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Bis ich endlich im flackernden Hexenlicht weiter vorn einen vertrauten Anblick sah: die Ausgangstäfelung des Zwischenraums, die zurück ins Herrenhaus führte. Zurück zu Licht, Wärme und klarem Verstand. Ich konnte sie vor uns sehen, denn das Licht von außen umschien ihre Ränder, hell wie der Tag im endlosen Zwischenraumdunkel.

Ich machte Molly darauf aufmerksam, und wir brachten ein paar letzte Fünkchen Kraft auf, um uns anzutreiben. Die Tafel glitt ruckweise auf, als wir uns ihr näherten, aktiviert durch unsere Anwesenheit, und blieb dann auf halber Strecke stecken, gerade so lange, dass der Gedanke, der alte Mechanismus könnte den Geist aufgegeben haben, mich in Panik versetzte. Und dann setzte sie sich langsam wieder in Bewegung und verströmte schmerzlich helles Licht in die Finsternis.

Ich schob Molly durch die enge Lücke und zwängte mich selbst direkt hinter ihr durch. Ich wirbelte herum und drehte die geschnitzte Holzrose an der Wand herum, und die Täfelung schloss sich mit einer Reihe von schwerfälligen, langsamen Stößen. Eine letzte Riesenspinne quetschte sich hinter uns noch durch und bäumte sich auf, nur um zusammenzubrechen und auf dem Boden mit schwach scharrenden, vielgliedrigen langen Beinen ihr Leben auszuhauchen: Die übergroße Kreatur konnte in unserer Realität nicht existieren. Die Spinnen, die noch an Molly und mir hingen, fielen nach und nach ab. Sie huschten sterbend über den gewachsten und polierten Fußboden und versuchten, ins sichere Dunkel zurückzukommen, aber Molly und ich zertrampelten und zermatschten sie unter unseren Füßen. Sie wären sowieso gestorben, aber wir hatten das Bedürfnis, sie zu töten.

Einige Spinnen hingen, obwohl sie tot waren, immer noch an Molly und mir, denn ihre klauenbewehrten und mit Widerhaken versehenen Beine hatten sich in unsere zerrissene und blutige Kleidung und unser Fleisch eingegraben. Molly und ich nahmen einander abwechselnd die widerlichen Viecher ab und zuckten bei jeder Berührung zusammen, bis es vorbei war. Wir waren beide todmüde, und unser Atem ging so stoßweise, dass es wehtat; unsere Herzen hämmerten in Brustkörben, die von hundert Schnitten und Bissen schmerzten und bluteten. Wir wankten von den toten Spinnen fort, und dann hielten wir einander einfach fest, zitternd und bebend und leise, erschreckte Töne von uns gebend. Wir klammerten uns wie Kinder aneinander, die frisch aus einem schlechten Traum erwacht waren, und es wäre schwer zu sagen gewesen, wer wen tröstete. Schließlich ließen wir einander los und traten zurück - eine Weile lang zu verlegen, um einander anzusehen, teils weil es keiner von uns gewohnt war, schwach zu sein, aber hauptsächlich wegen der unerwarteten Tiefe unserer Gefühle.

»Also schön«, sagte Molly irgendwann mit fast normaler Stimme. »Ich geb's zu: Das waren wirklich große Spinnen.«

»Beharrliche kleine Drecksbiester, was?«, entgegnete ich und versuchte, das Ganze zu verharmlosen, scheiterte jedoch knapp.

»Du bist verletzt«, stellte Molly fest.

»Du auch.«

Irgendwie brachte sie die Kraft für einen schnellen Heilzauber auf, gerade so viel, um unsere Bisse zu heilen und die Kratzer zu schließen. Ich kann nicht sagen, dass ich mich danach besser fühlte, aber ich benahm mich so. Sie brauchte nichts von den sich ausbreitenden Schmerzen in meiner linken Seite zu wissen. Drei Tage, vielleicht vier? Ich glaubte nicht mehr daran.

»Ich weiß, wo wir sind«, sagte ich. »Die Bibliothek ist nur ein paar Minuten von hier weg.«

»Dann lass uns gehen!«, sagte Molly. »Aber diese deine Bibliothek sollte den Ausflug besser wert sein, Drood!«

Ich musste lächeln.

* * *

Wir zogen los, den Korridor entlang, froh, wieder in unserer eigenen, behaglichen Welt zu sein. Das Licht war hell und warm und das Herrenhaus voll menschlicher Anblicke und Gerüche. Zum ersten Mal seit langer Zeit war ich froh, zu Hause zu sein. Ich hatte das Gefühl, Jahre im Zwischenraumdunkel verbracht zu haben. Wie hatte ich das als Kind bloß ertragen können? Vielleicht konnte ich damals schneller rennen.

Molly und ich bogen um eine Ecke, und ein halbes Dutzend Mitglieder meiner Familie kamen durch den Gang auf uns zugeschlendert und schwatzten währenddessen angeregt über den Angriff des falschen Drachen. Alle möglichen Namen wurden als infrage kommende Verdächtige gehandelt, aber ich wurde dabei nicht mal erwähnt. Ich wusste nicht, ob ich mich erleichtert oder beleidigt fühlen sollte. Sie blickten kurz in unsere Richtung, und dann, genau wie der Waffenschmied gesagt hatte, sahen sie wieder weg, als sie unserer Laborkittel ansichtig wurden. Nur um auf der sicheren Seite zu sein, hatte ich das Gesicht bereits in den Händen verborgen, als ob ich verletzt sei. Molly kapierte sofort und stützte mich ab, als wir an den Droods vorbeikamen.

»Bist selber Schuld!«, tadelte sie mich laut. »Ich habe kein Mitleid mit dir! Wie kann denn einer Schwarzpulver mit Schnupftabak verwechseln?«

»Meine Nase!«, stöhnte ich. »Hat jemand meine Nase gefunden?«

Die anderen Droods lachten kurz und gingen weiter. Nur ein weiteres Labormissgeschick, hier gibt es nichts zu sehen, bitte weitergehen. Molly und ich zogen unsere Schau weiter ab, bis wir sicher um die nächste Ecke waren, und da war die Bibliothek, direkt vor uns. Niemand sonst war in der Nähe. Ich probierte die Türen, aber wie erwartet waren sie abgesperrt. Wache stand allerdings immer noch keiner; anscheinend waren alle nach draußen gerannt, um einen Blick auf den Drachen zu erhaschen. Ausgesprochen schlampige Sicherheitsmaßnahmen, ganz und gar schlechte und unprofessionelle Disziplin. Wo sollte das nur hinführen? Ohne Zweifel würde der Seneschall ein oder zwei Sachen dazu zu sagen haben, wenn er irgendwann wieder aufwachte. Ich benutzte den Schlüssel, den der Waffenschmied mir gegeben hatte, und bei der ersten Berührung schwangen die Türen auf. Ich führte Molly hinein, schloss die Türen hinter uns schnell wieder und sperrte ab. Ich wollte nicht gestört werden. Ich wusste nicht, wie lange das hier dauern würde.

Die Bibliothek schien völlig ausgestorben zu sein. Ich rief ein paarmal, aber niemand kam hinter den hoch aufragenden Regalen hervor, um mich zur Ruhe zu ermahnen. Molly gaffte mit aufgerissenem Mund um sich. Ich nickte verständnisvolclass="underline" Die schiere Größe der Bibliothek trifft neue Besucher immer hart.

»Willkommen in der droodschen Familienbibliothek!«, sagte ich ein klein wenig großspurig. »Kein Schreien, kein Rennen zwischen den Regalen, kein Pinkeln ins flache Ende! Und nein, sie ist nicht so groß, wie sie aussieht; sie ist größer. Nimmt das gesamte untere Stockwerk dieses Flügels ein. Die ganze Welt ist hier drin, irgendwo - wenn man sie finden kann.«

»Sie ist … gewaltig!«, sagte Molly endlich. »Wie findet man hier drin überhaupt irgendwas?«

»Meistens tun wir das nicht«, gab ich zu. »William war der letzte Bibliothekar, der den Versuch unternommen hat, ein offizielles Verzeichnis zusammenzustellen, und die meisten seiner Unterlagen sind mit ihm verschwunden. Wir fügen ständig Bücher hinzu, verlieren welche und stellen sie falsch ab. Immerhin sind die Abteilungen deutlich gekennzeichnet.«

»Du suchst nach Familiengeschichte«, bestimmte Molly, indem sie sich zusammenriss und ihre effizienteste Art nach außen kehrte, »und ich werde mich durch die medizinische Abteilung arbeiten. Es muss hier etwas geben, womit ich dir helfen kann. Und wenn ich nur das Vordringen der fremden Materie verlangsame, bis wir dich zu jemandem schaffen können, der dir helfen kann.«

»Molly …«

»Nein, Eddie. Ich will's nicht hören. Ich werde nicht aufgeben, und du solltest das auch nicht. Ich werde dich nicht sterben lassen - nicht, wo du dein Leben riskiert hast, um meins zu retten! Ich kann nicht … Es muss da draußen jemanden geben, der dich wieder gesund machen kann. Teufel auch, wenn alles andere fehlschlägt, kenne ich immer noch ein halbes Dutzend Leute, die dich als Zombie von den Toten zurückholen können!«