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08

Constanze steht an der Kommode, mit der einen Hand hält sie sich daran fest, die andere Hand hält sie sich vor den Mund. Sie weint. Elvira ist ins Zimmer gekommen, sie bleibt kurz stehen, als sie Constanze so sieht, dann geht sie auf sie zu und legt ihr von hinten den Arm um die Schulter. Constanze (schluchzend): „Laß uns das irgendwie hinter uns bringen. Daß wir da neu anfangen.“

Elvira (zögernd): „Es tut mir. .“

Constanze (sie unterbrechend, plötzlich gefaßt): „Ich weiß schon. Ich weiß doch. Ich habe Sachen falsch gemacht, und du hast Sachen falsch gemacht. Vielleicht können wir das jetzt zu so einem Wendepunkt machen. Laß uns einfach versuchen zu vergessen, was da passiert ist.“

Constanze dreht sich um und nimmt Elviras Hand. Zoom auf die ineinandergelegten Hände.

Er hat wieder diese krassen Augenschmerzen bekommen, die er schon seit ein paar Tagen, mindestens aber seit gestern hat, und vom Fernseher weg auf den Van-Gogh-Druck daneben geschaut, die Sonnenblumen mit dem Aufdruck Van Goghs Sonnenblumen, über dem weiß lackierten Schreibtisch, dessen Beine schon ziemlich abgeschlagen sind. Über dem Bett hängt ja auch so ein Van-Gogh-Druck, eine Sternennacht. Auf dem Laken sind Brösel, Reste von Popcorn, die er an seinen nackten Füßen spüren kann.

Er steht auf, der Kreislauf ist extrem unfit, wenn man sich den ganzen Tag nicht bewegt.

Er kneift die Augen zu, macht sie auf, kneift sie zu, macht sie auf, damit die schwarzen Flecken, die er sieht, verschwinden.

„Sobald das Bettzeug ausgebeutelt ist, fühlt es sich frisch an, riecht besser und wird auch ganz schnell wieder warm“, sagt er sich und friert in diesem Augenblick ein bißchen, so nur im Pyjama, den Luftzug von der Decke, die er an den Enden gefaßt hat und kräftig schüttelt, im Gesicht, auch noch ein bißchen wackelig im Kopf von der plötzlichen körperlichen Anstrengung.

09

Kann ja wohl nicht sein. Er liegt, als er jetzt blinzelnd die Augen aufmacht und sich langsam aufrichtet, ausgestreckt auf dem Boden, direkt neben dem Nachttisch, er ist aus dem Bett gefallen und um ein Haar auf die Nachttischkante geknallt. Ein Bein hängt noch auf der Matratze. Sein Rücken tut weh, das spürt er jetzt, vom Fall auf den harten Boden.

Er hatte wieder diesen Albtraum, den er schon zu den PingPongs-Zeiten hatte, kein Zweifel, er sieht die Bilder noch vor sich: Er auf der Bühne neben Seema, vor ihnen Uschi und Wylie, viel zu nah beieinander, bei der Choreo können sie dem anderen zuerst gerade noch so ausweichen, dann plötzlich stoßen sie zusammen, Seema haut Costin ihren Arm ins Gesicht. Im Schlaf muß er dann immer die Tanzbewegungen in irgendeiner Form mitgemacht haben, jedenfalls hat immer wieder, wenn er aus dem Albtraum erwachte, die Nachttischlampe auf dem Boden gelegen, oder er hatte noch für Sekunden, im Moment des Wachwerdens, mit Armen und Beinen gezuckt, wie ein Spack. In der Öffentlichkeit, also beim Einkaufen oder beim Essengehen, ist es ja auch schon ein paarmal vorgekommen, daß er an einen PingPongs-Song denkt, Wild Lady zum Beispiel, und sich und seine Umwelt da irgendwie für einen Moment vergißt und auf einmal die jeweilige Choreo macht, „Wild“: vorspringen, Beine auseinander, „La-dy“: mit rechtem Arm ein „L“ in die Luft malen, „Lady“ mitsprechen, Kopf hin, her und den linken Arm mit der zur Faust geballten Hand in die Höhe, zwischen den Regalen im Tengelmann oder in der Warteschlange beim Mac.

Costin klettert zurück ins Bett. In den Aushöhlungen der übereinandergeworfenen Decke am Bettende sind noch die Spuren seiner Füße zu erkennen, der Tanzschritte, die er so lange im Schlaf auf der Stelle gemacht haben muß, bis er sich frei gestrampelt hat. Er zieht sich die Decke übers Kinn und summt den Refrain von Wild Lady, eigentlich ein Schwachsinnstext, auch nie eine Single, aber vielleicht wird er den Song auch deshalb nicht los, weil er ihn nie leiden konnte und trotzdem singen mußte, Wild Lady, you Sexy Sadie, why don’t you come?

10

„Brian?“

Das muß Melanie sein. Das kann nur Melanie sein. Es ist Melanies Stimme. Außerdem nennt ihn ja nur Melanie Brian.

Er hatte ja mal diese Phase während der Aufnahmen zum zweiten Album, da wollte er unbedingt mit den anderen diesen Track vom Smile-Album der Beach Boys aufnehmen, Wonderful, und zwar besser als die Bootleg-Version aus den 60ern und besser als die offizielle Fassung vom Smile-Album 2004, damals vom alten Brian Wilson himself mit der Hilfe eines, nur für den Fachmann hörbar, Computer-Programms gesungen, das alle falschen Töne sofort korrigierte. Die anderen — Seema, Uschi und Wylie — hatten nicht mal gewußt, wer das überhaupt sein sollte, Brian Wilson, Melanie allerdings schon, die ihm damals in ihrer Funktion als Managerin der Band die Nachricht überbrachte, daß die Rechte für Wonderful zu teuer wären, außerdem seien ja sowieso alle gegen den Song. Melanie war es damals auch gewesen, die ihn, als er sich, vielleicht aus Trotz, während der Zeit im Studio so anzog wie Brian Wilson Ende der 60er — weißes Shirt mit drei blauen Querstreifen, Pilzkopfhaarschnitt, bei Bedarf die fette Hornbrille und, ab und zu, der obligatorische rote Feuerwehrhelm —, statt wie bisher Costin oder wie die Fans und Medien CO, Brian nannte — gar nicht boshaft, sondern, ja, irgendwie liebevoll; auch noch, als er für die Tour wieder sein Outfit ändern mußte, sprich: wieder so aussehen mußte, wie er, Costin, vor den Aufnahmen ausgesehen hatte und wie man ihn draußen, sprich: vor allem auf dem Bildschirm, in den Zeitschriften, auf der Bühne und so weiter kannte. Er hatte seitdem das Gefühl, er habe vor allen anderen in der Band einen besonderen Draht zu Melanie und, nachdem er ja diese Anfangsschwierigkeiten mit ihr gehabt und er ihr beim ersten Album noch gesagt hatte, daß ihm ihr Große-Schwester-Gehabe tierisch auf den Sack gehe, hatte das jetzt saugut getan, er war froh gewesen, daß sie da war, daß er eine Verbündete in diesem ganzen Zirkus hatte, die wußte, wie es ihm manchmal zumute war und was wirklich abging, seine große Schwester, die Melanie.

„Melanie?“ hat Costin in das Mikro an seinem Headset gefragt und ist über seine eigene Stimme ein bißchen erschrocken, die total brüchig und rauh klingt, OK, so wie man eben klingt, wenn man was getrunken, geraucht und bis jetzt geschlafen hat und zum ersten Mal am Tag was sagt. Er schaut auf das ausgeklappte Display seines Handys auf dem Nachttisch neben dem Bett. Yup. Das Gesicht, obwohl schlecht ausgeleuchtet, gehört Melanie. Er achtet darauf, daß er für die Kamera in seinem Handy nicht zu sehen ist, sondern lediglich die gegenüberliegende zart rosa gestrichene Wand. Sieht Melanie halt nur die zart rosa gestrichene Wand. Ist auf jeden Fall weniger peinlich, als wenn sie mitbekommt, in was für einem Zustand er sich befindet.

Melanie sagt: „Wie kommst du denn dazu, einfach so abzutauchen, keiner hat deine neue Handynummer, niemand weiß, wo du bist.“ (Melanie zu einem imaginären Gegenüber:) „Weißt du, wo der Costin steckt?“ (Melanie als imaginäres Gegenüber:) „Nee, den hab ich ja auch schon ewig versucht zu erreichen, aber von dem fehlt irgendwie jede Spur.“