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Heftig, aber nicht effektiv genug. Kubiš’ Gesicht war blutüberströmt, genau wie das einiger Passanten. Tödlich getroffen war allerdings niemand.

Bedauerlicherweise auch Heydrich nicht.

Bevor Gabčík wusste, wie ihm geschah, war er aus dem Wrack geklettert, die Pistole im Anschlag, mit der er auf ihn, seinen Attentäter, zielte. Ebenso wie sein Fahrer, ein SS-Oberscharführer, der sich kurz darauf Kubiš vornahm. Doch der war geistesgegenwärtiger als gedacht, schwang sich auf sein Rad und feuerte mehrere Male in die Luft. Dann trat er in die Pedale und radelte mit halsbrecherischer Geschwindigkeit davon. Heydrichs Fahrer hatte das Nachsehen.

Nicht so der Mann, den er chauffiert hatte. Er war angeschlagen, aber nicht genug, um vor Gabčík zu kapitulieren. Heydrich ging hinter der Straßenbahn in Deckung, Gabčík hinter einem Telegrafenmast. Der Protektor feuerte, was sein Magazin hergab, aber die Schüsse verfehlten ihr Ziel.

Dann, genauso unvermittelt, wie er begonnen hatte, war der Spuk vorbei. Bevor Jozef Gabčík überhaupt Zeit hatte, sich darüber zu wundern, krümmte sich der Reichsprotektor zusammen und taumelte über die Straße hinweg auf einen Metallgitterzaun zu.

Dort brach Reinhard Heydrich, der Todesgott des Dritten Reiches, mit einer Schusswunde im Rücken zusammen.

Er hatte noch acht Tage zu leben.

Aber davon wusste Jozef Gabčík zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Er war geflüchtet, in der Überzeugung, auf ganzer Linie versagt zu haben.

Krankenhaus Na Bulovce, Budínova 2 27.05. | 12.30h

»Jawohl, mein Führer!« Karl Hermann Frank, einäugiger Polizeichef und Heydrichs Stellvertreter, hätte den Telefonhörer glatt auf den Tisch legen können. Verstanden hätte er seinen Gesprächspartner auch so. »Ich habe mir alles notiert. Durchgreifen ohne Wenn und Aber. Belohnung in Höhe von einer Million Reichsmark für die Ergreifung der Täter. Forcierung der Repressalien, Ausrottung sämtlicher Mitwisser mit Stumpf und Stiel. Falls nötig, samt ihrer Familien. Verhaftung von 10.000 Tschechen. Erschießung von sämtlichen politischen Gefangenen.« Während sich eine Flut von Beschimpfungen und Verwünschungen über ihn ergoss, ließ der 44-jährige SS-Gruppenführer mit den graumelierten Schläfen und nach hinten gekämmten Haaren die angestaute Atemluft entweichen und rutschte nervös auf seinem Stuhl herum.

»Nein, mein Führer!«, ächzte er. »Soweit bekannt, mit einer ungepanzerten Limousine. Wie bitte? Personenschutz? Bedaure, mein Führer! Er war nur mit seinem Fahrer unterwegs. Bodenloser Leichtsinn, ganz… ganz Ihrer Meinung, mein Führer! Aber selbstverständlich werde ich die entsprechenden Konsequenzen aus dem Vorfall ziehen.« Frank machte ein gequältes Gesicht. Dass sich der Zorn des Diktators ausgerechnet über ihn entlud, hätte er sich gerne erspart. »Wie es ihm geht? Nicht so gut wie zunächst erhofft. Hollbaum und Dick mussten die Milz entfernen. Aus welchem Grund? Sie hat ein paar Splitter abgekriegt. Und reichlich Rosshaar aus der Polsterung. Das Zwerchfell musste geflickt werden. Das Zwerchfell, ganz richtig! Vertrackte Situation–in der Tat, mein Führer! Und das Schlimmste: Es droht eine Infektion.«

Als in diesem Moment einer seiner Adjutanten den Kopf zur Tür hereinstreckte, war Frank einen Augenblick lang abgelenkt, schaffte es aber, den Mann mittels eindeutiger Gesten wieder hinauszukomplimentieren. Rechtzeitig genug, um die nun folgende Anweisung entgegenzunehmen.

Karl Hermann Frank war abgebrüht, um nicht zu sagen völlig skrupellos. Aber was er in diesem Moment zu hören bekam, war geeignet, selbst ihn in Erstaunen zu versetzen. Und zwar in einem Maße, dass es ihn nicht mehr auf seinem Lehnstuhl hielt.

»Habe ich Sie da richtig verstanden, mein Führer?«, stakste er irritiert hinter dem Schreibtisch im Chefarztzimmer auf und ab, wohin eigens eine Geheimleitung gelegt worden war. »Ich soll Heydrichs Telefonate abhören lassen?«

Die Antwort aus dem Führerhauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen ließ an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig.

»Abhören und aufzeichnen–zu Befehl, mein Führer! Geheime Reichssache, ich verstehe. Mitstenographieren, versteht sich von selbst. Und anschließend per Sonderkurier ins Führerhauptquartier. Höchste Geheimhaltungsstufe. Zu niemandem ein Wort. Aufzeichnung sämtlicher Gespräche, auch solcher rein privater Natur. Kontrolle, Registrierung und nötigenfalls geheimdienstliche Überwachung der Besucher. Ohne Rücksicht auf Rang, Dienstgrad oder Namen. Rapport im Führerhauptquartier morgen um 15 Uhr. Sie können sich auf mich verlassen, mein Führer!« Frank holte tief Luft, doch bevor er seine Ergebenheitsadresse an den Mann bringen konnte, hatte sein Gesprächspartner aufgelegt.

Karl Hermann Frank atmete hörbar auf und ließ sich im Zeitlupentempo auf seinen Schreibtischsessel sinken. Heydrich bespitzeln, obwohl er auf der Kippe stand? Einen todgeweihten Mann? Auf den ersten Blick ergab der Befehl keinen Sinn. Aber dann, nach reiflicher Überlegung, begann der Gedanke zunehmend amüsant auf ihn zu wirken. Ausgerechnet Heydrich. Der Herr aller Spitzel. Der Schnüffler schlechthin. Die Frage war nur, weshalb der Führer einen derartigen Aufstand machte. Frank konnte sich keinen Reim darauf machen. Letztendlich war es ihm auch egal.

Was zählte, war sein Auftrag. Befehl war nun einmal Befehl. Und damit Schluss.

Schließlich musste er ja auch an seine Karriere denken.

Und wenn der etwas nützen konnte, dann ein erfolgreich ausgeführter Führerbefehl.

5

Krankenhaus Na Bulovce                     02.06. | 20.50h

Eine Bluttransfusion nach der anderen. Und immer wieder Morphium. Dann die endgültige Diagnose. Bauchfellentzündung und sein Todesurteil, Blutvergiftung.

Es ging zu Ende mit ihm. Unweigerlich.

Heydrich rollte sich auf die Seite. Fast ein Ding der Unmöglichkeit. Aber es gab noch etwas zu erledigen. Allen Höllenqualen zum Trotz.

Die Dränage machte es ihm nicht leicht. Doch dann war es geschafft. Seine Hand lag auf dem Telefon. Der Protektor biss die Zähne zusammen und wählte. Eine Nummer, die außer ihm niemand kannte. Es war eine qualvolle Prozedur, und mit jeder Sekunde, die verstrich, rückte der Tod ein Stück näher.

Dann das Freizeichen. Ein Knacken in der Leitung, das unter normalen Umständen seinen Argwohn geweckt hätte. Doch Heydrich hörte es nicht. Oder wollte es nicht hören. Er war so sehr auf sein Vorhaben fixiert, so geschwächt, dass ihm sein Instinkt völlig abhanden gekommen war.

Für immer.

Heydrich, Protektor und meistgefürchteter Mann im Reich, existierte nicht mehr. Der da lag, war ein schmerzgepeinigtes menschliches Wrack, das seinen letzten Trumpf ausspielen wollte.

»Sterb er dahin, der strahlende Held.« Das verabredete Codewort. Folglich war die Luft rein. Heydrich schloss erleichtert die Augen, trotz der Tatsache, dass die Stimme seines Gesprächspartners vor Anspannung vibrierte.

»Mein ist der Hort, mir muss er gehören!« Heydrich gab seine Antwort ohne zu zögern. »C hier!«, ergänzte er postwendend. »Walhalla auslösen!«

Die Antwort des Mannes am anderen Ende der Leitung ließ auf sich warten. Ein Räuspern, dann die Erwiderung, die wie eine Frage klang: »Walhalla auslösen.«

»Lina ist hochschwanger, schon vergessen?«

»Nein.«

»Und um sich auszumalen, was ihr und den Kindern passieren könnte, braucht man wohl keine Fantasie.«

»Bestimmt nicht!«

»Was bedeutet: Walhalla auslösen, wie abgemacht!«, flammte Heydrichs Jähzorn ein letztes Mal auf, ohne Rücksicht auf den Mann, der ihn wie kaum ein zweiter kannte.

Dann ließ er den Hörer auf die Gabel fallen.