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„Ja, der Marco“, sagt Quirin, „der Marco ist in Hof, Gymnasium, Geschichte, Deutsch.“

„Sara?“

„Anwaltskanzlei, München.“

„Verheiratet mit Bernd?“

„Mit Christof.“

„Ach ja, Christof. Bernd ist der andere. Sonst irgendwer von unserem Jahrgang hier?

„Nein.“

„Der Tobi? Der Vogt?“

„Der Tobi. Ja.“

„Spacko-Tobi? Echt? Spacko-Tobi?“

Costin macht mit den Armen Verrenkungen und grunzt dazu.

„Ja.“

Quirin lacht kurz.

„Seit dem Studium sind der Tobi und ich eigentlich ganz gut befreundet. In der Schule war der vielleicht bißchen seltsam, aber jetzt ist der voll OK, du weißt schon.“

Pause.

„Und bei deinen Eltern? Alles fit bei deinen Eltern?“

„Ja. Doch.“

„In der Bank?“

„Ja.“

Na super, das läuft ja.

„Freundin?“

„Ich bin verheiratet. Mit der Susi. Wir haben eine kleine Tochter. Die Veronika.“

OK, Costin hat jetzt auch gerade das „R“ zum ersten Mal seit wie lange? Oberpfalzstyle vorne und nicht hinten im Mund gebildet; aber so wie Quirin das „V“ als „F“ ausspricht, wird Costin das nach der Zeit in Berlin nie wieder hinkriegen. Quirin holt seinen Geldbeutel aus der Gesäßtasche. Klar. Foto zeigen. Bisheriger Informationswert des Treffens = null. Quirin hat entweder einen schlechten Tag, ist super eingeschnappt, oder er hat sich krassest verändert. Allerdings nicht vom Aussehen her. Quirin hat tatsächlich seinen Look über die Jahre hinweg beibehalten. Dick und Mecki. Frage: Hatte Quirin immer schon Sommersprossen? Frage: Hatte Quirin immer schon diese Nase (Marke Kartoffel)? Frage: Wer ist Susi?

Das mit der Florian-Geyer-Brücke wird wohl auch nichts werden. Insgeheim hatte Costin ja gehofft, er könne mit Quirin zu einem ihrer alten Lieblingsorte gehen und dort ein paar Erinnerungen aufleben lassen. Früher — in der Siebten? Oder war das in der Achten? — hatten sie dort Brücke oder besser: Die Brücke gespielt. Das war so gekommen: Ihr Geschichtslehrer hatte ihnen, als sie den Zweiten Weltkrieg durchnahmen, erzählt, daß es so einen klassischen Streifen aus den 1950ern gebe über eine Gruppe von Schülern, die in den letzten Kriegstagen eine völlig unwichtige Brücke gegen die heranrückenden Amis verteidigen und dabei alle bis auf einen draufgehen, einer der Antikriegsfilme schlechthin, großes Kino, Die Brücke genannt; und der sei in keinem geringeren Kuhdorf gedreht worden als — Trommelwirbel, stolzes Lächeln, geschwellte Brust — „in unserem Cham“ (O-Ton Geschichtslehrer). Der Schwarzweißfilm, der sich natürlich in Tatas umfangreicher DVDSammlung gefunden und den Costin sich zusammen mit seinen Kumpels angeschaut hatte, war dann zwar alles andere als großes Kino gewesen, vielmehr endlos öde, jedenfalls für einen Teenager; aber er hatte Costin, Quirin, Marco und Co. dazu gebracht, eines Nachmittags in den Sommerferien, mit Spritzpistolen bewaffnet, zur Florian-Geyer-Brücke rüberzuradeln, sozusagen zum Originalschauplatz der Schlacht beziehungsweise des Films.

Costin kann sich nicht mehr erinnern, aus welchem Grund, aber plötzlich waren sie damals mitten dabeigewesen, Szenen aus dem Streifen nachzustellen, Sätze der Schauspieler aufzusagen — erst lachend, dann voll ernst, sie schossen aufeinander. Fast den ganzen Sommer lang war das so gegangen — mit wechselnder Besetzung und mit unterschiedlichem Ausgang: Mal war Quirin oder Marco oder Costin oder irgendein anderer, auf der einen Seite des Ufers, der Ami, mal war einer von ihnen, auf der anderen Seite, Fritz Wepper oder Volker Lechtenbrink gewesen. Mal starben sie bei der Verteidigung der Brücke, mal überlebten sie. Mal gewannen, wie im Original, also im Film, die Amis, mal die Deutschen, und war der Weltkrieg noch nicht zu Ende. Fußgänger, die die Brücke während des Spiels überquerten, wurden miteinbezogen, gehörten, ohne daß sie es wußten, entweder zu der einen oder der anderen Kriegspartei und wurden, unsichtbar oder einige Male auch mit Wasser, erschossen.

Irgendwann in jenem Sommer hatten sie dann aufgehört mit dem Brücke-Spiel, sei es, weil einige von ihnen mit den Eltern in Urlaub fuhren oder weil sich herausstellte — war das in diesem Sommer gewesen, oder hatte Costin das erst nach der Schule irgendwo gehört? — , daß die Florian-Geyer-Brücke ja gar nicht die Florian-Geyer-Brücke aus dem Film war; die Florian-Geyer-Brücke, die im Film gezeigt worden war, war in den 1990ern durch eine neue und nur so ähnlich wie die alte aussehende Florian-Geyer-Brücke ersetzt worden.

Quirin fragt, ob sich nach Jessica für Costin etwas Neues ergeben habe. Susi habe einen Bunte-Artikel gelesen. Außerdem: Wie es jetzt mit den PingPongs weitergehe. Das zweite Album sei ja nicht so gut gelaufen. Was schade sei. Denn ihm, Quirin, habe es besser als das erste gefallen. Es sei von der Musik und den Texten her individueller gewesen. Komme Seema bald wieder aus Indien zurück? Gehe es Uschi schon besser? Schließlich: Quirin habe sich Sorgen gemacht. Als er erfuhr, daß Costin die letzten Monate in Hotels verbracht habe. Auf dem Foto, das er neulich gesehen habe, habe Costin sehr, Entschuldigung, versifft ausgesehen.

Der Quirin, der Quirin. Der Quirin weiß Bescheid. Der Quirin hat sich schlau gemacht. Der Quirin hat Zeitschriften gelesen.

Costin ist platt. Er spielt das alles runter. Ja — Uschi gehe es nach ihrem Reitunfall schon wieder besser, das Bein heile. (Das ist die offizielle Version: Uschi hat gar keinen Reitunfall gehabt. In Wirklichkeit hat sie während der letzten Auftritte die Krise gekriegt, Eßstörung, vor und nach den Auftritten kotzen, kaum mehr ansprechbar et cetera.) Auch Seema befinde sich längst wieder in Deutschland. (Ihr Vater sei in Bombay schwer erkrankt, Krebs, sie habe hinfliegen müssen, hatte es offiziell geheißen. Tatsächlich war Seema, die ja eigentlich Jennifer heißt, nach der letzten Tour nach Manchester zu ihren Eltern geflogen— beide putzmunter übrigens. Die „Postkarten“ mit den „Eindrücken von ‚meinem‘ Indien“, die auf die PingPongs-Homepage gestellt worden waren, inklusive Stadt und Landschaftsaufnahmen, waren in Wirklichkeit, soviel Costin weiß, von einer Mitarbeiterin der Agentur geschrieben worden.) Man plane schon. (Kein Wort davon, daß die PingPongs eigentlich nach dem Mißerfolg des zweiten Albums gedroppt worden sind. Vielleicht noch hier und da ein Charity-Auftritt — Dat wars dann aber auch.)

Costin hebt die Gabel und zieht die Käsefäden seiner Lasagne in die Länge. Interessant, daß das hier, beim Rigoletto, tatsächlich nach wie vor die beste Lasagne ist, die man weit und breit in Deutschland — und Costin war nun wirklich fast überall — bekommen kann. Er hätte ja gedacht, daß es vielleicht in Berlin oder dann in Italien eine Lasagne gibt, die zumindest genauso gut wie die Rigoletto-Lasagne ist. Aber ne. Pustekuchen. Costin hechelt, damit der heiße Käse in seinem Mund abkühlt.

Vor dem Eingang zum Rigoletto, nachdem Quirins Mittagspause fast um war und für Costin eigentlich schon fest stand, daß er ein Revival der Schul-Blutsbruderfreundschaft Costin-Quirin vergessen konnte, hat Costin plötzlich, und ohne daß er es sich vorher überlegt hätte, Quirin mit dem ausgestreckten linken Arm zurückgehalten, den Hals rekkend, nach links und rechts über den Chamer Marktplatz lugend, wo jetzt gerade der Bus nach Furth steht, Costin flüstert mit gerunzelter Stirn: „Vorsicht, Robin, die Gegend hier ist nicht geheuer. Irgendwo kann hier der Joker lauern.“ Quirin (flüsternd, erregt): „Was schlägst du vor, Batman?“ OK. Das heißt: Wie noch zu Schulzeiten, wo sie Szenen aus der 60er-Jahre-Batman-TV-Serie nachspielten, wird Costin Batman und Quirin Robin und damit, wenigstens einmal noch, für die nächsten Sekunden, ganz der alte sein.