Выбрать главу

Costin sagt: „Die lange Tour, die Sehnenscheidenentzündung, die Depressionen, der Streit mit Wylie, Jessica, die mich rausgeworfen hat. .“

„Brian. Ich muß dir was sagen. Da ist was passiert.“

„Die Plattenfirma ist pleite. Die Band hat sich in meiner Abwesenheit für immer aufgelöst.“

„Brian.“

„Man hat dir gekündigt. Wylie ist nach Brooklyn gezogen.“

„Brian.“

„Seema hat einen Unfall gehabt. Nicki hat einen Unfall gehabt. Wylie hat einen Unfall gehabt.“

„Costin. Dein Vater ist gestorben.“

„Mein Vater ist gestorben.“

„Dein Vater ist gestorben.“

Die Bettdecke ist weiß. Der Teppich ist hellbraun. Über dem weiß lackierten Schreibtisch hängt der Spiegel. Die Wand ist zartrosa gestrichen.

„Brian?“

Melanies Gesicht auf dem Display des Handys, das er in die Hand genommen hat, ist ernst. Sie hat die Stirn in Falten und den Kopf zur Seite gelegt, als horche sie darauf, ob eine Antwort von ihm komme. Melanies Haare sind schwarz. Jetzt preßt sie die Lippen zusammen, sie hat einen mitleidigen Blick. Costin weiß, daß sie ihn jetzt, in diesem Moment, auf ihrem Display hat, wie er mit angezogenen Beinen auf dem Bett kauert, der Mund, durch den er versucht, langsam und regelmäßig zu atmen, sein Haar muß zerzaust sein.

11

Schon beim Aussteigen aus dem Taxi und dann während er mit geschulterter Reisetasche über das grüne Gatter springt, langsam die Einfahrt entlanggeht bis zur Villa, hat er diese Klezmer-Klarinetten-Musik von diesem Typen, Friedmann, Friemann, Freimann, leise und dann immer lauter, wie hochgefadet, im Ohr gehabt, also innerlich. Er klingelt. Ana öffnet ihm. Er tritt ein, stammelt irgendwas, umarmt Ana und fängt an zu weinen. Die Tür ist hinter ihm mit einem Klick ins Schloß gefallen. Während er jetzt „Das ist alles so furchtbar“ schluchzt, hat er, glaubt er, Speichelfäden zwischen den Lippen, jedenfalls spürt er so was. Ana hat ihn umarmt, aber sie hat noch gar nichts gesagt, weinen tut sie auch nicht, sie hält ihn nur.

Ana hat seit Tagen geweint, denkt Costin. Ana hat keine Tränen mehr. Sie hat das Tiergeschäft vorübergehend geschlossen. Ana schläft schlecht, jetzt auf einmal ganz allein im Ehebett. Nachts geht sie durchs Haus. Sie vermeidet es, Bilder Tatas anzusehen. Astrid und Uli helfen ihr. Sie hören zu, sie trösten, sie streicheln Ana über den Rücken. Ana sitzt viel auf dem schwarzen Sofa im Wohnzimmer. Manchmal sieht sie fern. Sie versucht sich, so gut es geht, abzulenken. Das gelingt nur selten. Es ist noch zu früh. Alles ist Schmerz. So wird es sein.

Aus der halboffenen Tür zum Eßzimmer ist ein Mann in den Flur getreten. Es ist Tata. Die Statur. Der dunkelblaue Anzug. Costin schaut in ein Gesicht, das nicht das von Tata ist, graublondes Haar, eher runde Backen.

Ana, deren Gesichtszüge sich verhärtet haben und die Costins Unterarm festhält, leicht, sagt: „Das ist Herr Kauderer, er ist Anwalt und hilft mir jetzt mit den Sachen.“

Herr Kauderer. Anwalt. Mamas verhärtetes Gesicht. Herr Kauderer sagt, es tue ihm leid, und schüttelt Costin die Hand, er verabschiede sich jetzt auch schon wieder, zu Ana gewandt, er melde sich dann bei ihr.

Ana geht, bei Costin eingehängt, ohne etwas zu sagen, auf den Boden schauend, ins Wohnzimmer. Auf dem schwarzen Ledersofa sitzt ein großer brauner Hund. Der Hund hebt den Kopf, öffnet das Maul, hechelt. Costin beugt sich zu dem Golden Retriever oder Setter oder was auch immer und krault ihn zwischen den Ohren.

Ana: „Benny“.

Auf rumänisch fährt sie fort, daß sie doch diese Tierboutique gehabt habe. Die habe sie vor einem Jahr aufgegeben. Die Tiere, die sie noch gehabt habe, habe sie dann mitgenommen. Also zum Beispiel Benny, im Eßzimmer seien zwei Kanarienvögel und draußen treibe sich irgendwo der Peter herum, so ein schwarzer Kater.

An dieser Stelle müßte Costin, der sich den Rotz von der Nase wischt, eigentlich etwas sagen, eine Entschuldigung zum Beispiel, warum er so lange nichts von sich hat hören lassen, oder eine Nachfrage, wie genau das jetzt passiert sei, mit dem Tata, Melanie meinte ja Schlaganfall, ein paar Tage Koma, und aus.

Costin hat neben Benny Platz genommen. Ana setzt sich auf den Sessel gegenüber, Benny ist vom Sofa aufgesprungen und hat sich vor Anas Füße auf den Boden gelegt. Er beziehungsweise sie — Costin geht mal davon aus, daß es sich trotz des männlichen Namens um ein weibliches Tier handelt — hebt den Kopf, schaut auf eine Stelle im Wohnzimmer, spitzt die Ohren, hechelt, läßt den Kopf wieder sinken. Während Ana auf rumänisch erzählt, Herr Kauderer habe ihr gerade dabei geholfen, den Verkauf ihres Anteils von Wallner & Wiget in die Wege zu leiten — Verkauf von Wallner & Wiget? Wie bitte? — , sie werde auch in absehbarer Zeit die Villa hier abstoßen — abstoßen? Schluck! — , es gebe bereits Interessenten, morgen sei ein Besichtigungstermin in der Früh, was solle sie noch in Cham, sie werde nach Bukarest ziehen — Arrrg! — , sie habe sich schon nach einer schönen Wohnung in der Innenstadt umgeschaut, hat sich Costin vorgestellt, wie es eigentlich wäre, wenn Benny ein Hunderoboter wäre und statt einer Rute einen überdimensionalen Schlüssel besäße, mit dem man ihn beziehungsweise sie aufziehen könnte, Benny würde zuerst schnell, dann immer langsamer eine Runde nach der anderen im Wohnzimmer drehen, oder, wie ein Kolben in einem Motor, den Kopf heben, senken, heben, senken, tatatatata, mit nachlassendem Tempo, bis die Feder in Bennys Innerem ihre Spannung verlöre.

Costin hat die Schultern hochgezogen, die Arme erhoben und Ana auf deutsch gefragt: „Ja und wie ist das jetzt mit Tata gewesen, also wie genau, was hat sich da“, wobei ihm auffällt, daß diese Bewegung, die er gerade macht — Schultern hoch, Arme ausgestreckt, mit Händen einen Kreis beschreiben —, mit dem Bridge-Teil des PingPongs-Songs Flüsse und Seen übereinstimmt.

Ana sagt auf rumänisch, daß er ja das alles nicht wisse. Sie haben sich ja schon wie lange? ein halbes Jahr? ein Jahr nicht mehr richtig gesprochen. Er sei ja nie zu erreichen gewesen.

OK — jetzt kommt die Standpauke.

Tata und sie haben sich ja in der letzten Zeit auseinandergelebt, sagt sie auf rumänisch. Er sei kaum mehr zu Hause gewesen. Sie sei viel gereist, vor allem nach Rumänien und in die benachbarten Regionen. Costin wisse ja nicht, wie die letzte Zeit gewesen sei mit ihr und Tata. Was mit Tata eigentlich los gewesen sei. Sie müsse Costin da mal was sagen.

Costin hat gehustet, er hatte eigentlich nur so pseudo-husten wollen, um irgendwie die Anspannung zu lösen, und jetzt hustet er wirklich, plötzlich hat er Tränen in den Augen gehabt, weitergehustet, die Hände vors Gesicht gehalten, er weint.

Er hat etwas an seinem Bein gespürt, zuerst hat er gedacht, es sei Benny, dann hat er aber gesehen, daß Ana vor ihm in die Hocke gegangen ist und über sein Knie streichelt, sie hat gesagt: „Aber, scumpul meu, ich weiß doch. Ja. Das ist jetzt alles zuviel. Ja? Jetzt leg dich vielleicht erst mal ein bißchen hin, hm?“

Ana streichelt weiter über sein Knie und starrt ins Leere, auf einen Punkt im Wohnzimmer.

Sie hat Costin ein Taschentuch gereicht. Während er sich schneuzt, sagt er auf deutsch, das sei alles ein bißchen viel jetzt, und, sich die Wangen abwischend, wohin mit dem Taschentuch? Ana nimmt es, was denn jetzt mit dem Tata gewesen sei, was sie ihm da sagen wolle.

Ana sagt: „Na, eigentlich nichts. Er ist halt die ganze Zeit in Nigeria gewesen. Aber das hast du ja eh schon gewußt. Das ist halt für mich, für uns beide, sehr schwierig gewesen, wenn man sich nicht mehr so richtig sieht, er hat es halt etwas übertrieben, er nimmt ja alles immer so extrem ernst, du kennst das ja“, Ana als Wallner (Oberkörper aufrecht, geballte Faust beim Sprechen, den Takt schlagend): „Mankann-das-jetzt-nicht-einfach-so-hinnehmen“, sie hat kurz aufgelacht, aber dann sofort wieder den starren Gesichtsausdruck von vorhin bekommen, Costin hört zu weinen auf, sie hat ganz kurz zu ihm, dann wieder weggeschaut, ins Leere.