»Augenblick mal!«, sagte Molly. »Selbst wenn wir einmal davon ausgehen, dass wir dahin kommen können, was ich nicht tue, aber nur damit wir uns mal drüber unterhalten, besteht da nicht die winzig kleine Möglichkeit, dass die Vernichtung einer außerirdischen Lebensform wie dem Herzen extrem verflucht gefährlich sein könnte? Ich meine, du setzt eine unbekannte Waffe wie den Eidbrecher gegen ein unbekanntes andersdimensionales Wesen wie das Herz ein, und Gott allein weiß, welche Arten von Energien und Kräften da freigesetzt werden könnten! Du könntest das ganze Haus in die Luft jagen. Verdammt, du könntest das ganze Land in die Luft jagen!«
»Weshalb so bescheiden denken?«, entgegnete ich. »Wir könnten die ganze Welt in die Luft jagen! Aber weißt du was, Molly? Es kümmert mich nicht mehr. Das hier ist etwas, was ich tun muss, und es ist etwas, was ich tun werde - koste es, was es wolle. Du musst nicht mit mir kommen, wenn du nicht willst …«
»Ach, scheiß drauf!«, antwortete Molly energisch. »Ich bin nicht so weit gekommen, um dann zu verpassen, wie die Macht der Droods ein für alle Mal gebrochen wird! Dies ist es, wozu ich mich verpflichtet habe, Eddie, und schreib dir das hinter die Ohren: Rache an der Familie zu nehmen, die meine Eltern ermordet hat!«
»Die Familie hat auch meine Eltern umgebracht«, sagte ich. »Allerdings würde sie das nie zugeben. Deshalb nehme ich an … dass dies auch meine Rache ist.«
»Außerdem«, fügte Molly hinzu, »würdest du es allein wahrscheinlich sowieso vergeigen. Du brauchst mich, Eddie.«
Ich lächelte sie an. »Danke«, sagte ich. »Für alles.«
»Nicht um alles in der Welt hätte ich das verpassen wollen!«, antwortete sie und erwiderte mein Lächeln.
»Wir haben einen langen Weg zusammen zurückgelegt«, sagte ich. »Die ganzen Jahre, die wir vergeudet haben, indem wir versuchten, uns gegenseitig umzubringen …«
»Werd mir jetzt nicht gefühlsduselig, Eddie! Wir haben etwas zu erledigen. Vielleicht ist später Zeit für … andere Dinge.«
»Falls es ein Später gibt.«
»Hey, betrachte es doch mal positiv: Höchstwahrscheinlich wird deine Familie uns töten, lange bevor wir auch nur in die Nähe des Herzens kommen.«
Wir lachten leise zusammen, und dann nahm ich sie in die Arme und hielt sie nah an mich. Ich konnte sie nicht festhalten - die Schmerzen in meiner linken Seite waren zu stark -, aber sie verstand. Sie hielt mich, als ob ich das Kostbarste in ihrem Leben sei, das einen Sprung bekommen hatte und zerbrechen könnte, wenn man zu grob damit umging, und barg ihr Gesicht an meiner Schulter. So standen wir eine Zeit lang, und dann zwangen wir uns dazu, loszulassen. Mehr Zeit durften wir uns nicht füreinander nehmen. Wir küssten uns, schnell, und dann traten wir zurück und setzten wieder unsere professionellen Mienen auf. Der vogelfreie Drood und die wilde Hexe, entschlossen, alles zu riskieren oder bei dem Versuch zu sterben - und wahrscheinlich beides.
»So«, meinte Molly, wieder ganz geschäftsmäßig. »Kennst du noch irgendeine Abkürzung, die wir von hier zum Sanktum nehmen könnten? Vorzugsweise eine, bei der man nicht von einer Horde hungriger Spinnen mit ernsthaften Drüsenproblemen gejagt wird?«
»Leider nein«, antwortete ich. »Das Sanktum ist vom Rest des Herrenhauses durch wirklich mächtige Kräfte abgeschottet; teils um das Herrenhaus vor einem Angriff von außen zu schützen, teils um die Familie vor den verschiedenen Energien und Emissionen des Herzens zu schützen. Man kann nur ins Sanktum gelangen, indem man sich ihm über den einzigen offiziell genehmigten Weg nähert; alles andere löst die inneren Sicherheitsreaktionen des Herrenhauses aus … und das wollen wir wirklich nicht. Falls dir die Verteidigungsmittel draußen in den Anlagen heftig vorgekommen sind - sie sind nichts, verglichen mit dem, was im Herrenhaus selbst ist. Der Tod könnte noch das Angenehmste sein, was uns widerfahren würde.«
»Mein Gott, in deiner Gesellschaft ist es manchmal echt deprimierend!«, sagte Molly. »Der offizielle Weg ist doch inzwischen bestimmt schwer bewacht?«
»Selbstverständlich. Und nenn mich nicht -«
»Untersteh dich!«
»'Tschuldigung. Drohende Gefahr und naher Tod kehren immer die respektlose Seite in mir hervor. Nein, wir werden uns durch eine ganze Armee gepanzerter Droods kämpfen müssen, nur um zum Sanktum zu gelangen.«
Aus einer verborgenen Tasche ihres Kleides zog Molly den Torquesschneider hervor und betrachtete die hässliche Schere mit finsterem Blick. »Sie werden die Gänge wahrscheinlich mit Kanonenfutter vollstopfen, mit allen unerfahrenen, entbehrlichen Droods. So würde ich es jedenfalls machen. Wie viele weitere Familienmitglieder bist du bereit sterben zu sehen, Eddie?«
»Es hat schon einen Tod zu viel in der Familie gegeben. Es muss einen anderen Weg geben …«
Molly wartete geduldig, während ich angestrengt nachdachte, mit Plan um Plan aufwartete und alle verwarf. Die Familie konnte sich einer jahrhundertelangen Erfahrung rühmen, was das Zurückschlagen aller möglichen Versuche anging, die Gänge im Sturm zu nehmen. Die Gänge … Ich sah Molly an und grinste plötzlich.
»Wenn ich in der Rüstung stecke, bin ich stärker, schneller, mächtiger. Weitaus stärker, als die zerbrechliche Welt, in der ich mich bewege. Warum also durch die Gänge ziehen und in diese und jene Richtung gehen, wenn es einen viel schnelleren Weg gibt? Warum nicht in gerader Linie zum Sanktum gehen, indem ich alles in Stücke schlage, was mir im Weg ist?«
»Klingt nach einem Plan für mich«, meinte Molly mit funkelnden Augen.
Ich steckte den Eidbrecher hinten in meinen Gürtel und rüstete hoch. Mein Blick zeigte mir die gerade Linie von meinem Standort zum Sanktum, die ich brauchte. Ich drehte mich zu der getäfelten Wand zu meiner Linken um und schlug ein großes, gezacktes Loch in das massive Teak; ich zog meine goldene Hand zurück, und eine ganze Tafel löste sich. Ich steckte beide Hände in die Lücke und nahm die Wand mit der Kraft der Rüstung auseinander. Das schwere Holz riss, als ob es aus Papier sei. Molly sprang auf und ab, jubelte und klatschte entzückt in die Hände. Ich bahnte mir meinen Weg durch die Wand in den Raum dahinter, und Molly kam mir eilig nach.
Das Zimmer war voller Liegesofas und kleinerer Sofas für zwei aus verschieden Stilepochen, alle angenehm bequem und gemütlich: Der perfekte Ort, um sich zu entspannen und stiller Versunkenheit zu frönen. Ich ging mit weit ausgreifenden Schritten durch den Raum, trat die schweren Möbel aus dem Weg und steuerte die nächste Wand an. Molly folgte mir und murmelte: »Typisch Mann …«, gerade laut genug, dass ich es hören konnte. Und dann sprang die Tür auf und ein Dutzend gerüsteter Droods stürmte in den Raum, wobei der Türrahmen zersplitterte, weil sie versuchten, sich alle zugleich hineinzuzwängen. Ihre Hast und Unbeholfenheit ebenso wie die planlose Weise, in der sie sich vor mir gruppierten, machten es offensichtlich, dass keiner von ihnen irgendwelche Kampferfahrung besaß. Vermutlich nur Haus-Droods, die zum Kriegsdienst gepresst worden waren; mir in den Weg geworfen, um mich zu verlangsamen, bis erfahrenere Kämpfer hierhergelangen konnten. Arme Schweine! Noch mehr Unschuldige, die für das Wohl der Familie geopfert wurden. Ich musterte sie, wie sie sich nervös in einem Halbkreis vor mir formierten, glänzend und golden, und dann einfach dastanden und mich ansahen. Offenbar wollte keiner derjenige sein, der den ersten Schritt machte.
»Geht mir aus dem Weg!«, forderte ich sie auf, und es war überhaupt nicht schwer, kalt und gemein und gefährlich zu klingen.
Man musste es ihnen hoch anrechnen, dass keiner zurückwich; ein Drood brachte sogar einen Schritt vorwärts zustande. Seiner Stimme nach zu urteilen war er noch jung, aber obwohl er die Hosen gestrichen voll haben musste, war sein Ton entschlossen und fest.
»Wir können Sie nicht vorbeilassen. Sie sind vogelfrei. Wir kämpfen für die Ehre der Familie.«