Molly rief nach mir, als die Rüstung sich an sie heranarbeitete, aber sie konnte meine Antwort nicht hören. Und weil das Herz den meisten Platz im Sanktum in Anspruch nahm, konnte sie nicht wirklich irgendwohin. Sie wich um die Peripherie des großen Raums zurück und versuchte, einen sicheren Abstand zwischen sich und der vorrückenden Rüstung zu wahren. Es gab zwei Ausgänge aus dem Sanktum, aber sie musste wissen, dass die Rüstung über sie herfallen würde, bevor sie eine der Türen auch nur öffnen konnte. Inzwischen brüllte ich die aktivierenden Worte und schrie Molly zu, zu fliehen, aber kein Laut kam an der gesichtslosen goldenen Maske vorbei, die mein Gesicht bedeckte.
Molly erkannte, dass sie mich nicht erreichen konnte, und wich nicht mehr zurück. Ruhe und kalte Entschlossenheit spiegelten sich in ihrer Miene wider. Sie beschwor einen tosenden Sturm herauf, der heulend aus dem Nichts hereinbrach und wie ein Rammbock die Luft vor sich hertrieb. Er versuchte, mich aufzuheben und fortzuwehen, doch meine Rüstung ließ schwere Nägel aus den Unterseiten ihrer goldenen Füße wachsen und verankerte sich im Holzboden. Der Wind umpeitschte harmlos mein goldenes Äußeres, fand keinen Angriffspunkt, wurde schwächer und erstarb. Die Rüstung machte einen Schritt nach vorn.
Molly beschwor einige Hand voll Höllenfeuer herauf und warf sie nach mir. Flammen aus dem tiefsten Teil des Höllenschlunds, dazu bestimmt, Leib und Seele zu verbrennen, und dennoch konnten sie mir durch die goldene Rüstung nichts anhaben. Die Flammen peitschten den Boden rings um mich und schwärzten ihn, die Hitze war so entsetzlich, dass flimmernde Schleier in der Luft lagen, doch ich spürte nichts. Die Rüstung machte einen Schritt nach vorn.
Monster erschienen aus dem Nichts, um mir den Weg zu versperren. Riesige, schreckliche Kreaturen mit gepanzerter Haut und peitschenden, stachelbewehrten Tentakeln und weit aufgerissenen, schnappenden Mäulern voller rasiermesserscharfer Zähne. Doch die Rüstung ging geradewegs durch die Illusionen hindurch, um zu Molly zu gelangen. Molly wich zurück, entließ mit einer Handbewegung die Illusionen und beschwor eine bodenlose Grube zwischen ihr und mir herauf. Die Anstrengung trieb ihr den Schweiß ins Gesicht. Die Rüstung sprang mühelos über den Abgrund und stellte sich vor sie, angetrieben von der übernatürlichen Kraft ihrer gepanzerten Beine. Molly beschwor einen flimmernden Schutzschirm aus reiner Magie, der sich zwischen sie und mich legte. Er knisterte und prasselte in der Luft, erhalten von ihrem eisernen Willen. Die Rüstung legte eine einzige goldene Hand gegen den Schirm und drückte langsam, unbarmherzig, mit all ihrer unmäßigen Kraft dahinter.
Bis der Schutzschirm Risse bekam, zersprang und verschwand, und Molly wich zurück, weinend vor Erschütterung und Schmerz. Denn am Ende war Molly ein Mensch und die Rüstung nicht.
Molly war inzwischen unverkennbar erschöpft, ihre sämtlichen inneren Ressourcen aufgezehrt. Sie taumelte zurück, fort von mir, und hielt sich an der Wand fest, um nicht zu fallen, und die Rüstung ging ihr nach. Ihre tödlichen goldenen Hände streckten sich nach ihr aus, und es gab nicht das Geringste, was ich tun konnte, um sie aufzuhalten.
»Eddie«, sagte Molly und bemühte sich angestrengt, ruhig und fest zu klingen, »ich hoffe, du kannst mich da drin hören. Ich weiß, dass das … nicht du bist. Ich habe getan, was ich konnte; jetzt liegt es an dir, die Rüstung aufzuhalten. Aber falls du es nicht kannst … ich will, dass du weißt, dass ich es verstehe. Ich verstehe, dass nicht du es sein wirst, der es macht. Gib dir also nicht die Schuld daran! Nur … finde einen Weg, das Herz bezahlen zu lassen! Auf Wiedersehen, Eddie, meine einzig wahre Liebe!«
Ich konnte ihr nicht einmal antworten.
Ich hatte mich bei meinem hilflosen Kampf in der Rüstung verausgabt, als ich mich mit meiner menschlichen Stärke gegen ihre unmenschliche Stärke gestemmt hatte. Ich konnte keinen Körperteil bewegen, wenn nicht die Rüstung ihn bewegte. Es war, als ob meine Hand mir nicht gehorchte, eine Waffe ergriff und einen Mord beging, während ich nur zusehen und sie hilflos anschreien konnte, aufzuhören. Es war auch nicht gerade hilfreich, dass dermaßen viel Stress meine Abwehrkräfte geschwächt hatte und die fremde Materie inzwischen in meinen ganzen Körper geströmt war. Ich konnte spüren, wie sie in meinem Inneren pulsierte. Die Schmerzen waren grässlich, und ich war so schwach, dass ich wahrscheinlich hingefallen wäre, wenn die Rüstung mich nicht aufrecht gehalten hätte. Ich war so müde! Ich hatte so lange gekämpft und mich geweigert aufzugeben, und das alles umsonst!
Und dann sagte eine schwache Stimme in meinem Hinterkopf: Dann hör auf zu kämpfen, du Idiot! Die Stimme hörte sich überhaupt nicht wie meine an. Sie hörte sich auch nicht wie die des Herzens an. Also spielte ich va banque und hörte auf zu kämpfen.
Ich ließ die Schwäche mich durchströmen und mir sämtliche Kraft aus Armen und Beinen nehmen. Ich hörte auf, Widerstand zu leisten und ließ die fremde Materie tun, was sie wollte. Ich gab auf … und die Rüstung blieb taumelnd stehen. Ihre goldenen Hände hielten Zentimeter vor Mollys Hals an, und dann sank die Rüstung langsam und schwerfällig vor ihr auf die Knie. Denn der Torques war mit mir verbunden, mit Leib und Seele, und nicht einmal das Herz konnte diese Verbindung trennen. Die Rüstung ist immer nur so stark wie der Mann in ihrem Inneren, und dieser Mann … hatte nichts mehr drauf. Das goldene, lebende Metall kräuselte sich über meiner Haut und bemühte sich nach Kräften, den Befehlen des Herzens zu gehorchen, aber meine hartnäckige Schwäche, die durch die Anwesenheit der fremden Materie in meinem Körper noch unterstützt wurde, war stärker. Ein geringes Maß an Kontrolle kehrte zu mir zurück, und langsam zwang ich das goldene Metall von meinem Gesicht herunter, sodass Molly mich sehen und hören konnte. Sie kauerte sich vor mir nieder, und ich glaube, sie konnte den Tod in meinem Gesicht sehen. Sie fing an zu weinen.
»Tut mir leid, Molly«, sagte ich. »Aber weiter als bis hierher gehe ich nicht. Wir haben immer gewusst, dass ich das Ende der Geschichte vermutlich nicht erleben würde … Die fremde Materie hat mich mittlerweile ganz durchdrungen. Es gibt nur noch eine Sache, die du für mich tun kannst. Schnell, bevor das Herz einen Weg findet, mir die Gewalt über die Rüstung wieder zu entreißen, nimm den Torquesschneider und zertrenne den Torques um meinen Hals! Damit zerstörst du die Rüstung. Sie wird dich nicht verletzen können. Dann nimm den Eidbrecher und zerschlage diesen aufgeblasenen sprechenden Diamanten in eine Million Stücke!«
»Das kann ich nicht, Eddie! Es wird dich umbringen!«
»Mit mir geht es sowieso zu Ende! Tu es, Molly. Bitte! Beschütze dich selbst! Auf diese Weise … bekommt mein Tod wenigstens einen Sinn. Einen Zweck.«
»Eddie …«
»Wenn du mich liebst, dann töte mich! Denn ich würde lieber sterben als mitansehen zu müssen, wie dir wehgetan wird.«
»Ich wünschte, die Dinge hätten sich anders entwickeln können.«
»Ich auch. Auf Wiedersehen, Molly. Meine einzig wahre Liebe.«
Ich senkte meinen goldenen Kopf und bot ihr meinen Hals dar. Meine Bewegungen wurden bereits steif, denn das Herz kämpfte darum, die Kontrolle wiederzuerlangen. Molly nahm die hässliche schwarze Schere heraus und setzte sie an der Seite meines goldenen Halses an. Irgendwo im Hintergrund schrie das Herz Befehle, aber keiner von uns hörte hin. Molly presste die Scherenblätter zusammen, und die schwarzen Schneiden durchtrennten meinen Torques. Im selben Moment verschwand meine goldene Rüstung, und die beiden Hälften meines goldenen Halsreifs fielen auf den Boden.
Und ich lachte auf, denn neue Kraft durchströmte meinen Körper.
Ich erhob mich, immer noch lachend, und hob Molly mit mir hoch, während sie mir verdutzt ins Gesicht sah. Dann fing sie vor lauter Erleichterung selbst an zu lachen. Ich drückte sie fest an mich, und sie drückte mich, und ich fühlte mich stark und gut und endlich im Frieden. Scheinbar eine Ewigkeit lang hielten Molly und ich einander fest, und es fühlte sich gut, so gut an, am Leben zu sein. Endlich ließen wir los, traten einen Schritt zurück und schauten einander ins Gesicht.