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„Aber was er da im Kinderdorf erreicht hat, was er da geschafft hat, jede freie Minute war er da, ja letztlich. ., wie sagt man da, Altruist? also selbstlos, die haben sogar eine Straße nach ihm benannt, also er hat sich da wohl aufgerieben, in Port Harcourt, aber wir können — wir können“ (sie macht eine Pause) „schon, also, stolz auf den Tata sein.“

Jetzt sollte Costin eigentlich noch mal fragen, wie und wo der Tata eigentlich gestorben ist, ob in Nigeria oder Cham, wo er begraben ist, wie das war, die Beerdigung, aber wenn er sich Ana so ansieht, ist das alles jetzt zuviel für sie, sie hat ja, wie sie ihm das erzählt, selber Tränen in den Augen.

Costin gibt Ana einen Kuß auf den Scheitel.

12

Er erwacht von Stimmen, dreht sich zur Seite, zieht die Decke bis zum Ohr. Scheißhotelgäste. Sollten verdammt noch mal ruhiger sein, zumindest auf dem Flur, Rück-sicht? Hallo?! Hier wohnen noch andere Gäste?! Er tastet nach der Fernbedienung auf dem Nachttisch, auf dem etwas Weiches, Flauschiges sitzt. Er macht die Augen auf. Er hält einen großen Maikäfer in der Hand. Also keinen richtigen. Eine Stoffpuppe von einem Maikäfer, so groß wie ein Brotlaib. Costin richtet sich mit einem Ruck auf. Das Bett, in dem er liegt, ist hellblau angestrichen und hat dünne rote Streifen, auf dem Boden rundherum liegen Stapel, Stapel von Comics. OK. Stoffpuppe = Dinu Mai. Bett = sein, Costins, altes Kinderbett, das Christopher-Bett. Zimmer = sein altes Kinderzimmer, im Keller. Ort = Cham. Zeit = Montag morgen. Tata = tot. Das heißt aber auch: Hotelgäste = die potentiellen Käufer der Villa, von deren Besichtigungstermin Ana gestern sprach.

Costin setzt sich auf den Bettrand und wartet darauf, daß sich die Stimmen der potentiellen Käufer, ein Ehepaar, älter, und Ana entfernen, so daß er durch den Flur ins Bad gehen kann. Er möchte nicht gesehen werden. Vor allem nicht mit dieser MPL (= Morgendliche Prachtlatte), die sich merkwürdigerweise in den letzten Sekunden, als er erkannte, wo er ist, gebildet hatte. Mit einem alten, an sich abgelegten T-Shirt aus dem Kleiderschrank — er hatte in der Eile vergessen, sich im Hotel in Berlin eines einzupacken — und seiner Reisetasche unterm Arm ist er dann durch den Flur geeilt, hat sich zunächst in den Türrahmen von Anas Büro neben seinem Zimmer gedrückt, dann an der Wand vorsichtig um die Ecke gespäht, ist zum Bad gesprungen. In der Duschkabine hat er, ohne hinzusehen, mit einem Dreh, das Wasser in der Temperatur eingestellt, zu der er früher schon immer als Jugendlicher duschte, hat, automatisch, mit der anderen Hand nach dem Shampoo ganz oben auf der Leiste der Duschwand gelangt, wo es nicht gestanden hat, und schmiert sich dann statt dessen mit dem Duschgelsample ein, das in der Seifenschale lag, die sonst eigentlich immer — sonst eigentlich immer = zwischen Costins 18. und 21. Lebensjahr, das heißt zu der Zeit seines Zivildienstes und der ersten BWL-Semester in Regensburg — leer war. Es hat sich da rein zufällig ergeben, daß er, beim Waschen seines Schwanzes, zu onanieren anfing. Während er seine Vorhaut vor- und zurückzieht, dachte er dann auch nicht an einen zurückliegenden Geschlechtsverkehr, sondern daran, daß er wahrscheinlich für sehr lange Zeit das letzte Mal in Cham sein würde, daß er unbedingt schauen sollte, ob jemand von seinen alten Freunden in town wäre, also die nächsten drei, vier Tage — länger würde er diesen Psychostreß, Ana, das Haus, die ständigen Erinnerungen, sowieso nicht aushalten —, jetzt kommt er, wischt sich mit dem Duschstrahl sauber.

Vor dem Bad stand dann Ana, als hätte sie hier schon eine ganze Weile gewartet. Sie sagt auf rumänisch, das Ehepaar sei schon gegangen, es habe großes Interesse gezeigt, sie wolle Costin etwas zeigen, lieber gleich, ehe sie es dann vergesse und er weg sei. Im Hobbyraum hat sie die Sachen von Tata eingestellt, die aus seiner Hütte im Kinderdorf, typisches Afrika-Zeug, ein bunter Flickenteppich, ein Klappschreibtisch, ein paar so Statuetten, geschnitzte Negerköpfe, außerdem seien noch Bücher und Kleidungsstücke in den Umzugkartons, die da so rumstehen, ob Costin etwas brauche, die Bücher seien auf französisch übrigens, Ana kenne jetzt ihre, Costins und Jessicas Wohnung, nicht, aber für irgend etwas habe man ja immer Verwendung, sie, Ana, könne die Sachen jedenfalls nicht um sich haben, Costin wisse schon.

Costin sagt auf deutsch, Jessica und er seien nicht mehr zusammen.

Ana sagt auf deutsch, sie habe gedacht, Jessica und Costin seien noch zusammen.

Costin sagt auf deutsch, Jessica und er seien nicht mehr zusammen.

13

Er sitzt auf der Bank im Pausenhof und ißt ein Knoppers. Knoppers — Die kleine Waffel mit dem großen Effekt. Seit er mit den PingPongs einen Werbespot für den Scheiß gedreht hat, hat er so Bons, 500 ungefähr, die er in jedem Supermarkt gegen Knoppers eintauschen kann. Einziger Nachteiclass="underline" Jedesmal, wenn er ein Knoppers ißt, hört er diesen Satz, den er bis zum Erbrechen vor der Kamera wiederholt hat. Es ist große Pause. Noch zehn Minuten, dann beginnt die fünfte Stunde. Sein Deutschlehrer, Herr Heindl, hat vorhin herund dann gleich wieder weggeschaut.

14

Rechts im Hof sind die Unterstufler. Eine Gruppe Mädchen und Jungs spielen was— was, ist nicht so ganz zu erkennen. Sie laufen zu der Betonumrandung, in der die Pappel steht, rauscht, bleiben da stehen, laufen geschlossen wieder ein paar Meter zu einem scheinbar fest markierten Punkt und wieder zurück zur Betonumrandung und so weiter, lachend, total kirre. Ein Mädchen trägt das Outfit von Agata aus der ersten Popstar-Staffel, sieht eigentlich auch identisch aus wie Agata, nur halt in klein.

15

„Costin?“

Costin schaut sich um und dann wieder auf Quirin in Nadelstreifenanzug und rosa Krawatte hinter dem Schalter. Kein Zweifeclass="underline" Quirin hat Costin schon auf den ersten Blick erkannt, obwohl der doch seine Standardverkleidung trägt: Mega-Kim-Jong-Il-Sonnenbrille (gelbgetönt), hochgestellter Anorak-Kragen, in die Stirn gezogenes I love Austria-Cap (auf der PingPongs-Österreich-Tour in Linz gekauft).

Eigentlich wollte Costin ja in die Chamer Filiale der Dresdner Bank gehen, nach Quirin Lothar fragen, der dort, wie er aus dessen letzter SMS von vor zwei Jahren weiß, arbeitet, sich, durch die Verkleidung anonym, bei ihm nach einer Lebensversicherung erkundigen und sich erst am Ende beim Abschluß des Vertrages und der damit verbundenen Nennung des Namens zu erkennen geben. Quirin hätte Augen gemacht.

Während sie im Rigoletto, dem Italiener gegenüber der Filiale, auf das Mittagessen warten, sagt Quirin: „Und — was treibt dich. .“

OK. Jetzt kommt die Standpauke.

Costin sagt: „Mein Vater ist gestorben.“

Quirin ist platt. Costin muß irgendwas sagen, damit in dieser Mittagspause noch ein halbwegs normales Gespräch zustande kommt. Costin fragt: „Ist Marco auch irgendwo?“

Quirin sagt: „Das habe ich ja gar nicht gewußt. Das tut mir sehr leid. Das tut mir leid. Kommst du klar?“

Costin nickt, Quirin soll jetzt mal die Beileidstour beenden und weiterreden.