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»Du könntest dich auch einer politisch korrekten Ausdrucksweise bedienen: nach einem Hämoglobinabhängigen«, meinte Kostja, wobei er die Lippen zu einem Lächeln verzog.

»Das Hämoglobin hat damit nichts zu tun, das weißt du selbst«, fuhr Edgar ihn an. »Gut, das ist eine Spur.«Plötzlich lächelte er und klopfte mir auf die Schultern. »Du bist hartnäckig. Nun denn, so hat der Zug eine Chance. Wartet hier auf mich.«

Mit schnellen Schritten ging Edgar den Gang hinunter. Ich glaubte schon, er wolle zu seinen Kämpfern, aber Edgar betrat das Abteil des Zugführers und schloss hinter sich die Tür. »Was er wohl vorhat?«, fragte Kostja.

»Woher soll ich das wissen?«Ich schielte zu ihm hinüber. »Vielleicht gibt es ja spezielle Zaubersprüche, mit denen man einen Vampir erkennen kann.«

»Nein«, entgegnete Kostja scharf. »Das ist so wie bei allen Anderen. Wenn Viteszlav sich als Mensch tarnt, können wir ihn mit keinem Zauberspruch aufdecken. Das ist zu dumm…«

Er wurde nervös. Ich verstand ihn. Es ist schwer, der am stärksten diskriminierten Minderheit der Anderen anzugehören - und dann den eigenen Artgenossen zu jagen. Was hatte er mir mal gesagt… als ich noch ein junger, kühner Vampirjäger war: »Wir sind nur sehr wenige, Anton. Wenn einer von uns stirbt, spüren wir das sofort. »

»Kostja, hast du Viteszlavs Tod gespürt? »

»Was meinst du, Anton?«

»Du hast mal gesagt, dass ihr spürt, wenn… einer von euch stirbt.«

»Wir spüren es, wenn es ein Vampir mit Lizenz ist. Wenn ihn das Registrierungssiegel tötet - dann fühlen alle in der Nähe ein schmerzhaftes Echo. Viteszlav hatte kein Siegel.«

»Aber Edgar hat doch offenbar etwas vor?«, murmelte ich. »Ist das irgendein Trick der Inquisition?«

»Vermutlich.«Kostja kniff die Augen zusammen. »Warum, Anton? Warum sind wir die einzigen, die permanent gejagt werden… selbst von den eigenen Leuten? Die Dunklen Magier morden schließlich auch!«

Plötzlich redete er mit mir genauso wie früher. Als er noch ein unschuldiger Vampirjunge gewesen war… Obwohclass="underline" Wie kann ein Vampir unschuldig sein?

Und das war schrecklich, das stellte alles auf den Kopf. Verfluchte Fragen und verfluchte Vorherbestimmung, das alles präsentiert von jemandem, der diese Grenze bereits überschritten hatte. Der jagte und mordete…»Ihr mordet… um an Nahrung zu kommen«, sagte ich.

»Aber für Macht, für Geld, zum Spaß - das ist anständiger?«, fragte Kostja bitter. Er wandte sich mir zu und schaute mich an. »Warum… widert es dich so an, mit mir zu reden? Wir sind doch mal Freunde gewesen. Was hat sich bloß geändert? »

»Du bist ein Hoher Vampir geworden. »

»Ja, und? »

»Ich weiß, wie Vampire zu Hohen Vampiren werden, Kostja.«

Einige Sekunden lang sah er mir in die Augen. Dann zeichnete sich ein Lächeln auf seinen Lippen ab. Ein Vampirlächeln - bei dem du im Mund die Eckzähne zwar noch nicht sehen kannst, du die Dinger aber schon an deinem Hals spürst.

»Ach ja… Man muss das Blut unschuldiger junger Frauen und Kinder trinken, sie ermorden… Das alte, klassische Rezept. So ist Viteszlav ein Hoher Vampir geworden… Willst du damit sagen, du hättest niemals einen Blick in mein Dossier geworfen? »

»Ja«, bestätigte ich.

Er sackte förmlich in sich zusammen. Sein Lächeln wirkte mit einem Mal mitleidheischend und verwirrt. »Nicht einmal?«

»Genau«, antwortete ich, obwohl mir bereits schwante, dass ich einen Fehler gemacht hatte.

Ungeschickt breitete Kostja die Arme aus - und dann legte er los, wobei er ausschließlich mit Konjunktionen, Interjektion und Pronomen auskam. »Ah… ha… wie… du… dabei… ich… aber du…«

»Ich schaue nicht gern in das Dossier eines Freundes«, sagte ich und fügte dummerweise hinzu: »Selbst wenn es ein ehemaliger Freund ist.«

»Und ich habe gedacht, du hättest es dir angesehen«, sagte Kostja. »Gut. Wir leben im 21. Jahrhundert, Anton. Also…«Er griff in die Tasche seines Jacketts und zog sein Fläschchen heraus. »Das ist ein Konzentrat… Spenderblut. Zwölf Menschen haben ihr Blut gegeben… Man muss niemanden umbringen. Hämoglobin hat in der Tat nichts damit zu tun! Wichtiger sind die Emotionen, die ein Mensch empfindet, wenn er Blut spendet. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie viele Menschen eine Todesangst davor haben und trotzdem zum Arzt gehen, um Blut für ihre Verwandten zu spenden. Mein persönliches Rezept… das Sauschkin-Rezept. Meist spricht man jedoch vom Sauschkin-Cocktail. Vermutlich steht das im Dossier.«

Triumphierend sah er mich an - und konnte einfach nicht begreifen, warum ich nicht lächelte. Warum ich nicht schuldbewusst murmelte: »Kostja, verzeih mir, ich habe dich für ein Arschloch und einen Mörder gehalten… dabei bist du ein ehrlicher Vampir, ein guter Vampir, ein moderner Vampir…«

Ja, auch das war er. Ehrlich, gut und modern. Nicht umsonst hatte er in einem Wissenschaftlichen Forschungsinstitut für Hämatologie gearbeitet.

Aber warum hatte er die Zusammensetzung erwähnt? Das Blut von zwölf Menschen?

Obwohl schon klar war, warum. Woher sollte ich den Inhalt des Fuaran kennen? Woher sollte ich wissen, dass für den Zauber eben das Blut von zwölf Menschen nötig ist?

Viteszlav standen keine zwölf Menschen zur Verfügung. Er konnte den Zauber aus dem Fuaran nicht wirken und seine Kraft auf diese Weise nicht erhöhen. Aber Kostja hatte sein Fläschchen.

»Anton, was hast du?«, fragte Kostja. »Warum sagst du denn nichts?«

Gerade trat Edgar aus dem Abteil des Zugführers, sagte etwas, drückte dem Mann die Hand und kam auf uns zu, auf den Lippen immer noch ein zufriedenes Lächeln. Ich starrte Kostja an. Und las alles in seinen Augen. Er hatte verstanden, dass ich verstanden hatte.

»Wo hast du das Buch versteckt?«, fragte ich. »Sag's. Das ist deine letzte Chance. Deine einzige Chance. Mach dich nicht unglücklich…«

In dem Augenblick schlug er zu. Ohne jede Magie - wenn man die übermenschliche Kraft eines Vampirs nicht als Magie betrachtet. Mit einem weißen Blitz explodierte die Welt, in meinem Mund knackten die Zähne, und mein Kiefer schien wie gelähmt. Ich flog bis ans eine Ende des Ganges und prallte auf einen Mitreisenden, der nicht rechtzeitig aus dem Weg gegangen war. Vermutlich sollte ich mich bei ihm bedanken, dass ich nicht das Bewusstsein verloren hatte - an meiner Stelle wurde er ohnmächtig.

Kostja stand da und rieb sich die Faust. Sein Körper flimmerte, weil er immer wieder kurz ins Zwielicht eintrat, weil er zwischen den Welten hin und her huschte. Wie hatte mich diese Besonderheit der Vampire einst fasziniert: Gennadi, Kostjas Vater, war über den Hof auf mich zugekommen, Kostjas Mutter Polina hatte dem damals noch so jungen Vampir den Arm um die Schulter gelegt… wir sind gesetzestreu… wir ermorden niemanden… was müssen wir auch ausgerechnet mit einem Lichten Magier Tür an Tür leben! »Kostja?!«, rief Edgar und blieb stehen.

Langsam drehte ihm Kostja den Kopf zu. Ich sah nicht, spürte aber, wie er die Zähne fletschte.

Edgar riss die Hände hoch, worauf den Gang eine trübe Mauer versperrte, die an Bergkristall erinnerte. Möglicherweise durchschaute er noch nicht hundertprozentig, was hier vor sich ging - doch die Instinkte des Inquisitors funktionierten einwandfrei.

Kostja stieß ein tiefes Heulen aus und drückte mit den Händen gegen die Mauer. Die gab nicht nach. Der Waggon erbebte, hinter mir fing eine Frau an, langsam und gedehnt zu kreischen. Kostja schwankte hin und her und versuchte, Edgars Verteidigung zu durchbrechen.

Ich hob die Hand und schickte eine»graue Andacht«auf Kostja, jenen alten Zauber gegen die Untoten. Jeden Organismus, der sich aus seinem Grab erhoben hat, kein Bewusstsein besitzt, sondern nur durch den Willen eines Zauberers lebt, hackt die»graue Andacht«kurz und klein. Vampiren nimmt sie die Schnelligkeit und Stärke.

Kostja drehte sich um, als die dünnen grauen Fäden ihn im Zwielicht umwickelten. Er kam auf mich zu und schüttelte sich - worauf der Zauber sich sofort auflöste. Niemals hatte ich eine derart grobe, aber effektive Arbeit gesehen.