Выбрать главу

»Friedemann Bonin, Berliner Philharmoniker!«, stellte sich der Violinist schließlich mit einer leichten Verbeugung vor und sah Rebecca erwartungsvoll an.

»Rebecca Kahn!«, antwortete sie ohne Zögern und schüttelte seine ausgestreckte Hand. Auf den Gedanken, dies könne ein Fehler sein, kam sie nicht. »Ein ungewöhnlicher Ort für ein Konzert, finden Sie nicht auch?«

»Unerträgliche Zeiten erfordern eben besondere Konzerte!«, antwortete Bonin, bettete die Violine in einen Kasten und wandte sich anschließend wieder Rebecca zu. »Hab ich recht?«

Rebecca nickte, wollte sich mit dieser Antwort jedoch noch nicht zufrieden geben. Das Fernglas, das Bonin um den Hals trug, machte sie stutzig. »Aber warum gerade hier draußen?«, hakte sie neugierig nach.

Bonin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Zum einen, weil man als geschasster Sozi reichlich Zeit für derlei Extravaganzen hat.«

»Und zum anderen?«

»Zum anderen, weil ich böse Geister vertreiben will.«

Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Rebecca, der gesetzte ältere Herr mit dem Violinenkasten in der Hand sei nicht mehr ganz richtig im Kopf. Aber dem war beileibe nicht so. »Sehen Sie die Villa dort drüben, mein Kind?«, schien er ihre Gedanken zu erraten und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger zum gegenüberliegenden Ufer.

»Welche denn?«

»Die mit der Terrasse, dem Riesengarten und den Steinfiguren drin.«

Rebeccas Blick folgte Bonins Finger. Sie nickte, obwohl mit bloßem Auge nicht übermäßig viel zu erkennen war. »Und was ist mit ihr?«, fragte sie.

»Der Hort des Bösen!«, antwortete der Violinist lapidar.

»Und wieso?«

»Das erkläre ich Ihnen später, mein Kind. Und zwar dann, wenn Sie wieder bei Kräften sind.« Bonin hakte sich bei Rebecca unter und zog sie mit sich fort. »Höchste Zeit, dass wir uns verdrücken!«, fügte er mit Blick auf ein paar ausgefranste gelbe Fasern an Rebeccas Mantel hinzu. »Bevor die da drüben Ihre Witterung aufnehmen!«

»Es ging das Gerücht, dass sein Geheimsafe umfangreiche Dossiers über die anderen führenden Nazis enthielt, deren Bloßstellung sich als äußerst peinlich hätte erweisen können.«

(Callum MacDonald: The Killing of Reinhard Heydrich. The SS ›Butcher of Prague‹. Da Capo Press, o.O. 1998, S. 6)

Götterdämmerung

Prag

(Mittwoch, 27.05.1942/Dienstag, 02.06.1942)

4

Prag-Libeň, Klein-Holeschowitz-Straße                

27.05. | 10.15h

Sie waren zu dritt. Jan Kubiš, Josef Valčík und er. Es war ihr Tag. Der Tag, an dem sie Heydrich töten würden.

Falls nicht in letzter Minute noch etwas schiefging.

10.15 Uhr. Und heiß wie im Hochsommer. Jozef Gabčík atmete tief durch. Die Maschinenpistole vom Typ Sten Gun war schussbereit. Um keinen Verdacht zu erregen, hatte er sie erst in letzter Minute zusammengesetzt. Ohne hinzusehen. Eigentlich ein Kinderspiel. Handgriffe, die er im Schlaf beherrschte. Gabčík musste grinsen. Über die Briten konnte man sagen, was man wollte. Aber was die Fallschirmjägerausbildung anging, hatten sie eine Menge Ahnung. Die Sache mit dem Regenmantel als Tarnung war zwar keine besonders gute Idee von ihm gewesen. Aber immerhin eine erfolgreiche. Er war keinem der Passanten aufgefallen. Und nur darauf kam es im Moment an.

Gabčík warf einen Blick auf die Uhr. Fünf vor halb. Kein Wunder, dass Kubiš unter der Laterne da drüben langsam die Geduld verlor. Bei dem Attentat stand eben eine Menge auf dem Spiel. Wenn Heydrich draufging, würden es alle zu spüren kriegen. Die SS würde keine Gnade kennen. Und wenn nicht? In diesem Fall würde der allmächtige Protektor seinem Ruf als Henker einmal mehr gerecht werden. Gabčík machte ein nachdenkliches Gesicht. Die SS würde Vergeltung üben. So oder so. Trotzdem mussten sie es riskieren. Ein Fanal setzen. Hier und jetzt. Und nicht erst dann, wenn ihnen die Alliierten zu Hilfe kamen.

Das Aufblitzen von Valčíks Rasierspiegel holte den 30-jährigen slowakischen Schlosser aus seinen Gedanken. 10.29 Uhr. Endlich. Das lang erwartete Signal. Gabčík rannte zu Kubiš. Noch zwei, drei Minuten. Dann würde es Heydrich an den Kragen gehen.

Ein Fluch von Kubiš, fast gleichzeitig ein Rippenstoß. Gabčík stöhnte innerlich auf. Eine Straßenbahn. Und das ausgerechnet jetzt.

Doch es gab kein Zurück. Jetzt nicht mehr. Während Kubiš seine Aktentasche öffnete und den Sprengsatz klarmachte, rannte Gabčík ein paar Meter weiter. Um den Protektor aufs Korn zu nehmen, war seine Position jetzt nahezu ideal. Die Straße machte eine scharfe Biegung nach rechts. Was bedeutete, dass sein Wagen automatisch abbremsen musste.

Zeit genug, sollte man meinen.

Gabčík entsicherte sein MG. Der Mercedes 320 mit dem Kennzeichen ›SS-3‹ musste jeden Moment auftauchen. Zu dumm, das mit der Straßenbahn. Aber nicht zu ändern. Er würde die Sache durchziehen. Selbst auf die Gefahr hin, dass ein Unbeteiligter etwas abbekäme.

Er und Kubiš mussten es riskieren. So oder so. Eine Gelegenheit wie diese kam so schnell nicht wieder.

Und dann war es so weit. Fast im selben Moment, als die Straßenbahn rechts hinter ihm laut quietschend zum Stehen kam, tauchte Heydrichs Cabriolet auf, drosselte das Tempo und bog um die Kurve. Gabčík zögerte keine Sekunde. Er ließ den Mantel fallen, machte einen Schritt nach vorn und zielte.

Heydrich saß auf dem Beifahrersitz, keine drei Meter entfernt von ihm. Daneben sein Fahrer, ebenfalls von der SS. Ein offenes Cabriolet. Kaum zu glauben. Kein Begleitfahrzeug, kein Panzerglas. Keine Leibwächter. Ein nahezu perfektes Ziel.

Während sich Gabčíks Finger um den Abzug krümmten, hielt er für den Bruchteil eines Augenblicks inne. Täuschte er sich, oder hatte er die Wolfsaugen des Protektors höhnisch aufblitzen sehen?

Einerlei.

Wenn nicht jetzt, wann dann?

In Erwartung des Feuerstoßes, der Reinhard Heydrich, Protektor von Böhmen und Mähren, innerhalb von ein paar Hundertstelsekunden in Stücke reißen würde, winkelte Gabčík den linken Fuß leicht an und drückte ab.

Doch nichts geschah.

Die Sten Gun funktionierte nicht.

Weder bei diesem noch beim nächsten noch beim dritten Versuch.

Gabčík war wie erstarrt. Kaum fähig, klar zu denken. Er stand einfach nur da, die Panik in Person.

Was zum Teufel war eigentlich mit Kubiš los?

Plötzlich geriet alles in Bewegung. Die ersten Passanten stiegen aus und wollten über die Straße. Und dann war es passiert. Heydrichs Fahrer gab Gas.

Gabčík stieß einen halblauten Fluch aus und schleuderte seine Waffe ins Gebüsch. Aus und vorbei. Er hatte versagt, wie ein blutiger Anfänger versagt.

Doch dann geschah das, womit niemand gerechnet hatte. Heydrichs Cabriolet blieb abrupt stehen. Gabčík traute seinen Augen nicht. Der Protektor erhob sich, drehte sich nach ihm um und zog seine Waffe.

Was zum Teufel war denn eigentlich mit Kubiš…

Bevor Gabčík den Gedanken zu Ende führen konnte, riss ihn eine ohrenbetäubende Detonation fast zu Boden. Schreie ertönten, und die Scheiben der Straßenbahn gingen laut klirrend zu Bruch. Überall Rauch, Metallsplitter und scharfkantige Wrackteile, die wie bei einer Splitterbombe durch die Luft flogen. Aus Heydrichs Dienstwagen, vor dessen Hinterrad die Bombe explodiert war, stieg eine rußfarbene Rauchsäule empor. Die Explosion war so heftig gewesen, dass selbst die Oberleitung mit Uniformfetzen drapiert worden war.