Выбрать главу

Costin (nervös): „Schlage vor, wir suchen da drüben im Gebüsch Deckung.“

Quirin (laut): „Heiliger Strohsack. Meinst du denn, wir schaffen es bis dahin, Batman?“

Quirin (Faust in die Hand schlagend): „Wir müssen es versuchen, Robin. Die Zeit wird knapp.“

Quirin (Faust reckend): „Abgemacht. Ich folge dir, Batman. Aber laß uns vorsichtig sein.“

16

Costin liegt auf der rubinrot bezogenen Ottomane, mit der linken Hand hat er ab und zu eine Rebe hochgehalten, von der er dann eine supersüße Traube in den Mund baumeln läßt, plopp! mit den Lippen pflückt. Er hat sich aufgerichtet, eine Bedienung herbeigewinkt und ihr den Blechkelch hingehalten. Die Toga der Bedienung wird an den Schultern von Spangen zusammengehalten, die Riemen ihrer Sandalen sind um die Schienbeine gewickelt. Sie nimmt den Krug von ihrer Schulter, obwohl sie Costin superlieb angeschaut hat, scheint sie ihn nicht erkannt zu haben. Von den Thermen am anderen Ende der Halle, wo ein dicker Bademeister am Beckenrand steht, leider auch in Toga, mit Lorbeerkranz auf dem Kopf, ist Gejohle und Platschen gekommen. Die Bedienung füllt Costins Becher bis zum Rand mit O-Saft-Sekt und geht wieder zurück zur Theke.

17

Er klingelt. Ana öffnet ihm. Er tritt ein, stammelt irgendwas, umarmt Ana und fängt zu weinen an. Die Tür ist hinter ihm mit einem Klick ins Schloß gefallen. Während er jetzt „Das ist alles so schrecklich“ schluchzt, hat er, glaubt er, Rotzbläschen in den Nasenlöchern gehabt, jedenfalls spürt er so was.

Ana hat ihn umarmt, Ana bebt, Ana weint.

In seine Schulter schluchzt sie: „Du kannst dir das ja nicht vorstellen, wie furchtbar das ist, jetzt allein im Ehebett, und ich war doch schon bevor der Tata gestorben ist immer so allein, als ob er schon da nicht mehr gelebt hätte, so oft bin ich da durchs Haus gegangen, die ganze Nacht, und immer wenn ich was gesehen habe, was mich an den Tata erinnert hat, also damals, als er noch gelebt hat, da habe ich das nicht ausgehalten. Ich habe das nicht ausgehalten. Die Bilder, die Sachen, die ihm gehören, die Anzüge im Schrank. Ich habe da nicht mehr hierbleiben können. Mit dem Uli und der Astrid habe ich ja eigentlich auch keinen Kontakt mehr gehabt. Wie denn auch, nach dem, was der Uli dem Tata angetan hat, das war doch nicht in Ordnung gewesen. Ich habe oft stundenlang auf dem Sofa gesessen, allein. Manchmal habe ich ferngesehen, um mich, so gut es eben gegangen ist, abzulenken. Aber das ist ja nur selten gelungen. Und dann Tatas Geiz. Wir haben ja eigentlich sehr viel Geld gehabt, seit die Firma fusioniert ist. Wir hätten uns nicht nur eine Köchin und eine Putzfrau leisten können. Aber nur die Boutique hat er mir erlaubt. Dabei hätten wir ein Schwimmbad haben können, eine Sauna, einen Fitneßraum, ein Ferienhaus, einen Sportwagen, sogar einen Chauffeur, was weiß ich. Uli und Astrid haben das alles gehabt. Die haben das richtig gemacht. Aber der Tata wollte sparen, falls einmal Notzeiten kommen würden. Falls das mit der Börse nicht klappen würde. Davor hat er riesige Angst gehabt und alle mit seinen Sorgen angesteckt. Und dann ist von dir ja auch nichts mehr gekommen. Ich habe nur weggewollt, nach Bukarest. Da habe ich wenigstens noch Verwandtschaft. Ich habe dich verloren gehabt, und ich habe den Tata verloren gehabt. Die wenigen Male, die er dann noch hiergewesen ist, da habe ich es hier nicht ausgehalten, verstehst du das? Weil es ihn da eigentlich nicht mehr für mich gegeben hat. Weil klar gewesen ist, der kommt nicht mehr zurück, hierher, der kommt nicht mehr zu mir. Alles war Schmerz. Als dann die Nachricht gekommen ist, daß der Tata, also, daß der Tata gestorben ist, ich habe da schon keine Träne mehr gehabt. Ich habe nicht mehr weinen können, weil ich schon davor soviel geweint habe.“

18

Costin klingelt. Olaf Erdrich öffnet ihm. Die Tür fällt hinter Costin mit einem Klick ins Schloß. Costin umarmt Olaf Erdrich und fängt zu weinen an. Normalerweise geht ihm ja Olaf Erdrichs Big-Daddy-Gehabe auf die Nerven; wenn der so tut, als kümmere er sich persönlich und nicht etwa die bei ihm angestellten Manager um die jeweiligen Mitglieder der jeweiligen Bands, ihre Wünsche, ihre Sorgen, Beschwerden. Standardantwort bei Telefonaten, sofern man ihn überhaupt erreicht: Mach dir da mal überhaupt keine Sorgen, ich werde mich gleich persönlich darum kümmern; oder wenn Olaf Erdrich, dessen Produktionsfirma nicht zufällig MA (für Music Academy oder genauer: The Music Academy) heißt — auch Mama oder Die Mama genannt —, wenn also Olaf Erdrich bei Treffen einem den Arm um die Schulter legt, einem über den Rücken streichelt, scherzend in den Bauch boxt und auch schon mal auf die Stirn küßt. Im Moment findet es Costin in Olaf Erdrichs Armen und an seiner Brust aber ganz OK so. Costin hat Ana sogar ein bißchen angelogen; er müsse schon früher nach Berlin, er habe einen Anruf von Melanie bekommen, es sei da so eine Tour mit allen bisherigen Popstars in Planung, eine Generations-Tour, die Proben begännen schon nächste Woche, er solle sich sobald wie möglich bei diesem Chef der Produktionsfirma, diesem Olaf Erdrich, Ana kenne ihn ja, melden, er könne auch bei ihm pennen, der habe ja so ein Riesenpenthouse — was so nicht ganz stimmte.

Anruf von Melanie, geplante Tour, Pennen im Penthouse: Ja.

Genauer Termin für Probenbeginn: Nö. Is nich.

Aber Costin mußte weg. So schnell wie möglich diese Bilder von zu Hause aus dem Kopf kriegen: Ana, wie sie weint, wie ihr alles eine Qual ist zur Zeit, dieses Haus, die Stille, dieser Hund und die Details, die da so über Tata ans Licht kommen, das braucht er, Costin, momentan nicht. Vielleicht kann er es später ab, wenn es ihm selbst besser geht. Außerdem kann er ja Ana sowieso nicht helfen, mit dem Verkauf der Firma, der Villa, mit dem Umzug und Pipapo. Diese Rolle übernimmt ein Herr Kauderer.

Olaf Erdrich, der, wenn Costin nicht alles täuscht, selber Tränen in den Augen hat, sagt, Costin könne jetzt entweder was essen oder duschen oder gleich schlafen gehen, ganz wie er wolle, sein Zimmer warte schon auf ihn; natürlich könne er auch noch runter, bißchen ausspannen, wenn ihm danach sei.

Damit alle Künstler, die bei ihm unter Vertrag sind, das Gefühl haben, daß Olaf Erdrich immer ein offenes Ohr für sie hat und daß ihm tatsächlich an ihrem Wohlbefinden gelegen ist, stehen nicht nur die restlichen Zimmer in seinem Penthouse potentiell einsamen, depressiven oder erholungsbedürftigen Bandmitgliedern zur Verfügung. Olaf Erdrich hat die gesamte Etage ein Stockwerk tiefer zu einem Entertainment-Headquarter herrichten lassen, mit allem, was das Herz eines 8- bis 35jährigen Popstars begehrt: Whirlpool, Spielautomaten, Fitneßgeräte, Heimkino mit den neuesten DVDs sowie, für den Introvertierten: eine kleine Bibliothek mit Klassikern in schweinsledergebundenen Jubiläumsausgaben.

Costin möchte vielleicht noch eine Runde am Automaten Autorennen fahren und dann ins Bett. Bevor er sein Gepäck aufs Zimmer bringt, fragt er Olaf Erdrich, ob außer ihm zur Zeit noch jemand in den Gästezimmern sei. Als Olaf Erdrich sagt, daß Paolo von der Popstar-First-Generation gerade ein bißchen Urlaub von seiner Familie mache und sich außerdem auf die Generations-Tour vorbereite, er wohne im Zimmer ganz hinten links, da hat Costin für einen Moment aufgeatmet.

Nicht daß er wirklich an die Gerüchte glaubt, über die die MA-Popstars, spärlich bekleidet, fröstelnd auf ihren Auftritt wartend, in Backstage-Räumen von Kuhdorf-Locations so sprechen, wobei sie nervös an Kippen ziehen: Daß Olaf Erdrich in jedem Zimmer seines MA-Paradieses inklusive am Boden des Whirlpools Kameras installiert hat, durch die er, von einem geheimen und für Unbefugte nicht zugänglichen Kontrollraum im Penthouse aus, diejenigen seiner Schützlinge, die gerade auf Besuch sind, vorzugsweise Jungs bis 25, beobachten kann.