Aus dem Dunkel drangen Geräusche zu uns. Huschende, trippelnde Geräusche. Molly und ich blieben abrupt stehen und blickten um uns. Molly hielt ihre Hand voll Licht ganz hoch, aber es half nichts. Leise, nasse Laute kamen von hinten und oben, zusammen mit langsamen, scharrenden Geräuschen, wie von Klauen auf Stein.
»Okay«, sagte Molly, »jetzt krieg ich aber richtig Gänsehaut.«
»Bist du sicher, dass du nicht mehr Licht machen kannst?«, vergewisserte ich mich. »Ich glaube nicht, dass sie Licht mögen.«
»Ich lege schon alles hinein, was ich habe!«, fuhr Molly mich an und klang ein bisschen gestresst. »Etwas in dieser deiner Taschendimension mag kein Licht; alles, was ich tun kann, ist aufrechtzuerhalten, was ich habe. Wie weit noch bis zur Bibliothek?«
»Ist noch ein Stück«, antwortete ich. »Falls ich mich richtig erinnere. Folge mir, mach so schnell du kannst, aber renn nicht! Sie jagen alles, was rennt; das habe ich am eigenen Leib erfahren.«
Wir bewegten uns mit raschen, großen Schritten weiter durch die Dunkelheit. Die Spinnfäden, die von oben herabhingen, wurden dichter, schwerer, wie Vorhänge aus dreckigem Gaze. Ich duckte mich daran vorbei und achtete sorgfältig darauf, nicht damit in Berührung zu kommen. Sie waren jetzt alle in ruheloser Bewegung, zuckten, als ob sie aus einem langen Schlaf aufgeschreckt worden wären. Und ständig waren da die Geräusche im Dunkel, die sich langsam, aber stetig an uns heranarbeiteten. Molly und ich bewegten uns so schnell wir konnten, ohne dabei zu rennen. Wir atmeten beide schwer.
Fast wären wir geradewegs in das mächtige Netz gelaufen, das uns den Weg versperrte und dessen silbergraue Fäden erst im allerletzten Moment im Hexenlicht auftauchten. Es hing frei vor uns in der Luft, gewaltig und komplex, und erstreckte sich strahlenförmig über die Grenzen des Hexenlichts hinaus. Es bräuchte eine Spinne von der Größe eines Busses, um ein solches Netz zu spinnen - oder wahnsinnig viele kleine Spinnen, die zusammenarbeiteten. Ich war mir nicht sicher, welche dieser Vorstellungen beunruhigender war. Dieses Netz war bei meinem letzten Besuch definitiv noch nicht da gewesen.
»Das … ist ein großes Netz!«, bemerkte Molly. »Trotzdem, ich habe eine Schere und du einen saugroßen Stock. Sollen wir uns durchboxen?«
»Ich werde das Gefühl nicht los, dass das keine gute Idee ist«, antwortete ich, »aber uns bleibt keine andere Wahl. Wir müssen weiter …«
»Hör zu«, meinte Molly, »wenn du dir wirklich solche Sorgen machst, dann rüste hoch.«
»Kann ich nicht«, erklärte ich ihr. »Die Gesetze der Realität funktionieren hier anders. Das habe ich auch am eigenen Leib erfahren.«
»Das sagt er mir jetzt!«, beschwerte sich Molly. »Na schön, es ist Zeit, einen rauszuquetschen oder vom Topf zu gehen! Zurück können wir nicht, also … brenne, Baby, brenne!«
Sie stieß ihre Hand voll Hexenfeuer in den nächsten Fadenklumpen, der augenblicklich Feuer fing und mit einem grellen blauen Licht brannte. Die Flammen schossen empor und an den zitternden Fäden entlang und breiteten sich schnell über das riesige Spinnennetz aus. Und in diesem neuen, enthüllenden Licht konnten Molly und ich schließlich sehen, was uns die ganze Zeit gefolgt war: Hinter uns wogte eine Armee von Spinnen, Tausende, soweit das Licht reichte, und jenseits davon wahrscheinlich noch mehr. Und alles waren wirklich große Spinnen. Schwarze, pelzige Körper, so groß wie mein Kopf, vielgliedrige Beine von einem Meter Länge und mehr, Gruppen von Augen, die wie kostbare Juwelen funkelten. Und schwere Kieferteile, die bösartig gegeneinanderklapperten und von dickem Speichel troffen.
»Rennen!«, sagte ich.
Molly und ich brachen durch die brennenden Überreste des Netzes und schlugen die Fäden, die nach uns zu greifen schienen, zur Seite. Die Spinnen folgten uns wie eine große schwarze Welle, stumm bis auf das Trappeln ihrer vielen Beine auf dem staubigen Steinboden. Aus dieser Nähe konnte ich sie riechen: ein saurer, bitterer Geruch, wie Säure und verdorbenes Fleisch. Noch etwas, was ich mich über die Jahre hinweg zu vergessen gezwungen hatte … Molly und ich sprinteten durch die Dunkelheit und verlangten uns das Äußerste ab. Furchtbare Schmerzen, die meinen zusammengebissenen Zähnen gequälte Laute entrangen, wühlten bei jedem Schritt in meiner ganzen linken Seite. So viel Angespanntheit und Bewegung mussten die fremde Materie weiter in meinem Organismus verbreiten. Bei dem Gedanken an die Spinnen hinter mir brachte ich ein kleines Lächeln zuwege.
Ich hoffe, ich vergifte euch, ihr Drecksbiester …
Ich merkte, wie ich langsamer wurde. Molly ließ mich hinter sich, denn sie behielt ein Tempo bei, dem ich nicht länger gewachsen war. Ich hätte ihr hinterherrufen können, tat es aber nicht. Einer von uns musste hier rauskommen. Jetzt sah sie ohnehin zurück, erkannte, dass der Abstand zwischen uns zu groß wurde, und ließ sich zurückfallen, ergriff meinen Arm und trieb mich an. Gott sei Dank ergriff sie meinen guten Arm. Am Ende eines langen, flatternden Fadens kam eine Spinne wie ein großer, schwarzer, haariger Ballon durch die Luft auf mich zugesegelt. Ich schlug mit dem Eidbrecher auf sie ein, und der schwere Eisenholzstock traf die Riesenspinne genau zwischen die Augen. Der Körper explodierte in nasse Spritzer fliegender Innereien. Noch mehr Spinnen kamen aus der Dunkelheit herangesegelt. Ich schlug mit dem Eidbrecher um mich und tötete alles, was ich traf. Molly warf Hand voll Hexenfeuer hierhin und dorthin, und brennende Spinnenkadaver fielen aus der Luft.
Wir liefen weiter, nicht mehr so schnell wie zuvor, und unsere Füße platschten schwer durch breiige Spinnenüberreste auf dem Boden, die manchmal noch zuckten und zitterten. Die Spinnen wimmelten jetzt dicht hinter uns, fast an unseren Fersen. Sehnsüchtig dachte ich an den Repetiercolt in meinem Schulterhalfter, aber bis ich angehalten und ihn mühsam herausgebracht hätte, wären die Spinnen über mir gewesen. Also bewegte ich mich einfach weiter, inzwischen um Atem ringend, schreiend vor Schmerzen, immer wilder mit dem Eidbrecher um mich schlagend, der mit jedem Schlag schwerer zu werden schien.
Der Ausgang aus dem Zwischenraum war jetzt nicht mehr fern, da war ich mir sicher. Ich war mir fast sicher.
Wir wurden noch langsamer, erschöpft von dem langen Tag, und die Spinnen holten auf und fielen in Schwärmen über uns her, attackierten uns mit Klauen und Giftdrüsen. Wir schrien vor Schmerzen und Schrecken und Ekel und taumelten weiter. Ich steckte den Eidbrecher in den Gürtel und zerquetschte die weichen, matschigen Körper mit bloßen Händen. Molly streifte die Spinnen mit ihrer Hand voll Hexenfeuer von sich ab, und die brennenden Körper fielen herunter und huschten wie lodernde Irrlichter auf dem Boden hin und her. Aber es kamen immer mehr, kletterten an uns hoch oder ließen sich aus der Luft auf uns fallen. Molly wie auch ich brüllten jetzt laut, während wir die Dinger wegschlugen. Spinnen huschten um unsere Füße herum und krabbelten an unseren Beinen hoch oder versuchten, uns zu Fall zu bringen, aber ungeachtet ihrer Größe waren sie zu leicht und zu zerbrechlich gebaut. Wir wankten weiter und zermalmten sie unter unseren Tritten.