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„Dieser Lehrer-Geschichte?“

„Habe ich dir doch schon erzählt.“

„Hast du mir nicht schon einmal erzählt. Du erzählst mir nie was.“

„Bitte, Ana. Das ist doch jetzt egal. Ich habe jetzt wirklich nicht die Zeit, daß wir jetzt hier über so etwas reden. Ich muß auch gleich wieder rüber. Wir haben nicht genügend Lehrer, können nicht soviel zahlen wie sonstwo, die Lehrer müssen hier wohnen und so weiter und so weiter.“

„Weißt du, wie es mir geht?“

„Wie geht es dir?“

„Interessiert dich das? Spielt das überhaupt irgendeine Rolle? Für dich gibt’s doch nur noch dieses Dorf. Seit einem Monat sitzt du da.“

„Das hatten wir doch schon alles einmal. Ich komme in zwei Wochen. In zwei Wochen. Das Dorf braucht mich. Die brauchen mich.“

„Ich fahre weg.“

„Du fährst weg? Wohin?“

„Nach Wien. Nach Budapest. Nach Prag. Ich weiß es nicht. Aber ich werde morgen fahren. Was mache ich denn die ganze Zeit in diesem Kaff? Was ist denn schon in Cham?“

„Ganz genau dasselbe hast du doch schon einmal gesagt. Weißt du das? Als du wegwolltest. Und wäre es anderswo anders geworden? Wäre es das? Nein. Es ist gut gewesen. Daß wir geblieben sind. Aber über all das haben wir wirklich schon zur Genüge geredet.“

Das Hintergrundrauschen, das die ganze Zeit über in der Leitung gewesen ist, ist plötzlich in Piepsen übergegangen. Ana muß schon vorher aufgelegt haben. Wallner legt das Handy auf den Nachttisch, geht auf die andere Seite des Schlafzimmers und schaltet den Fernseher ein. In den Nachrichten wird gerade von einer Gesetzes-Debatte im Europa-Parlament berichtet. Wallner öffnet zuerst die Flügel der Innen-, dann die der Außenfenster des Schlafzimmers. Während unten, vier Stockwerke tiefer, die Straße schon im Dunkeln liegt, fällt auf die Grande Arche, deren Bogen in der Ferne über den Häusern zu sehen ist, noch Abendlicht.

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12. Mai

Kinderdorf. Gespräche mit Laurent (Fiasko!). Fax an Gieske, Gottschalk und Lange schicken! Starke Rückenschmerzen. Sonnenbrand. Kreislaufprobleme. Wieder das Gefühl im Kopf.

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Man kann einen Teil des Geldes, das für die Unterstützung eines Kinderdorfes bei Port Harcourt vorgesehen ist, auf ein Extra-Konto bei einer Bank in der Rue Morgue abzweigen, für die Ausgaben, die in Paris anfallen. Man kann die Kommodität des Zimmers, in dem man sich in seinem Apartment die meiste Zeit aufhält, also des Schlafzimmers, optimieren, indem man a) Einrichtungsgegenstände der anderen Zimmer — Küche mit Eßzimmer und Wohnzimmer — dem Schlafzimmer zuführt, b) für die Einrichtungsgegenstände von a) die Kriterien „günstig“, „robust“ und gleichzeitig „ästhetisch“ geltend macht. Sind a) und b) erfüllt — a) und b) sind erfüllt —, können vom Handy aus Telefonate mit Ana geführt werden, in denen ihr vom Kinderdorf bei Port Harcourt erzählt wird, können Nachforschungen angestellt werden, um zu erfahren, was die Firma macht, wie es ihr geht. Es können Modelle gebaut werden. Man verspürt hin und wieder den Drang, neben dem Satellitenfernsehen und dem Lesen von französischen Kriminalromanen etwas zu bauen. Modelle.

Solange die Putzfrau, für die man bei jedem Aufenthalt in Paris alle zwei bis drei Monate von neuem inseriert, ihre Arbeit verrichtet, bleibt man in der Wohnung und überprüft, daß nichts gestohlen wird. Man tut so, als wäre man beschäftigt. Man hat eine weitere Wohnung im Auge. Die Nachbarwohnung. Man braucht die Wohnung nicht. Die meiste Zeit während der drei bis vier Wochen, die man im Apartment zubringt, hält man sich ja im Schlafzimmer auf. Bis auf die Küche stehen die anderen Zimmer, Eß- und Wohnzimmer also, leer. Man möchte sich aber vergrößern. Nach zwei Jahren, die man regelmäßig hierherkommt, ist das natürlich. Die Nachbarwohnung wird von einer alten Frau, alleinstehend, bewohnt, die nie Besuch erhält. Der Hausmeister hat zugesagt, beim Todesfall der alten Frau sofort Wallner zu benachrichtigen und sich für ein Trinkgeld dann auch um die Adresse des möglichen Maklers der Nachbarwohnung zu bemühen.

Im Quartier Latin hat man sich die kürzesten Routen zu den günstigsten Geschäften erschlossen. Ebenso Fluchtwege, Abkürzungen, sollte man zur Vermutung Anlaß haben, man werde beobachtet, einer folge einem. Für den Fall, daß man sich nicht, wie in den letzten Monaten häufiger, vor oder nach Paris im Kinderdorf bei Port Harcourt aufhält, ist ein Geschäft mit authentischen Gegenständen aus Afrika sowie ein Bräunungsstudio ausgemacht worden. Ana erhält nach jeder Nigeria-Reise beziehungsweise jeder Paris-Reise, die als Nigeria-Reise ausgegeben wird, einen authentischen Afrika-Gegenstand aus diesem Geschäft als Andenken. Geschäfte in Paris, in denen deutsche Zeitungen, Bücher und Filme zu erwerben sind, kennt man. Manchmal erkundigt man sich nach den Bahnfahrplänen, und man macht einen Ausflug. Man fährt entweder aufs Land oder Richtung Norden ans Meer. Manchmal bleibt man länger und nimmt sich ein Zimmer in einer Pension.

Man geht Feldwege entlang zwischen Wiesen.

Man geht durch den Wald.

Man läßt die Füße ins Wasser baumeln.

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12. Februar

Traum: A. und ich an Küste in Portugal. Schön.

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Es gilt, zufällige Begegnungen wie überhaupt jeden Kontakt mit den Wigets und insbesondere Wiget zu vermeiden. Das ist schwierig. Man wohnt im selben Viertel. Aber: Man kennt die Gewohnheiten der Wigets, insbesondere die Wigets. Seine Wege und die von ihm frequentierten Orte gilt es zu umgehen. Rigoletto, wo sich die Ehepaare hin und wieder trafen, das italienische Restaurant, Kieser, das Fitneßstudio, Tengelmann, den Supermarkt im Gewerbepark, wo beide Ehepaare am Samstag ihren Großeinkauf machten, der Mann hilft der Frau. Für den Fall einer zufälligen Begegnung mit Wiget oder Astrid hat man sich Möglichkeiten zurechtgelegt.

A) Man grüßt kurz und höflich und fährt mit der Tätigkeit fort, mit der man gerade beschäftigt ist.

B) Man beginnt ein Gespräch und tut so, als hätte es die letzten Jahre nie gegeben, man erkundigt sich, man vereinbart.

C) Man beginnt ein Gespräch und beharrt auf dem, was vorgefallen ist, man stellt Wiget oder Astrid zur Rede wegen intrigantem Verhalten und Verrat an der vormals mehr als freundschaftlichen Beziehung.

Hin und wieder ruf Wiget oder Astrid an. Deswegen hat man seine Handynummer geändert und geht auch zu Hause nicht mehr ans Telefon. Ana hebt dann ab. Früher hat sie, weil man sie darum bat, gesagt, man sei gerade nicht zu Hause, man sei in Nigeria. Jetzt scheinen Wiget und Astrid nicht mehr nach einem zu fragen, sondern unterhalten sich mit Ana einfach so, über alltägliche Probleme, Urlaubspläne, die Kinder. Man fragt da nicht nach. Man schnappt hin und wieder etwas auf. Ana trifft sich ja mit Astrid, vielleicht auch mit Wiget regelmäßig. Das ist bekannt. Solange sie erzählt, daß Nigeria ein Erfolg ist, ist es gut. Patrick studiert Maschinenbau in München. Maximilian arbeitet bei einer Bank in Erlangen und ist verheiratet, Wiget und Astrid fahren noch immer regelmäßig in die Türkei, der Wert der Aktien der Firma stagniert seit Jahren, wie man ja auch aus dem täglichen Studium der Aktienkurse in der Zeitung weiß. Witte ist inzwischen in Pension, er hatte die ersten beiden Weihnachten nach dem Ausstieg vor der Tür gestanden und einen Freßkorb als Geschenk mitgebracht; insbesondere die Becks, die Breitenbachers sowie weitere Teile der Belegschaft schicken zum Geburtstag und zu Weihnachten Karten mit Vordruck und eigenhändiger Unterschrift. Das ist alles.