»Ich habe noch eine Bitte, Timur Borissowitsch«, schmiedete ich das Eisen, solange es noch heiß war. »Sie müssen für einige Zeit die Stadt verlassen. Es sind gewisse Umstände bekannt geworden… Ihre Spur haben noch weitere Andere aufgenommen. Darunter auch die Dunklen. Sie werden Schwierigkeiten bekommen, aber… aber auch Ihr Vater.«
Abrupt setzte sich Timur Borissowitsch in der Wanne hoch. »Wollen Sie mir nun auch vorschreiben, was ich zu tun habe?«, fragte er.
»Ich könnte es Ihnen befehlen«, erklärte ich. »Genauso leicht, wie ich Ihre Bodyguards ausgeschaltet habe. Sie würden ohne Hosen zum Flughafen stürzen. Aber ich bitte Sie, Timur Borissowitsch. Sie haben bereits einen guten Schritt getan, indem Sie der Rücknahme Ihrer Forderung zugestimmt haben. Machen Sie jetzt auch den nächsten Schritt. Ich bitte Sie.«
»Sie wissen, welche Meinung man sich von einem Geschäftsmann macht, der urplötzlich Gott weiß wohin verschwunden ist? »
»Ich kann es mir denken.«
Timur Borissowitsch grunzte und wirkte von einer Sekunde zur nächsten viel älter. Ich schämte mich. Doch ich wartete. »Ich möchte gern… mit ihm reden.«
»Ich glaube, das lässt sich machen«, stimmte ich kurzerhand zu. »Aber zunächst müssen Sie verschwinden. »
»Drehen Sie sich um«, brummte Timur Borissowitsch.
Gehorsam drehte ich mich um. Aus irgendeinem Grund war ich mir sicher, nicht gleich eins mit der verchromten Seifenschale über den Schädel gezogen zu bekommen.
Und dieses durch nichts zu rechtfertigende Vertrauen rettete mich.
Denn ich sah durchs Zwielicht auf die Wand, um mich zu überzeugen, dass die beiden Bodyguards noch friedlich vor der Tür schlummerten. Dabei bemerkte ich einen flinken Schatten. Einen Schatten, der zu flink für einen Menschen war.
Außerdem ging dieser Schatten durch Wände. Nicht mit den gewöhnlichen Schritten eines Anderen, sondern mit dem huschenden Gang eines Vampirs.
Als Kostja das Badezimmer betrat, hatte ich meinem Gesicht bereits wieder einen ruhigen und amüsierten Ausdruck gegeben. Wie es sich für einen Lichten Wächter gehört, der vor einem Dunklen am Ort des Geschehens eingetroffen ist.
»Du«, sagte Kostja. Im Zwielicht stieg von seinem Körper feiner Dampf auf. Vampire sehen überhaupt in der Zwielicht-Welt anders aus, doch Kostja hatte noch viel von einem Menschen. Erstaunlich viel für einen Hohen Vampir.
»Natürlich«, sagte ich. Die Töne schienen in feuchte Watte gepackt. »Warum bist du hierher gekommen?«
Kostja zögerte. »Ich habe gespürt, dass du Kraft einsetzt«, antwortete er dann ehrlich. »Du musstest also etwas gefunden haben… Jemanden.«
Er blickte zu Timur Borissowitsch hinüber. »Ist das unser Erpresser?«, fragte er.
Es hätte keinen Sinn gehabt, jetzt zu lügen. Oder den Geschäftsmann zu verstecken.
»Ja«, sagte ich. »Ich habe ihn dazu gebracht, von seinen Forderungen abzusehen. »
»Wie?«
»Mit der Lüge, dass die Verwandlung in einen Anderen ihm unvorsichtigerweise sein eigener Vater versprochen hat. Dem deswegen jetzt ernsthafte Schwierigkeiten drohen… Daraufhin hat er sich geschämt und nicht auf Einhaltung des Versprechens bestanden.«Kostja runzelte die Stirn.
»Vorsichtshalber wollte ich ihn möglichst weit wegschicken«, log ich seufzend weiter. »Soll er sich doch irgendwo in der Dominikanischen Republik ansiedeln.«
»Das ist nur die eine Hälfte der Untersuchung«, wandte Kostja finster ein. »Ich glaube, ihr Lichten wollt jemanden aus euren eigenen Reihen decken. »
»Wir oder ich?«
»Du. Den Menschen zu finden ist nicht das Wichtigste. Wir brauchen denjenigen, der unser Geheimnis preisgegeben hat. Der ihm die Initiierung versprochen hat.«
»Aber das weiß er doch nicht!«, empörte ich mich. »Ich habe sein Gedächtnis überprüft, das ist absolut sauber. Der Verräter ist zu ihm in Gestalt eines Filmschauspielers aus dem vorigen Jahrhundert gekommen. Und hat keine Spuren hinterlassen.«
»Das werden wir noch sehen«, verkündete Kostja. »Er soll sich die Hosen anziehen, ich nehm ihn mit.«Was bildete sich der Kerl bloß ein?!
»Ich habe ihn gefunden, und er kommt mit mir mit!«, brüllte ich.
»Und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass du Spuren vertuschen willst«, meinte Kostja mit leiser, aber drohender Stimme.
Hinter uns trocknete sich Timur Borissowitsch ab, ohne auch nur im Geringsten zu ahnen, welches Gespräch gerade im Zwielicht geführt wurde. Wir durchbohrten einander mit Blicken, keiner von uns beiden wollte nachgeben. »Er kommt mit mir mit«, wiederholte ich.
»Wollen wir uns um ihn schlagen?«, fragte Kostja fast belustigt.
Und mit einer gleitenden Bewegung stand er neben mir, um mir forschend in die Augen zu gucken. Seine Pupillen flackerten im Zwielicht wie ein rotes Feuer. Ja! Er wollte diesen Kampf!
Seit vielen Jahren schon! Um sich endgültig zu überzeugen, dass das Recht auf Seiten des Hohen Vampirs Konstantin war und nicht auf Seiten des naiven Kostja, der davon geträumt hatte, seinem Fluch zu entkommen und wieder ein Mensch zu werden…
»Ich bringe dich um«, zischte ich. Kostja grinste nur. »Wollen wir es drauf ankommen lassen?«
Ich sah zu Boden. Mein Schatten ließ sich kaum erkennen, doch ich hob ihn auf und drang in die nächste Schicht des Zwielichts ein. Dorthin, wo die Wände des Hauses sich kaum noch im Nebel erahnen ließen, wo den Raum ein alarmierendes tiefes Grollen ausfüllte.
Nur einen kurzen Augenblick lang genoss ich den Vorteil dieser Position.
Dann tauchte auch Kostja in der zweiten Zwielicht-Schicht auf. Jetzt sah er stark verändert aus. Sein Gesicht erinnerte an einen Schädel, dem die Haut abgezogen worden war, die Augen lagen tief in den Höhlen, die Ohren ragten lang und spitz auf.
»Ich habe Vieles gelernt«, flüsterte Kostja. »Was ist nun, mit wem geht der Verdächtige mit?«
In dem Moment erklang eine dritte Stimme. »Ich habe einen Vorschlag, der alle zufrieden stellt.«
Im grauen Nebel materialisierte sich Viteszlav. Sein Körper war ebenfalls deformiert und gab Dampf ab wie ein Stück Trockeneis in der Sonne. Ein Schauder durchlief mich. Der Prager Vampir kam aus der dritten Zwielicht-Schicht, aus jenen Schichten, die mir nicht zugänglich waren. Über welche Kraft musste er verfügen?
Nach Viteszlav tauchte Edgar auf. Dem Magier hatte die Reise in die dritte Schicht Mühe bereitet, er schwankte und rang nach Atem.
»Er kommt mit uns«, erklärte Viteszlav. »Wir glauben nicht, dass Anton Gorodezki böse Absichten hegt. Doch wir erkennen auch den Verdacht der Tagwache an. Die Untersuchung wird fortan in Händen der Inquisition liegen.«Kostja sagte kein Wort.
Auch ich schwieg. Was sollte ich tun: Das war Viteszlavs gutes Recht. Und ich hatte nichts, was ich ihm entgegensetzen konnte.
»Gehen wir, meine Herren?«, fuhr Viteszlav fort. »Hier ist es nicht sehr angenehm.«
In der nächsten Sekunde standen wir wieder in dem geräumigen Badezimmer, in dem Timur Borissowitsch, auf einem Bein hüpfend, versuchte, seine Unterhose anzuziehen.
Viteszlav ließ ihm die Zeit, sie anzuziehen. Und erst als sich der Geschäftsmann auf ein Geräusch hin umdrehte, unsere ganze Gesellschaft entdeckte und verwundert aufschrie, sah Viteszlav ihn kalt an.
Timur Borissowitsch fiel in Ohnmacht. Edgar sprang ihm bei und bettete den bewusstlosen Körper in den Sessel.
»Du sagst, er kenne den Verräter nicht…«, meinte Viteszlav, während er den Geschäftsmann neugierig betrachtete. »Was für ein erstaunlich bekanntes Gesicht… Mir kommt da ein ausgesprochen interessanter Verdacht.«Ich schwieg.
»Du kannst stolz auf dich sein, Anton«, fuhr Viteszlav fort. »Deine Behauptung ist nicht von der Hand zu weisen. Ich glaube, der Vater dieses Menschen arbeitet tatsächlich in der Wache. In der Nachtwache.«
Kostja kicherte. Natürlich gefiel ihm Viteszlavs Entscheidung nicht. Kostja hätte den Sprössling Gesers viel lieber persönlich in der Tagwache abgeliefert. Dennoch konnte er auch dieser Situation etwas abgewinnen.