Sein Kopf auf Kissen, Blick in Kamera, über ihm, ernst. NO, lang gedrückt. Soll wirklich gelöscht werden? NO, NO. Soll Bild wiederhergestellt werden? Yes. Bild wieder hergestellt. Yes.
Britta, Kopf zur Seite gedreht, auf Kissen, Augen geschlossen, Mund offen, schlafend. Yes.
Umut, Kopf zur Seite gedreht, auf Kissen, Augen geschlossen, Mund offen, schlafend. Yes.
Sein Kopf auf Kissen, Gesicht verheult, Augen zusammengekniffen, Speichelfäden zwischen geöffneten Lippen. NO, lang gedrückt. Soll wirklich gelöscht werden? Yes. Gelöscht. Yes.
Der in Terrassen abgestufte Pausenhof. Yes.
Quirins Gesicht neben dem seinem. Yes.
Sein Gesicht, Blick in Kamera vor ihm. Yes.
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Das Bild da jetzt kommt ihm doch bekannt vor. In der Spiegelwand sieht er, daß sie gerade dabei sind, zum ersten Mal seit ihrem Break-up, die Choreo zu ihrer allerersten Single, Equinox, total synchron hinzubekommen. Seema hat wieder ihr Normalgewicht, tatsächlich nur Training oder doch Absaugen? that’s the question; Uschi, gut, Uschi war schon immer schlank, aber sie sieht, glaubt er, in diesem Moment, Pferdeschwanz schwingend, ausgestreckter Zeigefinger, genauso aus wie früher, ebenso Wylie, Respekt, 10 Pfund in zwei Wochen; nur wenn jetzt sein, Costins, Blick auf sich selber fällt, dann fragt er sich allerdings schon, ob er bei der Anweisung Melanies, vom Outfit her möglichst so auszusehen wie beim ersten Album — man wolle kein Risiko beim Gedächtnis der Fans eingehen —, nicht doch ein Veto hätte einlegen sollen; die letzten vier Jahre haben eben Spuren hinterlassen (siehe Ansatz zum Doppelkinn); und jetzt so zu tun, als wäre er noch 27? Marke: relativ peinlich.
Ihre Sohlen haben bei der 180-Grad-Drehung, weg vom Spiegel, unisono gequietscht. Auch daß Umpf! Tanzcoach diverser Popstar-Generationen,von denen er denSpitznamen Nazi-Umpf! und Schinder-Umpf! erhalten hat, genau in diesem Moment seinen Anfall kriegt, ist letztlich absehbar gewesen. Während Equinox weiterläuft, Uschi auf der CD gerade ihren Part in der letzten Strophe singt, ist Costin Zeuge eines krassen Umpf! — Déjà-vus geworden; die Szene, die sich gerade vor seinen Augen abspielt, hatte so schon mal vor ihrer ersten Tour stattgefunden.
Seema war stumm rausgelaufen, Umpf! hinterher, Seema weiter anbrüllend, wie dann in der Folge im Fernsehen zu sehen gewesen war, Costin war ja mit den anderen im Proberaum geblieben, Seema hatte geweint, Umpf! hatte plötzlich auch geweint, sie hatten sich in den Armen gelegen, Umpf! hatte gesagt, er müsse das machen, auch wenn es ihm weh tue; es tue ihm selber hier drin (Zeigefinger auf Herz) weh, wenn er seine Kiddies so anbrüllen müsse, hat er später im anschließenden Interview in der Folge im Fernsehen gesagt. Umpf! wäre nicht Umpf! und hätte es nie zumInhaber zahlreicher über Deutschland verteilterUmpf! — Tanzstudios gebracht, in denen die Coaches den Teens im Umpf! — Look (Glatze, weite weiße Hose, Army-Top) die neuesten Choreos der aktuellen Bands eindrillen, wenn Umpf! jetzt nicht den prototypischen und mittlerweile als Motivationstraining auf DVD vermarkteten Umpf! — Anfall bekommen würde.
Umpf! (obligatorische Schweißtropfen auf der Glatze, brüllend): „Ja, Seema! Bist wohl noch immer in Indien! So schwerfällig wie’n Elefant dreht die sich um! Hey, aufwachen, Mädchen! In zwei Wochen ist Auftritt! Hey, ich glaub’s nicht!“
Seema (ab, stumm)
Umpf! (ab, Seema hinterherbrüllend)
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Die Stimmung ist gut. Die Party scheint ein Erfolg zu sein. Costin macht mal kurz auf Matrix. Der 360-Grad-Schwenk: Hinter dem schwarzen Sofa standen vorhin, als er sich umgedreht hat, Paolo, der mit richtigem Namen Antonio heißt, Dick, der, soviel Costin weiß, tatsächlich Dick heißt, Kundry alias Petra und Tosca alias Agata, alias die Sternschnuppen, alias die allererste Generation, die Mamas and Papas sozusagen, am offenen Fenster, frische Luft war hereingezogen. Es ist bekannt, daß zumindest Paolo und Kundry mittlerweile Familie haben und daß Kundry sich jetzt wieder Petra nennt. Nur noch Tosca ist, soviel Costin weiß, im Musik-Business tätig. Costin, der vorhin mit einem Ohr gehört hat, wie Petra von ihrem Sohn erzählte, kann sich kaum vorstellen, wie die vier, auch wenn sie in Popstar-Kreisen mittlerweile als Legenden aus einer Zeit gelten, als der Markt noch nicht übersättigt und ergo die Welt des Castings noch in Ordnung war, in knapp drei Wochen auftreten sollen. Werden sie nach all den Jahren noch die Credibility besitzen, die sie brauchen, um ihre Songs von damals rüberzubringen? Im Moment machen sie eher den Eindruck, als wäre die ganze Generations-Tour so etwas wie eine einmalige Gaudi, eine Faschingsveranstaltung, nichts, was man ernst nehmen müßte jedenfalls.
Schwenk zur Seite: In der Ecke rechts schräg gegenüber vom Sofa unter der großen in einen blauen Mantel gehüllten Madonnenstatue, die Olaf, wie er immer wieder erzählt hat, vor vielen Jahren von einer aus Verehrung für Benedikt XVI. unternommenen Wallfahrt nach Altötting mitgebracht hatte, und die ihr Gesicht, während ihr unter dem Mantel sichtbares rotes Herz von einem Dolch durchbohrt wird, zum Himmel blickend vor Schmerz verzerrt, sitzt Lasse zusammen mit Hubert und Hubert, die eigentlich Heiner und Peter heißen, auf dem Boden und wippt mit dem Kopf zu dem Song, den die beiden auf ihren Gitarren schrummen.
Es ist ein offenes Geheimnis, daß Hubert und Hubert, obwohl sie in der siebten Staffel gecastet worden waren, wo explizit auf Songwriting-abilities Wert gelegt wurde, zwar in der Sendung ihre Instrumente tatsächlich auch selber spielten — daß aber die Songs, die offiziell als von ihnen geschrieben ausgegeben wurden, in Wirklichkeit vom vielbeschäftigten Gustav „the Word“ M. stammen und daß er Hubert und Hubert die angeblich autobiografischen Texte über Kindheit, Schulzeit, das erste Mal et cetera in den Mund gelegt hatte, wobei es sich wohl eher um die Erlebnisse von Gustav „the Word“ M. handelte als um die Huberts und Huberts.
Rosa, das war der Titel ihrer ersten Single gewesen, die nicht zuletzt auch, weil allgemein verbreitet wurde, es handele sich um Huberts — also Heiners — erste unglückliche Liebe, Hubert sei seitdem psychisch labil, einen Dezember lang das Lieblingslied all derer gewesen war, die etwas Ähnliches wie Hubert erlebt hatten, sprich gerade eine Trennung durchmachten, so auch Andreas, Costins Arbeitskollege in der Sparkasse in Regensburg, der das Lied, immer wenn er vor seinem Computer saß, mit aufgerissenen Augen und ins Leere gehendem Blick, vor sich hin summte, als sei er auf Repeat gestellt worden. Diese Rosa hatte allerdings, wie Costin, Jahre später, auf einer Party erfuhr, wo er Hubert alias Heiner traf, nie existiert, vielmehr hatte Hubert alias Heiner von Anfang an, schon zu Realschulzeiten jede Frau genagelt, die ihm über den Weg gelaufen war. Inzwischen, nachdem Hubert und Hubert von der Plattenfirma gedroppt worden sind, schreiben sie ihre Songs tatsächlich selbst, wobei ihre Musik und Texte weiterhin sehr stark nach Gustav „the Word“ M. klingen. Allerdings hat es seitdem keiner ihrer Songs in die Charts geschafft.
Blick geradeaus: Auf dem schwarzen Ledersofa gegenüber von Costin sitzen Olaf und das B von A, B, C, die Popstar-Band, die unmittelbar nach den PingPongs gecastet worden war. Olaf ist sehr nah an das B herangerückt, er hat, während er auf das B einredet, den Kopf in den Nacken gelegt, eine Falte des dicken Nackens hängt über den Kragen seines schwarzen Hemds. Seine Augen sind geschlossen, manchmal hebt er die Hand, wohl um etwas zu betonen; seine schulterlangen und nach hinten gekämmten grauen Haare sind etwas fettig.