Im Augenblick sahen die Männer und Frauen vor mir nicht besonders wie Kämpfer aus. Die meisten wirkten ziemlich durcheinander, als ob ihnen allen gerade jemand in den Bauch geschlagen hätte, nachdem ihnen so viele unerfreuliche und unerwartete Neuigkeiten eine nach der anderen aufgetischt worden waren. Sie blickten einander unsicher an und schauten dann wieder auf mich, bis schließlich eine Stimme aus dem Hintergrund fragte:
»Was sollen wir tun?«
»Wir sollen tun, wofür wir geboren wurden! Wir sollen sein, was wir immer sein sollten: Schamanen des Stammes, die ihr Volk vor allen bösen Mächten beschützen, die es bedrohen! Nur dass jetzt der Stamm die Menschheit ist und wir die Krieger der Welt sein müssen, die den guten Kampf kämpfen; nicht für uns, sondern weil es das Richtige zu tun ist! Wir müssen uns das Recht verdienen, wieder stolz darauf zu sein, den Namen Drood zu tragen!«
»Aber … wie können wir kämpfen, ohne unsere Torques?«, fragte eine andere Stimme.
Ich lächelte und legte eine Hand an den silbernen Torques um meinen Hals. »Das Herz ist nicht mehr da, aber glücklicherweise habe ich einen neuen Sponsor für die Familie gefunden.« Und ich sprach innerlich: Zeig es ihnen, fremde Materie!
Binnen eines Moments floss die neue Rüstung über mich und umschloss mich vollständig mit glänzendem Silber. Die Menge schrie auf; manche applaudierten sogar. Dann sprach eine große Stimme zu ihnen - die fremde Materie, die sich durch mich an die Familie wandte, und ihre Stimme war voller Frieden und Ruhe und Kameradschaftlichkeit:
»Lange und lange habe ich die Kreatur verfolgt, die ihr als das Herz kanntet, durch all die vielen Dimensionen, um sie für all ihre entsetzlichen Verbrechen zu bestrafen. Nun, da sie tot ist, werde ich hierbleiben, um zu helfen, das Böse, das sie getan hat, wiedergutzumachen. Ich werde euer neuer Protektor sein, und es wird Torques für alle geben.«
»Wie lange beabsichtigst du dazubleiben?«, fragte eine praktische Stimme.
»Bis ich euch allen beigebracht habe, stark zu sein ohne Rüstung«, erwiderte die Stimme. »Ihr habt keine Vorstellung von eurem wahren Potenzial.«
Diese Worte riefen viel Gemurmel in der Menge hervor.
»Aber welchen Preis müssen wir für diese neue Rüstung bezahlen?«, wollte eine andere Stimme in der Menge wissen. »Das Herz wollte unsere Kinder; unsere unbekannten Brüder und Schwestern. Was willst du?«
»Nur helfen«, sagte die Stimme. »Das ist meine Aufgabe. Und bezahlt habt ihr mich bereits, indem ihr das Herz zerstört habt. Ihr habt ja keine Ahnung, wie lange ich damit zugebracht habe, das verdammte Ding zu jagen! Ich bin einfach nur froh, dass es endlich vorbei ist … Ich habe Anspruch auf ein bisschen Urlaub, also denke ich, ich werde ihn hier verbringen. Nur ein paar Jahrtausende. Faszinierende Dimension, faszinierende Leute. Ihr müsst mir unbedingt auch mehr über diese Sexsache erzählen, die ihr da -«
Später!, sagte ich schnell innerlich. Weißt du, ich kann dich nicht die ganze Zeit Fremde Materie‹ nennen. Hast du keinen Namen, den ich benutzen kann?
Wie wär's mit Ethel?, schlug die Stimme in meinem Kopf vor. Das ist ein guter Name.
Auch das werden wir später erörtern, sagte ich. Und jetzt befrei mich bitte von dieser Rüstung!
Oh, aber sicher!
Die silberne Rüstung verschwand wieder in meinen Torques, und ich blickte wieder auf die Familie hinab. »Folgt mir, und ihr werdet alle wieder Rüstungen haben! Und wir werden alle sein … was die Familie einmal sein sollte, bevor wir vom Weg abgekommen sind.«
»Unter deiner Führung?«, fragte die Matriarchin laut mit schroffer und unversöhnlicher Stimme.
»Nicht, wenn ich ein Wörtchen mitzureden habe«, antwortete ich. »Das wollte ich nie; zu viel harte Arbeit.« Ein paar Lacher kamen aus der Menge. »Nein; wir haben Führer genug gehabt. Man kann ihnen nicht trauen. Ihr habt alle dem Handel mit dem Herzen zugestimmt, Großmutter; Generationen von Matriarchinnen, die mit der Abschlachtung von Generationen von Kindern einverstanden waren.«
»Wir hatten keine Wahl!«, fuhr sie mich an. »Wir mussten stark sein, um gegen die Mächte der Finsternis zu kämpfen!«
»Ihr hattet immer eine Wahl«, sagte ich. »Wir nicht. Wir haben der Opferung unserer Brüder und Schwestern nie zugestimmt, Großmutter.«
Und irgendetwas muss wohl in meiner Stimme gelegen haben, denn sie wandte den Blick ab und blieb die Antwort schuldig.
»Ich schlage einen gewählten Rat vor«, sagte ich zur Menge. »Über die Bestimmungen könnt ihr euch einigen - mit der Ausnahme, dass sich kein Mitglied des gegenwärtigen Rats darin finden darf, denn sie waren Teil der Verschwörung. Teil der Lügen. Ich werde während der Übergangsphase nach den Dingen sehen, und dann … bin ich hier weg. Zurück zum Frontagentendasein. Da gehöre ich hin.«
»Wenn du vorhast, die Familie im Stich zu lassen, warum sollten wir dann auf dich hören?«, warf eine weibliche Stimme in der Menge ein, nur um gleich darauf den Kopf einzuziehen, als Molly sie nachdenklich ansah.
»Ich werde die Familie nicht verlassen«, sagte ich bestimmt. »Ich werde mich nur wieder dem widmen, was ich am besten kann: Den Bösen in den Arsch treten und sie wie Babys zum Weinen bringen. Das Manifeste Schicksal ist immer noch da draußen und ebenso all die anderen Monster, die uns sofort angreifen würden, wenn sie glaubten, dass wir schwach sind.«
»Wir sind schwach!«, sagte die Matriarchin. »Du hast ihnen gezeigt, dass unsere Verteidigungsanlagen durchbrochen werden können!«
»Wir sind schwach geworden unter dir, weil du der Familie gestattet hast, sich in Splittergruppen aufzuspalten«, hielt ich ihr entgegen, und wieder sah sie weg. »Wir müssen stark sein, vereint. Schäfer der Herde, nicht Wölfe. Verdammt, wenn es einfach wäre, das Böse zu bekämpfen, dann würde es jeder machen! Aber keine Angst, Großmutter; von jetzt an wird es keine Fanatiker mehr geben. Nur noch Männer und Frauen, die guten Willens sind und den guten Kampf kämpfen. Und jeder, der damit nicht einverstanden sein kann oder will, kann sich verziehen. Ohne Torques!«
Der Waffenschmied trat vor. »Dies ist Edwin Drood. Er hat sich mit der Familie angelegt und gewonnen. Wer könnte uns besser führen? Um uns wieder stark zu machen? Um uns zu dem zu machen, was wir immer sein sollten? Ich bin der Waffenschmied, und meine Unterstützung hat er!«
»Und meine!«, sagte der Geist des alten Jacob.
»Und meine!«, sagte der Seneschall.
Die Menge sah die Matriarchin an. Sie blickte langsam um sich, nahm in sich auf, was sie in den Gesichtern las, und endlich ließ sie die stolzen Schultern hängen und drehte sich um.
»Ich bin müde«, sagte sie. »Und Alistair braucht mich. Macht, was ihr wollt. Das werdet ihr ja sowieso.«
Sie wandte mir den Rücken zu und entfernte sich durch die Menge, wobei sie blindlings die Hände vorstreckte, und wieder wichen die Leute zur Seite, um sie vorbeizulassen. Niemand sagte etwas; niemand machte höhnische Bemerkungen. Schließlich war sie die Matriarchin. Und auch nach allem, was passiert war, nach allem, was sie getan hatte, mir und so vielen anderen, schmerzte es mich dennoch, sie gedemütigt und gebrochen zu sehen. Sie war meine Großmutter, und als ich noch klein war, hatte sie mir an Weihnachten immer das beste Spielzeug geschenkt und mich gepflegt, wenn ich krank war.
»Edwin führt uns jetzt!«, sagte der Waffenschmied, ergriff meine Hand und hielt sie mir wie einem Berufsboxer über den Kopf. »Der größte Frontagent aller Zeiten! Der treueste, tapferste Sohn, den diese Familie je gehabt hat! Edwin! Edwin!«
Die Menge nahm den Ruf auf, brüllte in Sprechchören meinen Namen, geriet in Ekstase, als sich der große Raum mit dem Lärm der Familie füllte, die mir zujubelte, immer und immer wieder. Ich fand es ein kleines bisschen unheimlich. Ich hatte die Familie nie führen wollen, aber es sah so aus, als ob man mir keine andere Wahl ließe. Also würde ich eine Weile dableiben. Tun, was ich konnte. Und wieder weglaufen, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit. Mit sanfter Gewalt befreite ich meinen Arm aus dem Griff des Waffenschmieds, drehte mich zu Molly um und grinste sie an.