ohne Schuld und ohne Beeinträchtigung seiner Ehre.«

Fidelma nahm impulsiv Eadulfs Hand und drückte sie, und Dego, Enda und Aidan schlugen ihm auf die Schulter.

»Weiterhin wird entschieden«, fuhr der Oberrichter fort und überging ihren Gefühlsausbruch, »daß der Brehon von Laigin dem besagten Eadulf einen Sühnepreis von acht cumals zu zahlen hat. Dieser Preis ist gesetzlich festgelegt, weil Eadulf als Gesandter zwischen Erzbischof Theodor von Canterbury und König Colgü von Cashel fungiert. Sein Sühnepreis ist halb so hoch wie der des Mannes, dem er dient. Erhebt der Brehon von Laigin einen Einwand dagegen?«

»Nein.«

Die Antwort wurde beinahe überhört, so schnell und verlegen wurde sie ausgesprochen. Wieder ging ein Raunen durch den Saal, als klar wurde, daß Bischof Forbassach sich bereit erklärte, Eadulf im Wert von vierundzwanzig Kühen zu entschädigen. Über die Höhe dieser Summe wunderte sich selbst Eadulf.

»Damit ist Eadulfs Schuld beseitigt«, verkündete Barran. »Aber es soll festgehalten werden, aus welchem Grunde dieser Schuldspruch und dieses Urteil widerrufen werden. Vor Beginn der Verhandlung haben ich und andere Zeugen eine Voruntersuchung vorgenommen. Dabei haben wir von einer Angelegenheit Kenntnis erhalten, die uns entsetzt und uns großen Kummer bereitet hat.

Der Flußschiffskapitän Gabran war an einem entarteten und perversen Handel beteiligt. Er machte sich das Leid in Not befindlicher Familien zunutze, indem er sie überredete, ihm ihre jungen Töchter zu verkaufen. Er holte die verängstigten Kinder, denn sie waren alle noch nicht im Alter der Wahl, aus Orten im nördlichen Bergland dieses Königreichs und brachte sie hinunter zum Fluß. Mit seinem Schiff beförderte er sie den Fluß hinab zum Seehafen am Loch Garman. Dort verkaufte er sie an Sklavenschiffe, die sie übers Meer schafften. Ja, er verkaufte die Mädchen in die Sklaverei.«

Der Schock und das Entsetzen über den Bericht des Oberrichters ließen eine eisige Stille im Saal eintreten.

»Wir hörten von der Zeugin Fial, einem der Mädchen, die dieses Grauen überlebten, daß Gabran zum Tier herabgesunken war und seine Gefangenen zur Befriedigung seiner eigenen sexuellen Gelüste mißbrauchte, und das, obgleich sie noch nicht volljährig waren.

Wir erfuhren, daß auf der verhängnisvollen Fahrt, durch die Eadulf zum unschuldigen Opfer wurde, Fi-als Gefährtin, ein Mädchen namens Gormgilla, von dem betrunkenen Gabran genommen wurde, während sein Schiff am Kai der hiesigen Abtei vertäut lag. Die Einzelheiten können wir erraten. Gabran vergewaltigte das Mädchen, und es wehrte sich. In seiner trunkenen Wut erdrosselte er sie. Es wurde beschlossen, die Schuld auf Eadulf von Seaxmund’s Ham zu schieben. Diejenigen, die diesen üblen Plan ersannen, nahmen in ihrem Hochmut an, er wäre nur ein durchreisender ausländischer Pilger und es würde niemandem auffallen, wenn er geopfert würde, um den Mörder zu dek-ken. Sie mußten eine Erklärung für den Mord finden, weil die Äbtissin und Mel hinzugekommen waren, bevor die Leiche beseitigt werden konnte.

Es war ein verbrecherischer Plan, aber er ging beinahe auf. Zum Glück hatten sie nicht erkannt, daß Eadulf von Seaxmund’s Ham nicht jemand war, über dessen Tod man schnell hinweggehen würde. Diese überhebliche Meinung wurde ihnen zum Verderben.«

Barran schaute hinüber zu Fidelma.

»Ich glaube, Fidelma von Cashel, du möchtest an dieser Stelle einige Bemerkungen machen?«

Fidelma erhob sich, und in der Halle herrschte ein erwartungsvolles Schweigen.

»Ich danke dir, Barran. Ich habe manches zu sagen, denn der Fall kann nicht einfach mit der Entlastung Bruder Eadulfs von Seaxmund’s Ham abgeschlossen werden.«

»Warum nicht?« fuhr Bischof Forbassach von der anderen Seite der Halle dazwischen. »Das war es doch, was du wolltest, oder nicht? Er bekommt seine Entschädigung.«

Fidelma schaute ihn aus funkelnden Augen an.

»Was ich von Anfang an wollte, war, daß die Wahrheit bekannt wird. Veritas vos liberabit ist die Grundlage unseres Rechts. Die Wahrheit macht euch frei - und bis wir nicht die ganze Wahrheit in dieser Angelegenheit kennen, ruhen Verdacht und Finsternis auf diesem Königreich.«

»Suchst du Vergeltung für unsere Fehler?« fragte Forbassach. »Gabran, der Sklavenhändler, ist tot. Das ist doch wohl Vergeltung genug?«

»So einfach ist das nicht«, erwiderte Fidelma. »Wir haben zwar von der Unschuld Eadulfs vernommen, aber was ist mit der Unschuld Bruder Ibars? Was ist mit dem Tod von Daig? Was ist mit der Unschuld von Gormgilla und zahllosen jungen Mädchen, deren zerstörtes Leben wir nicht wieder in Ordnung bringen können? Nicht Vergeltung ist nötig, um alle diese Tragödien aufzuklären, sondern die Wahrheit.«