»Der ach so weise Geser wird doch nicht einen derartigen Fehler gemacht haben?«, fragte er begeistert. »Ich würde gern wissen…«Viteszlav blickte Kostja an, der daraufhin verstummte.
»Einen Fehler machen kann jeder«, sagte Viteszlav leise. »Selbst ein Magier außerhalb jeder Kategorie. Aber…«Er starrte mich an. »Kannst du Geser herrufen?«
Ich zuckte mit den Schultern. Eine dumme Frage. Natürlich konnte ich das. Und auch Viteszlav konnte es.
»Mir gefällt nicht, was hier vor sich geht…«, meinte Viteszlav leise. »Ganz und gar nicht. Irgendjemand hält uns hier sehr geschickt zum Narren.«
Er bedachte uns alle mit einem durchdringenden, unmenschlichen Blick. Etwas hatte seinen Argwohn geweckt. Aber was?
»Ich setze mich mit meinem Chef in Verbindung«, verkündete Kostja in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Viteszlav erhob keine Einwände. Abermals sah er Timur Borissowitsch an und runzelte die Stirn.
Ich holte das Handy heraus und wählte Gesers Nummer.
»Irgendjemand hält uns hier zum Narren…«, meinte Viteszlav, dessen Wut sich jetzt Bahn brach. »Und dieser Jemand…«
»Befehlen Sie ihm, sich anzuziehen«, bat ich, während ich auf die langen Klingeltöne lauschte. »Oder muss ein älterer Mensch wirklich so gedemütigt werden? Wollen wir ihn in Unterhosen mitnehmen?«
Viteszlav rührte sich nicht, doch Timur Borissowitsch stand auf und fing gleichsam im Halbschlaf an, sich anzuziehen.
Verunsichert trat Edgar an mich heran. »Antwortet er nicht?«, fragte er teilnahmsvoll. »Ich an seiner Stelle…«
»Es wird noch lange dauern, bis man dir so eine Stelle anbietet«, bemerkte Viteszlav. »Wenn du nicht begreifst, wie man uns hereingelegt hat…«
Edgars Gesicht ließ darauf schließen, dass er nichts begriff. Genau wie ich, genau wie Kostja, der mit verdrehten Augen lautlos etwas flüsterte. »Ja, Anton…«, meldete sich Geser. »Gibt's was Neues?«
»Ich habe den Mann gefunden, dem man versprochen hat, aus ihm einen Anderen zu machen«, presste ich hervor.
Im Badezimmer senkte sich absolute Stille herab. Vermutlich lauschten alle auf die schwachen Töne aus dem Handy.
»Wunderbar!«, rief Geser aus. »Du bist einfach großartig. Setz dich jetzt unverzüglich mit denjenigen in Verbindung, die von der Tagwache und der Inquisition mit der Untersuchung betraut worden sind. Sie sollen sich den Ermittlungen anschließen. Irgendwo muss dieser tschechische Vampir rumspringen, dieser Viteszlav. Ein kluger Kerl, wenn auch ohne jeden Sinn für Humor… aber darunter leiden ja alle Vampire.«
Viteszlav wandte sich mir zu. Mit versteinerter Miene und glühenden Augen. Er hatte alles gehört. Und ich war bereit, einen Kasten tschechischen Biers gegen ein Fläschchen Kölnischwasser zu wetten, dass Geser nur zu genau wusste, dass Viteszlav neben mir stand.
»Viteszlav ist bereits hier«, sagte ich. »Ebenso Edgar und… ein Vertreter der Dunklen.«
»Hervorragend!«, frohlockte Geser. »Bitte unsern Gast aus Prag doch, mir ein Portal aufzuhängen… wenn er das bewältigt, natürlich nur. Dann stoße ich zu euch.«
Ich steckte das Handy weg und sah Viteszlav an. Meiner Ansicht nach hatte Geser es mit seinem Spott ein wenig übertrieben.
Doch woher sollte ich wissen, wie der alte Lichte Magier und der alte Vampir der Inquisition zueinander standen? Und welche Rechnungen sie miteinander zu begleichen hatten?
»Sie haben alles gehört«, lavierte ich.
»Ich möchte es von dir hören«, erwiderte Viteszlav.
»Das Haupt der Moskauer Nachtwache, der Helllichte Magier Geser, bittet Sie, ihm ein Portal aufzuhängen. Natürlich nur, wenn das in Ihren Kräfte liegt.«
Viteszlav blickte lediglich kurz zur Seite - und über der sprudelnden Jacuzzi zeichnete sich in der Luft ein feiner heller Rahmen ab. Wer durch diese merkwürdige Tür trat, würde unweigerlich im Wasser landen. »Kein Problem«, erwiderte Viteszlav kalt. »Edgar…«
Der ehemalige Dunkle Magier blickte ihm ergeben in die Augen.
»Das Dossier von diesem…«Viteszlav nickte in Timur Borissowitschs Richtung, der mit trägen Bewegungen seine Krawatte band. »Vermutlich liegt es unten, bei der Firma, die für die Sicherheit zuständig ist.«
Edgar verschwand. Um Zeit zu sparen, bewegte er sich durchs Zwielicht, um die Mappe zu holen. Kurz darauf erschien Geser im Badezimmer.
Nur dass er nicht durch das Portal kam, sondern direkt neben diesem das Badezimmer betrat, akkurat über die Bodenfliesen schreitend.
»Ich werde wirklich alt«, seufzte er. »Da komme ich neben der Tür raus…«Er sah Viteszlav an und bedachte ihn mit einem freudestrahlenden Lächeln. »Was für eine Begegnung. Warum bist du nicht mal bei mir vorbeigekommen?«
»Arbeit«, erwiderte Viteszlav einsilbig. »Ich denke, wir sollten die uns interessierenden Fragen so schnell als möglich klären…«
»Du verbringst zu viel Zeit hinterm Schreibtisch«, seufzte Geser. »Ein richtiger Bürokrat bist du geworden… Was haben wir denn? »
»Den hier…«, warf ich ein.
Geser lächelte mich ermutigend an und betrachtete dann Timur Borissowitsch.
Stille senkte sich herab. Selbst Kostja gab Ruhe und beendete sein lautloses Gespräch mit Sebulon, der es nicht sehr eilig hatte, hier aufzutauchen. Viteszlav schien förmlich zu erstarren. Ich versuchte, die Luft anzuhalten.
»Wie interessant«, meinte Geser. Er trat an Timur Borissowitsch heran, der teilnahmslos vor sich hinstierte, und berührte seine Hand. »Ei, ei, ei…«, seufzte er.
»Kennen Sie diesen Mann, Helllichter Geser?«, fragte Viteszlav.
Geser wandte sich uns mit einer Miene zu, die tiefsten Schmerz ausdrückte. »Glaubst du etwa, ich hätte meinen Instinkt völlig eingebüßt?«, fragte er bitter. »Das ist mein Blut, Viteszlav! Das ist mein Sohn! »
»Tatsächlich?«, fragte Viteszlav ironisch.
Geser beachtete ihn einfach nicht weiter. Er umarmte den älteren Mann, der nach menschlichen Dafürhalten sein Vater hätte sein können. Zärtlich strich er ihm über die Schulter. »Wo warst du nur all die Jahre, mein Junge…«, flüsterte er. »Und unter welchen Umständen begegnen wir uns jetzt… Aber man hat mir gesagt, du seist gestorben… An Diphtherie, hieß es…«
»Meine aufrichtigen Glückwünsche, Geser«, sagte Viteszlav. »Aber ich würde gern ein paar Erklärungen bekommen!«
Edgar kehrte ins Badezimmer zurück. Verschwitzt, mit der Mappe unterm Arm.
»Das ist eine einfache Geschichte, Viteszlav«, erwiderte Geser, der seinen Sohn, diesen alten Mann, noch immer im Arm hielt. »Vor dem Krieg habe ich in Usbekistan gearbeitet. Samarkand, Buchara, Taschkent… Ich war verheiratet. Dann beorderte man mich nach Moskau. Ich wusste, dass ich Vater eines Jungen geworden war, habe meinen Sohn jedoch nicht ein einziges Mal gesehen. Es war halt… Krieg. Dann starb die Mutter des Kleinen. Und seine Spuren verloren sich.«
»Und selbst du konntest ihn nicht finden?«, fragte Viteszlav ungläubig.
»Selbst ich nicht. Aus den Unterlagen ging hervor, dass er gestorben war. An Diphtherie…«
»Das ist eine mexikanische Telenovela«, platzte Edgar heraus. »Helllichter Geser, wollen Sie uns weismachen, dass Sie diesen Menschen noch nie getroffen haben? »
»Nicht einmal«, meinte Geser traurig.
»Sie haben nie mit ihm gesprochen, ihm nicht - entgegen allen Gesetzen - vorgeschlagen, ein Anderer zu werden?«, ließ Edgar nicht locker.
Geser bedachte den Magier mit einem ironischen Blick. »Ihnen sollte doch bekannt sein, verehrter Inquisitor, dass ein Mensch kein Anderer werden kann. »
»Antworten Sie auf die Frage!«, bat - oder befahl - Edgar.
»Ich habe ihn noch nie gesehen, noch nie mit ihm gesprochen und ihm nichts versprochen. Ich habe den Wachen und der Inquisition keinen Brief geschickt! Ich habe niemanden gebeten, sich mit ihm zu treffen oder diese Briefe abzuschicken! Möge das Licht meine Worte bezeugen!«, skandierte Geser. Er streckte einen Arm aus und auf seinem Handteller flackerte kurz ein weißes Feuer auf. »Wollt ihr meine Worte etwa anzweifeln? Wollt ihr behaupten, ich sei dieser Verräter?«