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Epilog

Semjon betrat das Arbeitszimmer zusammen mit Lass, den er vor sich herstieß, als sei er ein kleiner Dunkler Zauberer, den er auf frischer Tat ertappt hatte. Lass fuchtelte mit einer fest zusammengerollten Papierröhre in den Händen herum und versuchte, sie hinter seinem Rücken zu verstecken.

Semjon ließ sich in einen Sessel fallen. »Das ist doch dein Protege, Anton, oder?«, brummte er. »Dann kümmer dich gefälligst auch um ihn. »

»Was ist passiert?«, fragte ich alarmiert.

Lass blickte nicht im Mindesten schuldbewusst drein. Eher leicht verwirrt.

»Den zweiten Tag im Praktikum«, sagte Semjon. »Die simpelsten und elementarsten Aufgaben. Die noch nicht mal was mit Magie zu tun haben…»

»Was denn?«, wollte ich wissen.

»Ich habe ihn gebeten, Herrn Sisuke Sasaki von der Tokioer Wache am Flughafen abzuholen…«Ich schnaubte.

Semjon wurde puterrot. »Das ist ein völlig normaler japanischer Name! Auch nicht lustiger als Anton Sergejewitsch!«

»Schon verstanden«, beschwichtigte ich ihn. »Ist das der Sasaki, der 1994 den Fall mit den Tierfrauen geleitet hat? »

»Genau der.«Semjon rutschte nervös im Sessel hin und her.

Lass stand nach wie vor neben der Tür. »Er ist auf der Durchreise nach Europa, will aber etwas mit Geser besprechen. »

»Was ist denn nun passiert?«

Semjon warf Lass einen wütenden Blick zu. Hüstelte. »Der Herr Praktikant hat sich höchst angelegentlich bei mir erkundigt, ob der verehrte Sasaki Russisch könne«, sagte er dann. »Ich habe ihm erklärt, dass er es nicht kann. Daraufhin hat der Herr Praktikant an seinem Rechner ein Plakat ausgedruckt und ist nach Scheremetjewo gefahren, um den Japaner abzuholen… Nun zeig dein Plakat schon!«Seufzend entrollte Lass das Papier.

In sehr großer Schrift standen dort die Hieroglyphen eines japanischen Namens. Lass hatte sich alle Mühe gegeben und sogar einen Treiber für Japanisch installiert.

Darüber stand in einer etwas kleineren Schrift: »Zweiter Moskauer Kongress der Opfer von zwangsweiser Cholerainfektion«

Es kostete mich gewaltige Mühe, eine steinerne Miene beizubehalten. »Weshalb hast du das geschrieben?«, fragte ich.

»Ich mache das immer, wenn ich Ausländer abhole«, sagte Lass beleidigt. »Sowohl bei meinen Geschäftspartnern wie auch bei Verwandten… ich habe noch Familie im Ausland… Wenn sie kein Wort Russisch verstehen, schreibe ich ihren Namen ganz groß in ihrer Muttersprache und etwas kleiner irgendwas Komisches auf Russisch. Zum Beispieclass="underline" »Konferenz Transsexueller mit nicht traditioneller Orientierung«, »Europäisches Festival taubstummer Musiker und Sänger«, »Forum der Aktivisten der Werlbewegung für vollständige sexuelle Enthaltsamkeit… Dann warte ich also mit meinem Plakat… drehe mich mit dem Ding nach allen Seiten um, damit alle Ankommenden es sehen…«

»Den Teil habe ich verstanden«, sagte ich. »Was ich wissen will, ist, weshalb du das alles schreibst.«

»Wenn der Mensch dann durch den Zoll kommt, interessiert sich bereits die ganze Halle für ihn«, erklärte Lass unerschütterlich. »Sobald er auftaucht, lächeln ihn alle an, viele klatschen, pfeifen und winken. Der Mensch versteht sowieso nicht, was diese Reaktion ausgelöst hat! Er sieht nur, dass alle sich über sein Erscheinen freuen, bemerkt seinen Namen und kommt zu mir. Ich rolle das Plakat dann schnell ein und bringe ihn zum Auto. Danach wird dieser Mensch allen erzählen, wie einzigartig und gastfreundlich die Russen sind! Alle haben ihn mit einem Lächeln auf den Lippen empfangen!«

»Du Dummerjan«, meinte ich voller Mitleid. »Das sind Menschen. Aber Sasaki ist ein Anderer. Ein Hoher Anderer übrigens! Er kann zwar kein Russisch, aber den Sinn des Plakats nimmt er über die reine Bedeutungsebene auf!«

Lass seufzte. »Das habe ich inzwischen ja begriffen…«, meinte er mit gesenktem Kopf. »Also, wenn ich mir etwas habe zu Schulden kommen lassen, schmeißt mich halt raus! »

»Ist Herr Sasaki denn beleidigt?«, fragte ich. Semjon zuckte mit den Schultern.

»Als ich ihm alles erklärt hatte, hat Herr Sasaki geruht, lange darüber zu lachen«, verkündete Lass.

»Trotzdem«, bat ich, »lass das in Zukunft sein, ja? »

»Generell? »

»Zumindest bei Anderen!«

»Klar, ich tu's nicht mehr«, versprach Lass. »Der Spaß verliert sowieso seinen Sinn.«Ich breitete die Arme aus. Sah Semjon an.

»Warte draußen auf mich«, befahl Semjon. »Und das Plakat bleibt hier.«

»Aber eigentlich sammel ich…«, setzte Lass an, ließ das Plakat dann aber doch da und ging hinaus.

Sobald die Tür zu war, grinste Semjon, griff nach dem Plakat und entrollte es noch einmal. »Ich geh mit dem Ding mal durch die Abteilungen und heiter unsere Leutchen ein bisschen auf…«, verkündete er. »Wie geht's dir?«

»So lala.«Ich lehnte mich im Sessel zurück. »Ich bin dabei, mich einzugewöhnen.«

»Ein Hoher…«Semjon betonte jede Silbe. »Ha… Und dabei heißt es immer, man solle nicht nach den Sternen greifen. Ein Hoher Magier… Was für eine Karriere du gemacht hast, Gorodezki!«

»Semjon… das ist nicht mein Verdienst. Es ist einfach so passiert.«

»Ich weiß ja, ich weiß…«Semjon erhob sich und tigerte durch mein Arbeitszimmer. Ein kleiner Raum, aber immerhin mein eigenes Arbeitszimmer. »Stellvertretender Personalchef… ha. Wer weiß, was die Dunklen jetzt wieder aushecken? Mit dir und Swetlana sind wir vier Hohe. Und in der Tagwache ist nach dem Verlust Sauschkins nur noch Sebulon übrig…«

»Sollen sie doch jemanden aus der Provinz rekrutieren«, sagte ich. »Ich hätte nichts dagegen. Oder wir warten auf das Auftauchen eines neuen Spiegels.«

»Wir sind jetzt klüger«, meinte Semjon. »Wir lernen immer aus unseren Fehlern.«

Er ging zur Tür und kratzte sich den Bauch durch sein ausgeblichenes T-Shirt hindurch. Ein weiser, guter, müder Lichter Magier. Wir alle werden weise und gut, wenn wir müde sind. An der Tür blieb er noch einmal stehen und sah mich nachdenklich an. »Sauschkin tut mir leid. Er war ein prima Kerl, soweit das möglich ist… bei einem Dunklen. Machst du dir große Vorwürfe?«

»Ich hatte keine Wahl«, erwiderte ich. »Er hatte keine… und ich auch nicht. »

»Und um das Fuaran ist es auch schade…«, fügte Semjon hinzu.

Kostja war in der Atmosphäre verbrannt, vierundzwanzig Stunden nach seinem Sprung in den Orbit. So präzise war seine Umlaufbahn dann eben doch nicht berechnet.

Zusammen mit ihm war sein Aktenkoffer verbrannt. Bis zum letzten Moment waren sie im Ortungsgerät zu erkennen. Die Inquisition hatte verlangt, ein Shuttle loszuschicken, um das Buch zu retten, aber dafür hatte die Zeit nicht gereicht. Was meiner Meinung nach nur zu begrüßen war.

Vielleicht hatte er sogar noch gelebt, als in einer Höhe von mehreren hundert Kilometern sein Skaphander unter den feurigen Küssen der Atmosphäre in Flammen aufging. Immerhin war er ein Vampir, und Sauerstoffmangel konnte ihm nicht so viel anhaben wie einem normalen Anderen. Auch die Überhitzung oder die Unterkühlung oder sonstige Lieblichkeiten des Weltalls nicht, die einen nur mit einem Skaphander ausgestatteten Kosmonauten erwarten. Ich weiß das nicht, aber ich werde deswegen keine Lexika wälzen. Und sei es auch nur, weil niemand wissen kann, was schlimmer ist: Tod durch Ersticken oder Tod durch Feuer. Denn niemand stirbt zweimal, selbst ein Vampir nicht.

»Guck mal, ich bin ein schrecklicher, unsterblicher Vampir! Ich kann mich in einen Wolf oder in eine Fledermaus verwandeln! Ich kann fliegen!«

Semjon ging hinaus, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Lange saß ich da und sah aus dem Fenster. Hinaus in den reinen wolkenlosen Himmel. Der Himmel ist nichts für uns. Es ist uns nicht gegeben zu fliegen.

Und alles, was wir tun können, ist zu versuchen, nicht zu fallen.