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Zurück im Keller des Wiget-Hauses duscht Wallner und geht mit umgebundenem Handtuch in das Gästezimmer neben dem Badezimmer. Er öffnet den Wandschrank, in dem sich neben ausrangierten Röcken, Blusen von Astrid und Anzügen von Wiget auch Kleidungsstücke von ihm befinden. Als Wallner ins Eßzimmer im Erdgeschoß tritt, sitzen Wiget und Astrid bereits am Tisch. Maximilian und Patrick haben sich noch kurz dazugesellt, sie haben sich umgezogen und riechen nach Jasmin. Maximilian und Patrick werden in die Disco in Vilzling fahren, die früher, wie Wallner weiß, Jungle hieß, jetzt aber wahrscheinlich einen anderen Namen trägt, der Besitzer ist jedenfalls nicht mehr derselbe. Maximilian und Patrick sagen, daß sie in einen der Theme-Clubs im neuen Entertainment-Areal Richtung Furth im Wald fahren, von dessen Neueröffnung Wallner aus der Zeitung erfahren hat, Costin, der ihm am ehesten mehr darüber sagen könnte, ist dort noch nie gewesen, das wüßte Wallner. Der Theme-Club habe das antike Rom als Motiv, das Innere sei wie ein Tempel eingerichtet, mit Säulen, die Bedienungen servieren in Togen, die Cocktails, so Maximilian, seien nach römischen Gottheiten benannt. Die Disco in Vilzling gebe es seit ungefähr zwei Jahren nicht mehr.

Nach dem Essen gehen Wallner und Wiget ins Wohnzimmer, Wallner öffnet die untersten Türen des linken Schranks neben dem Fernseher, um die DVD mit der polnischen Tragikomödie, dem Oscar-Gewinner für den besten fremdsprachigen Film letztes Jahr, herauszusuchen. Als er seine Finger an den Rücken der Hüllen entlanggleiten läßt, fällt sein Blick auf den Spielfilm über den Einsatz der Bundeswehr in Angola vor einigen Jahren, den er Anfang des Jahres im Kino zu sehen versäumt hatte. Während der ersten Minuten des Films, in dem anhand von Dokumentarmaterial die Geschichte des Bürgerkriegs in Angola und der Beschluß der EU-Staaten, eine europäische Eingreifgruppe aus mehreren tausend Soldaten nach Luanda zu entsenden — Zentrum der Kämpfe und Titel des Films —, erzählt wird, schaut Wallner zu Wiget, weil er noch kurz über Brandenburg sprechen möchte.

Wiget hat die Augen nur halb geöffnet und hält sich mit einer Hand ein Kissen vor den Bauch. Wallner weiß, daß Wiget müde ist und daß es zu keinem befriedigenden Gespräch über Brandenburg kommen würde. Astrid hat sich schon ihren Pyjama angezogen. Wallner kann sehen, wie sich unter dem Oberteil ihre Nippel abzeichnen. Weiß Astrid das? Weiß sie, daß Wallner das bemerkt? Möchte sie das? Was bedeutet das? Sie kommt ins Wohnzimmer und setzt sich zwischen Wiget und Wallner.

Im Film hat die eigentliche Handlung, die fiktiven Einzelschicksale einer sechsköpfigen deutschen Special-force-Truppe, begonnen. Jeder Soldat geht anders mit der Nachricht um, nach Luanda entsandt zu werden. Der eine hält eine Abschiedsfeier mit seiner Familie und seinen Freunden, die andere sitzt mit Tränen in den Augen im Arm ihres Freundes auf der Couch et cetera. Astrid sagt, daß sie sich das nicht ansehen könne. Sie steht auf und sagt, die Hände vor der Brust verschränkt, Wiget und Wallner gute Nacht.

Im Film springt die sechsköpfige Special-force-Truppe zusammen mit anderen Bundeswehrsoldaten über der Küste Luandas mit dem Fallschirm ab. In das Spielfilmmaterial sind die bekannten Amateurvideoaufnahmen hineingeschnitten, die, von der Küste aus gemacht, die unscharfen Gestalten in der Luft und im Wasser zeigen. Viele Soldaten werden von den Kugeln der Rebellen getroffen, die plötzlich, vollkommen unerwartet, zu feuern beginnen, Leichname treiben an Fallschirmen im Meer, darunter auch der eines Soldaten aus der deutschen Special-force-Truppe. Seine Kameradin hebt seinen Kopf an den Haaren aus dem Wasser, erkennt ihn und schreit auf.

Ulrich Wiget sagt: „Ich weiß, daß du an Brandenburg denkst. Du denkst, daß wir den Auftrag bekommen und daß wir uns nach neuen Zulieferern umsehen sollten. Und du denkst noch einen Schritt weiter. Du denkst, daß, wenn Brandenburg gut über die Bühne geht, wir dann Anteile an Chutkowski in Danzig kaufen können und vielleicht auf lange Sicht die ganze Firma. Ich glaube auch, daß wir Brandenburg bekommen werden. Gries ist schon längst aus dem Rennen, und unsere Bilanz ist besser als die von van Riet. Ich werde am Montag in Riga anrufen und sehen, was deren Angebot für Schaufeln wäre.“

Am Samstag sind Wiget, Astrid und Wallner spontan nach München gefahren. In einem Möbelhaus sitzen er und Wiget Probe und haben dann fünf neue Schreibtischstühle für die Firma gekauft; in der Damenabteilung eines Modehauses hat Wallner ihn gefragt, welches von zwei Kleidern er als Geschenk für Ana zu ihrem Geburtstag besser fände. Am Sonntag hat Wallner Wiget in dessen Haus beim Ausbau des Wintergartens geholfen.

37

Wallner nimmt im Sessel, Ana auf dem Sofa Platz. Ana hat sich den Übergangsmantel, den sie getragen hat, als Wallner sie und Costin vom letzten Zug aus Regensburg am Chamer Bahnhof abholte, nicht ausgezogen. Die Wohnzimmerdecke vibriert dumpf von den Schritten Costins, der sofort nach oben in sein Zimmer schlafen gegangen ist, weil er am nächsten Tag Schule hat, außerdem sei er todmüde. Auf dem Wohnzimmertisch liegt auf einer Tüte mit rumänischem Aufdruck ein Ölbild in einem Holzrahmen, das einen Mann mit weißem Schnauzbart, einem Monokel im rechten Auge und einer Warze über dem linken Mundwinkel zeigt.

Ana sagt, daß das ihr Großvater Mihai sei und daß ihre Tante Steluţa ihr nun endlich das Bild als Vorgeburtstagsgeschenk gegeben habe. An dem Sessel lehnen zwei Tüten, deren Inhalt Ana Wallner kurz gezeigt und dann gleich wieder verpackt hat, Mămăligă cu brânză, Ciorbă de Burtă und Pîine, selbstgemacht von Anas Cousin Dinu und dessen Frau. Ana breitet Prospekte mit Zeichnungen von Wohnkomplexen und Apartmentgrundrissen auf dem Tisch aus.

Sie sagt: „Für meine Mutter ist es diesmal ganz schlimm gewesen. Die ist jetzt halt schon so alt, daß es jedesmal sein kann, daß es das letzte Mal ist, daß sie in Rumänien ist. Man hat schon gemerkt, daß Rumänien die Heimat von der Mama ist, aber sie ist eben einfach zu lange weggewesen, und Bukarest hat sich ja in den letzten zehn, zwanzig Jahren ziemlich verändert. Du weißt schon. In Regensburg kennt sie ihr Umfeld, die Nachbarn, die Verkäufer im Supermarkt und so, aber sie ist halt immer die Ausländerin, und die Freunde, die sie hat, die sind halt auch alle aus Rumänien und jetzt auch schon so lange hier wie sie vielleicht. Andererseits in Rumänien, da kennt sie nur noch ihre Schwester und meine Cousine und deren Familie, den Rest gibt es nicht mehr, auch die meisten Häuser in der Innenstadt. Entweder ist da jetzt was Neues gebaut worden, oder die ganz alten Gebäude, die verfallen waren, als die Mama weggegangen ist, sind neu instand gesetzt worden, so daß sie sie nicht wiedererkennt. Dabei ist die Mama doch durch und durch Rumänin. Du weißt schon. Und wenn der Tata nicht damals nach München gegangen wäre mit dem Stipendium und die Praxis aufgemacht hätte, die Mama wäre sicher in Bukarest geblieben. Aber wenn ich mir die Steluţa und den Dinu anschaue und mir überlege, daß das die Mama und ich sein könnten — Steluţas Dreizimmerwohnung, Dinu Bäcker, der gerade mal so seine Familie durchbringt —, da kann ich nur sagen: Gott sei dank sind meine Eltern rübergegangen. Nein danke.“

Es entsteht eine Pause.

„Ich habe mir gedacht, daß man sich mal überlegen soll, ob man sich nicht so ein Apartment in Bukarest kauft. Wir könnten dann dort öfter sein. Costin könnte dann dort öfter sein. Und vor allem könnte die Mama eine längere Zeit dort leben. Das würde sie sehr freuen, denke ich. Das Geld ist ja jetzt auch da.“

Später hat Wallner mit Ana geschlafen. Die linke Nachttischlampe brennt, die rechte, auf Wallners Seite des Betts, ist ausgeschaltet. Wallner stützt sich mit den Armen neben Anas Kopf ab. Er spürt, daß seine Haare im Nacken vom Schweiß naß sind. Während er Ana penetriert und sie die Beine anwinkelt, ist die beige Bettdecke mit dem Karomuster bis zu seinen Füßen gerutscht. Ana dreht sich um. Als sie dann auf dem Bauch liegt, laut atmend, ab und zu stöhnend, er auf ihr, hat er für einige Momente gedacht, daß er eigentlich genau jetzt statt ihren Kopf von oben, die Haare vor ihrem Gesicht, sie lieber von einem Standpunkt von schräg unten aus sehen würde, wie sie sich auf die Lippen beißt, sich selber darüber, wie er die Stirn in Falten gelegt hat, die Wangen gerötet, sie müssen gerötet sein, sie glühen. Als er nicht mehr kann, zieht er sein Glied aus Anas Scheide und dreht sich zur Seite.