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»Dann hilfst du mir also?«, fragte ich.

»Ja. Ich werde dich nicht mit dem Ruf sterben lassen, ein Verräter zu sein, Eddie; so viel kann ich für dich tun. Außerdem, wenn Alexandra mit dem Torquesschneider durch die Gegend läuft, dann weiß Gott allein, was sonst noch da draußen ist. Du wirst den Eidbrecher brauchen.«

»Ich verspreche, dass ich ihn sicher wiederbringen werde!«, sagte ich.

»Das will ich dir auch verdammt noch mal geraten haben«, erwiderte der Waffenschmied. »Bring mich nicht dazu, hinter dir herzulaufen, Eddie! Ich kenne ein paar schmutzige Tricks, die du dir in all deinen Jahren an der Front nicht träumen lassen hast!«

»Ich habe mich auch schon immer gewundert, wieso deine alten Akten gesperrt sind!«, antwortete ich.

Molly und ich setzten Alexandra in eine Ecke und lehnten sie gegen die Wand. Sie murmelte nörgelig im Schlaf, aber das war alles. Molly blickte auf sie herab.

»Hätte sie dich wirklich mit dem Ding umgebracht?«

»Vermutlich«, sagte ich.

»Willst du, dass ich sie ein bisschen trete, solange sie k.o. ist?«

»Nein. So was mache ich nicht.«

»Weichei!« Sie betrachtete mich nachdenklich. »So, diese Alexandra war also einmal ein alte Flamme von dir?«

»Vor langer Zeit«, sagte ich, »als wir beide viel jünger waren. Sie war nicht immer so wie jetzt, musst du wissen. Du bist doch nicht etwa eifersüchtig, oder?«

»Ich? Nein! Wieso sollte ich eifersüchtig sein? Ich hatte viele Freunde in meiner Zeit. Dutzende!«

»Sie wussten dich wahrscheinlich nicht so zu würdigen, wie ich es tue«, meinte ich.

* * *

Zur zusätzlichen Sicherheit bewahrt die Familie den Armageddon-Kodex in einer Taschendimension auf. Einzig der Waffenschmied und sein designierter Nachfolger können sich ihr nähern, geschweige denn Zutritt zu ihr erlangen. Der Kodex enthält die mächtigsten Waffen der Familie, die zu gefährlich sind, um sie einzusetzen, es sein denn die Realität selbst ist bedroht. Normalerweise muss man bändeweise Papierkram ausfüllen, bevor einem auch nur erlaubt wird, sich der Matriarchin mit einem Ersuchen zu nähern. Der Waffenschmied bewies großes Vertrauen in mich, indem er mich den Eidbrecher nehmen ließ. Trotz aller Sympathie würde er das nicht tun, wenn er nicht bereits überzeugt wäre, dass mit der Familie etwas ernsthaft nicht in Ordnung war.

Um zum Armageddon-Kodex zu gelangen, muss man durch den Rachen des Löwen. Am allerhintersten Ende dessen, was einmal, bevor sie zur gegenwärtigen Waffenkammer umfunktioniert worden waren, die alten Weinkeller dargestellt hatte, befindet sich ein riesiges Steinrelief eines Löwenkopfes, komplett mit Mähne. Vollkommen bis ins kleinste Detail, sieben Meter hoch und fast genauso breit, herausgemeißelt aus dem dunklen, blau gemaserten Stein, aus dem die entlegensten Bereiche des Kellers bestehen. Die Augen des Löwen scheinen zu funkeln, das Maul scheint zu fauchen, und das ganze Ding sieht aus wie das Leben selbst, in Stein erstarrt. Als ob er bloß darauf wartete, loszuspringen, könnte er nur den Rest seines Körpers durch die Steinmauer zwängen, die ihn festhielt. Nicht ganz überraschend verliebte Molly sich auf den ersten Blick darin, ließ ihre Hände über das detaillierte Relief wandern und gurrte entzückt.

Der Waffenschmied ging auf den knurrenden Löwenrachen zu und steckte einen langen Messingschlüssel in ein Loch darin, das ich nicht einmal sehen konnte. Er drehte den Schlüssel zweimal um und sprach dabei innerlich eine ganze Reihe von Worten, dann zog er den Schlüssel wieder heraus und trat zackig zurück, als der Rachen des Löwen sich langsam und knirschend öffnete. Die Oberlippe hob sich stetig, betätigt von irgendeinem unsichtbaren Mechanismus, und enthüllte gewaltige, schartige Zähne oben und unten. Die Kiefer öffneten sich immer weiter, bis das Maul des Löwen weit aufklaffte und einen Tunnel erkennen ließ, der so groß war, dass man ihn begehen konnte, ohne den Kopf einziehen zu müssen. Der Hals des Löwen, der zum Armageddon-Kodex führte.

»Ist er … lebendig?«, fragte Molly flüsternd.

»Wir glauben es nicht, aber niemand weiß es mit Bestimmtheit«, antwortete ich. »Er ist so alt wie das Haus - vielleicht älter. Möglicherweise hat die Familie ihn geschaffen oder auch nur Gebrauch davon gemacht. Die Legende besagt, dass man, wenn man durch den Löwenrachen schreitet, reinen Herzens und edler Absicht sein muss, sonst wird sich der Rachen über einem schließen.«

»Und dann?«, wollte Molly wissen.

»Haben Sie noch nie gesehen, wie jemand von einem Steinkopf gefressen worden ist?«, fragte der Waffenschmied.

»Ich schon, ein Mal«, sagte ich. »Ich war unten in Cornwall -«

»Das war eine rhetorische Frage!«, fuhr mich der Waffenschmied an. »Tut mir leid, Molly, meine Liebe; er hat schon immer alles zu wörtlich genommen, schon als Kind.«

»Wollt ihr damit sagen, dass er wirklich Menschen frisst?«, fragte Molly. »Wenn sie nicht … reinen Herzens sind?«

»O ja!«, bekräftigte ich.

»Ich denke, ich werde hier draußen warten«, meinte Molly.

»Entspannen Sie sich!«, sagte der Waffenschmied. »Es ist nur eine Geschichte, die wir den Kindern erzählen, um sie davon abzuhalten, beim Rachen herumzustreunen. Die raffinierten kleinen Kerle treiben sich nämlich immer dort herum, wo sie nicht sollen. Vertrauen Sie mir, Molly: Solange Sie bei uns sind, werden Sie vollkommen sicher sein. Schon gut, ehrlich! Ich bin nicht mehr reinen Herzens gewesen, seit ich mit zehn meine erste Erektion gehabt habe.«

Er wackelte sie mit seinen buschigen Brauen an, und Molly lächelte pflichtbewusst. Trotzdem blieb sie sehr dicht bei mir, als wir dem Waffenschmied durch den Löwenrachen und seinen Hals hinab in den Armageddon-Kodex folgten. Der sich als bloß eine weitere Steinhöhle herausstellte, jedoch mit furchtbaren Waffen, die in Reihen an den Steinwänden hingen wie Dekorationsstücke der Hölle. Manche hingen an Platten; andere standen in speziellen Nischen, die aus dem nackten Stein herausgehauen worden waren. Keine davon war namentlich gekennzeichnet; entweder man wusste, was man vor sich hatte, oder man hatte kein Recht, sie zu berühren. Einige der Waffen kannte ich vom Sehen und vom Hörensagen, dank der zahllosen Stunden, die ich mit Lesen in der Bibliothek verbracht hatte.

Da war der Sonnenzerstörer, mit dem man nacheinander die Sterne auslöschen konnte. Daneben der Moloch-Arbeitsanzug. Und dort - der Zeithammer, um die Vergangenheit durch nackte Gewalt zu verändern.

Der Waffenschmied bemerkte, dass ich den Hammer musterte, und nickte rasch. »Bei seiner Untersuchung kam mir die Idee für die Umkehruhr, die ich dir gegeben habe, Eddie. Da steckt eine Menge Gehirnschmalz drin. Ich hoffe, du passt gut auf sie auf!«

Geistesabwesend nickte ich, immer noch fasziniert von den schrecklichen Waffen, die sich vor mir ausbreiteten, Objekte, von denen ich nie geglaubt hätte, dass ich sie einmal in natura zu sehen bekommen würde. Da war Winterleid, eine schlichte Kristallkugel voller wirbelnder Schneeflocken. Sie mochte einmal ein Briefbeschwerer oder ein Kinderspielzeug gewesen sein. Aber man brauchte bloß das Kristall zu zerbrechen, und es würde den Fimbulwinter entfesseln: eine endlose Jahreszeit von Kälte und Eis über der ganzen Welt, für immer und ewig und ewig. Molly streckte die Hand aus, um die Kugel zu berühren, und sagte: »Oh, wie süß!« Und der Waffenschmied und ich brüllten sie beide an und zerrten sie weg. Wir schickten sie zurück und sagten ihr, sie solle am Eingang stehen bleiben, und schmollend gehorchte sie. Und dann, endlich, war da der Eidbrecher.