Wenn man mir gesagt hätte: »Man kann alles auf einen Schlag ändern - und zwar zum Guten!«Aber das hat zum Glück keiner.
So bin ich noch einmal davongekommen, zusammen mit denjenigen, die mir etwas bedeuten. Die bei den Worten»Freiheit und Gleichheit«immer voller Zweifel den Kopf schütteln.
Vor mir öffnete sich das Portaclass="underline" ein hellblaues Prisma, leuchtende Schnüre als Rippen, eine glimmernde Hülle als Grenze…
Ich schob die Schnüre mit den Händen auseinander und trat ins Portal.
Sieben
Was an Portalen nicht gut ist: Man hat keine Möglichkeit, sich auf den neuen Ort einzustellen. Ein Zug ist in dieser Hinsicht ideal. Du betrittst dein Abteil, wechselst die Jeans gegen Trainingshosen und die Schuhe gegen Gummilatschen, entspannst dich bei Speis und Trank und kommst - falls du das Pech hast, allein zu fahren - mit deinen Mitreisenden ins Gespräch. Die Räder rattern, der Bahnsteig entschwindet. Das war's, du bist unterwegs. Du bist ein andrer Mensch. Du teilst deine geheimsten Sorgen mit Unbekannten, streitest über Politik, obwohl du dir gelobt hast, nie über sie zu streiten, trinkst fragwürdigen, auf einem kleinen Bahnhof erworbenen Wodka. Du bist nicht hier und nicht da. Du bist unterwegs. Unternimmst deine eigene kleine Queste, in dir steckt etwas von Frodo und etwas von Paganel, dann noch ein Tröpfchen Robinson und ein ganz klein wenig von Radischtschew. Vielleicht dauert deine Reise nur ein paar Stunden, vielleicht ein paar Tage. Das Land ist groß, und es zieht vor den Fenstern deines Abteils vorbei. Du bist nicht hier. Du bist nicht da. Du bist ein Reisender.
Bei einem Flugzeug sieht die Sache schon anders aus. Trotzdem bereitest du dich auch hier auf deine Reise vor. Du kaufst ein Ticket, stehst in aller Herrgottsfrühe auf, setzt dich in ein Taxi und fährst zum Flughafen. Die Räder schlucken die Kilometer, du guckst in den Himmel, bist in Gedanken bereits in der Luft. Das nervöse Durcheinander im Wartesaal, löslicher Kaffee im Restaurant, das Einchecken, die Sicherheitskontrolle, wenn du ins Ausland fliegst der Zoll und der Duty-free-Shop, die kleinen Freuden der Reise vor den engen Flugzeugsitzen, dem Heulen der Turbinen und dem optimistischen Slogan der Stewardess. »Die Notausgänge befinden sich…«Und dann verschwindet die Erde bereits unter dir, die Hinweisschilder gehen aus, die Raucher verdrücken sich schamhaft in die Toilette, die Stewardessen übersehen sie taktvoll, das Mittagessen wird in kleinen Plastikschüsseln gebracht, denn aus irgendeinem Grund schlagen sich bei Flügen immer alle den Magen voll. Das ist keine Reise im eigentlichen Sinne. Das ist ein Ortswechsel. Aber… aber trotzdem siehst du unter dir Städte und Flüsse dahinschwinden, blätterst im Reiseführer oder überprüfst, ob die Bestätigung deiner Dienstreise in Ordnung ist, denkst darüber nach, wie du die Geschäftsverhandlungen führen sollst oder wie du den zehntägigen Urlaub im gastfreundlichen Land Türkei/Spanien/Kroatien am vergnüglichsten verbringen kannst. So oder so, du bist unterwegs.
Ein Portal ist ein Schock. Ein Portal ist ein Wechsel im Bühnenbild, ist eine Drehbühne im Theater. Du bist hier - und du bist da. Ohne unterwegs zu sein. Und ohne Zeit zum Nachdenken.
Ich stürzte aus dem Portal. Mit einem Bein schlug ich auf dem gefliesten Boden auf, mit dem andern landete ich im Klosett.
Nur gut, dass es ein recht sauberes Klo war. Als ob ich in einem anständigen amerikanischen Film wäre, wo sich die Helden auf der Toilette die Fresse polieren. Trotzdem zog ich mein Bein heraus - und Schmerz ließ mich das Gesicht verziehen.
Eine winzige Kabine. An der Decke eine Minilampe und ein Lüftungsgitter, ein Halter mit einer Rolle Klopapier. Ein tolles Portal! Aus irgendeinem Grund hatte ich erwartet, dass Kostja das Portal direkt an der Startrampe aufhängen würde, an der Einstiegsluke der Rakete.
Mit immer noch schmerzverzerrtem Gesicht öffnete ich die Tür einen Spalt und lugte vorsichtig hinaus. Anscheinend war die Toilette leer. Kein Geräusch war zu hören, nur an einem der Waschbecken tropfte der Hahn…
In diesem Augenblick prallte mir etwas voller Wucht in den Rücken, sodass ich aus der Kabine flog, indem ich die Tür mit dem Kopf aufstieß. Ich stürzte auf den Rücken und riss eine Hand hoch, bereit zuzuschlagen.
In der Kabine stand Lass - der, gegen die Wand gelehnt, mit den Armen ruderte und sich verdutzt umsah.
»Was machst du denn hier?«, brüllte ich. »Warum bist du mir gefolgt?«
»Du hast mir doch selbst gesagt, ich soll dir nachkommen!«, schmollte Lass. »Du hundsmiserabler Zauberer!«Ich stand auf. Jetzt zu streiten wäre in der Tat dumm.
»Ich muss einen durchgedrehten Vampir aufhalten«, sagte ich. »Den heute stärksten Magier der Welt. Es… es wird hier sehr heiß hergehen…«
»Wo sind wir? In Baikonur?«, fragte Lass, der nicht die geringste Angst zeigte. »Wow! Einfach klasse! Aber war es unbedingt nötig, für die Teleportation die Kanalisation zu wählen?«
Ich winkte bloß ab. Hörte in mich hinein. Ja, Geser war in der Nähe. Geser und Sebulon… und Swetlana… und noch Hunderte oder Tausende von Anderen. Sie alle warteten. Sie hofften auf mich.
»Wie kann ich dir helfen?«, fragte Lass. »Soll ich vielleicht Stöcke aus Espenholz suchen? Übrigens werden Streichhölzer aus Espenholz gemacht, wusstest du das? Ich habe mich immer gefragt, warum ausgerechnet aus diesem Holz. Das brennt doch wohl nicht besser, oder? Jetzt ist mir klar, dass man es macht, um Vampire zu bekämpfen. Du spitzt einfach ein Dutzend Streichhölzer an…«Ich sah Lass an.
Der breitete die Arme aus. »Schon gut, schon gut… War ja bloß ein Vorschlag.«
Ich ging zur Toilettentür und spähte nach draußen. Ein langer Gang, Neonlicht, keine Fenster. Am Ende des Gangs stand ein Mann in Uniform mit einer Pistole am Gürtel. Ein Wachtposten? Ja, vermutlich dürfte es hier Wachen geben. Sogar in der heutigen Zeit.
Aber warum war der Mann in dieser unnatürlichen Pose erstarrt?
Ich ging den Gang hinunter, auf den Soldaten zu. »Entschuldigen Sie bitte«, sprach ich ihn leise an. »Dürfte ich Sie kurz stören?«
Der Soldat erwiderte nichts. Er starrte in den Raum - und lächelte. Ein junger Mann, noch keine dreißig. Völlig reglos. Und sehr blass.
Ich legte ihm die Finger an die Halsschlagader. Der Puls ließ sich kaum noch spüren. Die Bissspuren waren fast nicht zu sehen, nur am Kragen entdeckte ich ein paar Blutstropfen. Ja, Kostja musste nach der Flucht sehr müde gewesen sein. Er hatte sich stärken müssen - und eine Katze war ihm nicht über den Weg gelaufen.
Wenn der Soldat jetzt noch am Leben war, hatte er übrigens Chancen, das Ganze zu überstehen.
Ich zog die Pistole aus seinem Halfter - offenbar hatte er nach ihr greifen wollen, als der Befehl des Vampirs ihn zwang zu erstarren - und legte den Mann sorgfältig auf den Fußboden. Sollte er ruhig ein bisschen liegen. Dann drehte ich mich um.
Natürlich war Lass mir gefolgt. Jetzt betrachtete er schweigend den reglosen Wachtposten. »Kannst du schießen?«, fragte ich.
»Ich werde es versuchen.«
»Falls nötig, schieß ihm ins Herz und in den Kopf. Wenn du triffst, haben wir Chancen, ihn aufzuhalten.«
Selbstverständlich machte ich mir nichts vor. Selbst wenn Lass das ganze Magazin in Kostja abfeuerte - was ihm wohl kaum gelingen dürfte -, würden die Kugeln den Hohen Vampir nicht aufhalten. Besser rechneten wir mit dem Schlimmsten.
Und Hauptsache, er schoss mir nicht vor lauter Angst in den Rücken…
Kostja zu finden war nicht schwer, selbst ohne Magie anzuwenden. Wir stießen noch auf drei weitere Männer, einen Wachtposten und zwei Zivilpersonen, die erstarrt und gebissen waren. Vermutlich bewegte sich Kostja in dieser Vampirmanier fort, bei der jede Bewegung unfassbar schnell wird und der Prozess des»Essens«nur ein paar Sekunden in Anspruch nimmt. »Werden sie jetzt zu Vampiren?«, wollte Lass wissen.
»Nur wenn er das gewollt hat. Und nur wenn sie selbst einverstanden waren. »
»Ich hätte nicht gedacht, dass man noch die Wahl hat.«
»Man hat immer die Wahl«, antwortete ich, während ich die nächste Tür öffnete. Und begriff, dass wir am Ziel angelangt waren.