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»Stör mich nicht!«, brüllte er. Kostjas Gesicht war spitz geworden, die Eckzähne hatten sich jetzt wirklich gebildet. »Ich will dich nicht… ich will dich nicht umbringen…«

Ich konnte mich hochrappeln und kroch über den zu Boden gegangenen Mann in ein Abteil. Auf den oberen Liegen fingen irgendwelche Männer mit beeindruckenden Fratzen an zu winseln, und zwar keinesfalls schlechter als jene Frau, die vor der Toilettentür stand und schrie. Über den Fußboden rollten Gläser und Flaschen.

Mit einem Sprung tauchte Kostja in der Türfüllung auf. Er bedachte die Männer mit einem einzigen Blick - und sie verstummten.

»Ergib dich…«, flüsterte ich, während ich mich vor dem Tisch auf den Boden setzte. Mit meinem Kiefer stimmte was nicht - er schien zwar nicht ausgerenkt, aber jede Bewegung tat mir weh.

Kostja lachte. »Ich erledige euch alle hier… Wenn ich will. Komm mit mir, Anton. Komm! Ich will nichts Böses! Was hast du bei der Inquisition verloren? Was bei den Wachen? Wir werden alles verändern!«Er sprach absolut aufrichtig. Sogar bittend.

Warum musste er der Allerstärkste werden, um sich diese Schwäche zu leisten? »Wach auf…«, flüsterte ich.

»Du bist ein Idiot! Ein Oberidiot!«, brüllte Kostja, während er einen Schritt auf mich zumachte. Er streckte die Hand aus. Seine Finger mündeten bereits in Krallen. »Du…«

Eine offene Flasche Posolskaja, aus der träge der Wodka tropfte, fiel mir von selbst in die Hände. »Es ist an der Zeit, Brüderschaft zu trinken«, sagte ich.

Er schaffte es zwar auszuweichen, doch ein paar Spritzer trafen sein Gesicht dennoch. Kostja heulte auf und warf den Kopf in den Nacken. Selbst wenn du der Allerhöchste Vampir bist - Alkohol ist und bleibt Gift für dich.

Ich stand auf, griff mir vom Tisch ein nicht ausgetrunkenes Glas und holte aus. »Nachtwache!«, schrie ich. »Du bist verhaftet! Hände hinter den Kopf! Zieh die Eckzähne ein!«

Genau in diesem Moment zwängten sich drei Inquisitoren durch die Tür herein. Ob Edgar sie gerufen hatte? Oder ob sie selbst gespürt hatten, dass etwas nicht stimmte? Sie stürzten sich auf Kostja, der sich immer noch das blutüberströmte Gesicht rieb. Einer versuchte Kostja eine graue Metallscheibe an den Hals zu drücken, ein Ding, das bis zum Anschlag magisch aufgeladen sein musste…

Im nächsten Moment stellte Kostja unter Beweis, wozu er in der Lage war.

Mit dem Fuß trat er mir das Glas aus der Hand und presste mich mit dem Rücken gegen das Fenster. Der Rahmen knackte. Dort, wo eben noch Kostja gestanden hatte, erhob sich jetzt ein grauer Wirbel - und mit einer unsagbaren, nur Kinohelden eigenen Schnelligkeit hagelten Fausthiebe und Tritte auf mich ein. Von allen Seiten spritzte Blut und flogen Fleischfetzen durch die Luft, so, als ob jemand Frischfleisch mit einem Mixer püriere.

Dann sprang Kostja in den Gang, sah sich um - und schlüpfte durchs Fenster, als bemerke er die dicke Doppelglasscheibe gar nicht. Umgekehrt bemerkte die Scheibe ihn auch nicht.

Kostja tauchte noch einmal kurz im Fenster auf, dann schlüpfte er seitlich nach unten weg - der Zug hatte ihn hinter sich gelassen.

Wann immer ich von diesem Vampirtrick gehört hatte, hatte ich ihn als reines Phantasieprodukt abgetan. Selbst in Nachschlagewerken stand unter dem Eintrag zu den Möglichkeiten»in der realen Welt durch Wände und Fenster zu gehen«, ein verschämtes»n.b.«, ein»nicht bewiesen«.

Im Abteil lagen zwei Inquisitoren in einem formlosen Haufen. Sie waren derart zerfetzt, dass niemand auf die Idee kam, ihren Puls zu fühlen.

Der dritte hatte Glück gehabt, er saß auf einer Liege und hielt sich eine Bauchwunde. Der Boden schwamm in Blut.

Die Reisenden in den oberen Liegen schrien nicht mehr. Der eine hatte den Kopf unter ein Kissen gesteckt, der zweite sah mit starren Augen nach unten und kicherte leise.

Ich kroch unterm Tisch hervor und trat auf wackligen Beinen in den Gang hinaus.

Fünf

Wie sagt der Held in einem bösen alten Witz: »Aber das Leben richtet sich jetzt wieder ein!«

Die Mitreisenden in unserem Waggon saßen in ihren Abteilen und starrten mit leeren Augen zum Fenster raus. Die Menschen, die durch unseren Waggon liefen, beschleunigten aus irgendeinem Grund den Schritt und blickten stur geradeaus. In einem abgeschlossenen Abteil lag - zusammen mit den in schwarze Plastiksäcke verpackten Körpern - der verletzte Inquisitor, den ein Kollege bereits seit einer Viertelstunde mit Heilzaubern behandelte. Zwei weitere Inquisitoren standen an der Tür zu unserem Abteil Wache. »Wie bist du darauf gekommen?«, fragte Edgar.

Nachdem er zunächst seinem verletzten Kollegen geholfen hatte, kurierte er meinen Kiefer binnen drei Minuten. Ich fragte nicht, was ich gehabt hatte, eine schlichte Quetschung, einen Riss oder einen Bruch. Er war wieder in Ordnung, das genügte. Allerdings fehlten mir zwei Vorderzähne, und die Stelle mit der Zunge zu berühren, war unangenehm.

»Ich habe mich an etwas aus dem Fuaran erinnert…«, sagte ich. In den chaotischen ersten Minuten nach Kostjas Flucht hatte ich genug Zeit gehabt, mir eine Erklärung zu überlegen. »Die Hexe… also, Arina… sie hat gesagt, dass der Legende zufolge die Zauber aus dem Fuaran wirken, wenn man das Blut von zwölf Menschen hat. Selbst wenn es nur sehr wenig Blut ist…«

»Warum bist du nicht schon früher damit herausgerückt?«, fragte Edgar scharf.

»Ich habe dem keine Bedeutung beigemessen. Damals hielt ich die ganze Geschichte mit dem Fuaran für ein reines Phantasieprodukt… Dann hat Kostja mir erzählt, dass sein Cocktail aus dem Blut von zwölf Spendern besteht… und da habe ich zwei und zwei zusammengezählt.«

»Verstehe. Viteszlav hatte kein Dutzend Menschen zur Hand«, meinte Edgar. »Wenn du das gleich gesagt hättest… wenn du das doch bloß gesagt hättest…»

»Kennst du die Zusammensetzung des Cocktails?«

»Ja, natürlich. In der Inquisition ist über den Sauschkin-Cocktail diskutiert worden. Das Zeug vollbringt keine Wunder, du wirst damit nicht stärker, als es dir von der Natur gegeben ist. Aber es erlaubt einem Vampir in der Tat, sich voll zu entfalten, ohne Menschen töten zu müssen…»

»Sich zu entfalten oder sich gehen zu lassen?«, fragte ich.

»Wenn kein Mord nötig ist, kann man ohne Bedenken von Entfaltung sprechen«, antwortete Edgar sachlich. »Nun sag bloß nicht, du hättest… davon nichts gewusst…«Ich schwieg.

Nein, ich hatte es nicht gewusst. Denn ich hatte es nicht wissen wollen. Ich wollte ein Held sein. Mit dem Ergebnis, dass jetzt zwei Inquisitoren in schwarzen Plastiksäcken liegen, denen niemand mehr helfen kann…

»Lassen wir das«, meinte Edgar. »Was hat er nur jetzt… Er fliegt, siehst du?«

Ich schielte zum»Kompass«hinüber. Ja… ganz offenbar. Der Abstand zu Kostja - genauer zum Buch - blieb konstant, obwohl der Zug mit einer Geschwindigkeit von mindestens 70 bis 80 Stundenkilometern dahinraste. Er flog uns also nach. Floh nicht!

»Anscheinend hat er in Zentralasien wirklich etwas vor…«, sagte Edgar irritiert. »Nur was…»

»Wir müssen die Großen rufen«, sagte ich.

»Die kommen von selbst«, winkte Edgar ab. »Ich habe ihnen alles berichtet, ein Portal aufgehängt… sie werden selbst entscheiden, was sie tun.«

»Ich weiß schon, was sie entscheiden werden«, murmelte ich. »Sebulon verlangt, dass ihm Kostja ausgeliefert wird, damit er ihn bestrafen kann. Und vor allem wird er das Fuaran haben wollen.«

»Das Buch wird niemand bekommen, da mach dir keine Sorgen.«

»Außer der Inquisition?«Edgar hüllte sich in Schweigen. Ich setzte mich bequemer hin. Betastete meinen Kiefer. Er tat nicht mehr weh.

Aber um meine Zähne tat es mir leid. Entweder musste ich zum Zahnarzt oder zu einem Heiler. Doch selbst die besten Lichten Heiler können Zähne nicht schmerzlos heilen! Sie können es nicht - Punkt, aus, Ende.