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Jetzt lachen Olaf und das B.

Jetzt legt Olaf die Hand auf den Arm des Bs und spricht weiter in sein Ohr.

Obwohl er laut gegen die Geräuschkulisse aus exaltierten Schreien, Baß und Flipperpiepen anreden muß, die vom Stockwerk drunter, aus dem Entertainment-HQ hochdringt, wo der andere Teil der Party mit den restlichen Popstar-Bands stattfindet, ist nicht zu verstehen, was Olaf sagt. Costin hat wieder auf Ronja von den Schwestern geschaut, die noch immer mit ihrem Kopf auf seinem Schoß liegt. An ihrem gleichmäßigen Atem und ihren entspannten Zügen sieht er, daß sie eingenickt ist.

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Die Gruppe fährt zusammen mit den anderen Gruppen in einem der drei Popstar-Generations-Tour-Busse von Auftritt zu Auftritt. Die Popstar-Generations-Tour-Busse sind mit dem Schriftzug Popstar-Generations-Tour gebrandet. Die Gruppen haben ein Fotoshooting. Die Gruppe lacht mit den anderen Gruppen. Die Gruppe gibt Autogramme auf ihr Foto. In Kassel schläft X mit Uschi, X mit X, X mit X und Costin mit Seema. Die Gruppe nimmt einen Termin wahr. In Braunschweig schläft X mit X, X mit X und Costin mit X. Olaf sagt den Gruppen, daß der Kartenverkauf nicht laufe. Die Gruppe macht sich Sorgen. Die Gruppe redet über ihre Zukunft. Was wenn. Die Gruppe gibt ein Interview. X braucht ihre circa 30 cm große Stoffmaus aus der Sendung mit der Maus, um einschlafen zu können. Die Gruppe ißt. In Bielefeld schläft X mit X, X mit X, Seema mit X und Costin mit Uschi. Die Gruppe hat interne Probleme. Die Gruppe nimmt einen Termin wahr. Die Gruppe sagt: „Wir verstehen uns.“ Die Gruppe hat einen Auftritt im Kinderkanal. Uschi hat sich im Klo eingesperrt und kotzt. Die Gruppe hat einen freien Tag. Die Gruppe geht in den Zoo. Ein Kamerateam des lokalen Fernsehsenders begleitet sie. Die Gruppe streichelt Ziegen. Olaf sagt der Gruppe, daß die Plattenfirma kein neues Album mit ihr machen wolle. Die Gruppe gibt ihr letztes Konzert. Uschi hat sich im Klo eingesperrt und kotzt. Wylie sitzt in der Garderobe und bewegt seinen Kopf im Kreis, um die Nackenmuskeln zu entspannen. Seema steht auf dem Gang und knutscht mit X. Costin steht in der Toilette vor dem Spiegel und trägt Lidschatten auf.

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Die Stimmung ist gut. Die Party ist ein Erfolg.

Costin macht jetzt mal kurz auf Matrix. Der 360-Grad-Schwenk:

Gegenüber des schwarzen Ledersofas, auf dem er sitzt, vor dem offenen Fenster, unterhält sich Wylie gerade mit dem Jungen und den beiden Mädchen, mit denen er seit einem Monat in einer Band ist. Das eine Mädchen ist Inderin. Wylie hat sich mit der Hand auf die Schulter des Jungen gestützt. Vom Fenster ist ein frischer Luftzug gekommen. Auf dem schwarzen Ledersofa vor dem Fenster sitzt Lasse, der sich jetzt, soviel Costin weiß, nicht nur Claudio nennt und im letzten Jahr endlich in Stimmbruch gekommen ist, sondern auch einen 180-Grad-Imagewechsel vom Kinderstar mit Ach-wie-süß-Faktor zum Romeo mit Sex-Appeal — siehe den weißen Anzug, die Elvis-Koteletten und die durch Kettenrauchen um mindestens eine Terz gesenkte Stimme — durchgemacht hat, oder kurz, wie der Titel des Popcorn-Interviews lautete: „Lasse: Bin jetzt erwachsen.“ Lasses beziehungsweise Claudios Körperhaltung — Oberkörper vorgebeugt, Arm auf der Rückenlehne, Beine übereinandergeschlagen — verrät, daß er wohl gleich die Frau neben ihm umarmen und/oder küssen wird, bei der es sich, kann ja wohl nicht sein, ist aber so, trust your eyes, Costin, um die Ex-Mega-Perle MiezMiez handelt.

MiezMiez, die vor fünf Jahren oder so diesen Hit hatte, wo alles sonst auf deutsch, der Refrain aber chinesisch war, weil doch da gerade dieser China-Hype war — China war da ja auf angeblich einstimmigen Beschluß der Regierung zum Wohl des Volkes offiziell zur Demokratie geworden, alle sahen diese chinesische Soap, Wenzuoh, alle lasen chinesische Bücher, in den Clubs spielte man die aktuellen chinesischen Top Ten rauf und runter; MiezMiez, die, nachdem ihre Plattenfirma sie gedroppt hatte, komplett von der Bildfläche verschwunden war; MiezMiez, die, so Olaf, jetzt noch ein Jahr warten müsse, bis der China-Hype inklusive MiezMiez endgültig vergessen ist, damit sie etwas Neues starten könne, weil sie sonst auf ewig mit dem China-Ding assoziiert werden würde. MiezMiez, die bis dahin, bis der China-Hype inklusive ihrer endgültig vergessen ist, also noch so ein Jahr, sagt Olaf, in Olafs Gästezimmer wohnen und warten wird. MiezMiez sieht in ihrem Kleid, das vielleicht auch nur ein Negligé ist, wer weiß, sie wohnt ja schließlich hier, verdammt scharf aus. Claudio alias Lasse oder Heintje, wie er neuerdings in Popstar-Kreisen genannt wird, muß ja ganz verwirrt sein; MiezMiez, die zwar diesen asiatischen Touch hat, weil ihr Vater aus Japan oder Thailand kommt, die aber in Berlin aufgewachsen ist, könnte ja vom Alter her zumindest Claudios alias Lasses große Schwester, wenn nicht sogar seine junggebliebene Mutter sein.

Schwenk zur Seite: In der Ecke neben dem schwarzen Sofa sitzen sich zwei Jungs im Schneidersitz gegenüber. Sie spielen Gitarre, was aber wegen des Lärms, der von unten aus dem Entertainment-HQ kommt — Baß, dumpf, Lachen, exaltierte Schreie, Flippergeräusche —, nicht zu hören ist. Costin meint, die beiden schon einmal gesehen zu haben, kann sich aber nicht erinnern, wo. Nein, er kennt sie nicht. An der Wand über ihnen hängen zwei Kupferstiche. Costin weiß, was es mit ihnen auf sich hat. Die Umstände, wie es dazu kam, hatten dazu geführt, daß Costin jetzt mehr über Olaf weiß als das, was irgendwie jeder weiß, die offizielle Bio, die auch auf der Homepage steht, Olaf Erdrich gründet Anfang der 90er in Berlin seine Firma, ist innerhalb weniger Jahre ganz oben, keine Frau blabla, daneben die üblichen Gerüchte, Olaf Erdrich sei a) schwul, b) pädophil, c) polygam, d) impotent.

Es war vor ein paar Wochen gewesen, da hatte Olaf Costin in der Nacht angerufen, schluchzend, das war die erste Überraschung gewesen, denn bis dahin hatte Costin Olaf so noch nie erlebt, so total bloß, emotional nackt sozusagen. Die zweite Überraschung war, daß Olafs Vater gestorben war. Also nicht unbedingt die Nachricht vom Todesfall machte Costin für ein paar Sekunden sprachlos, bevor ihm die für die Situation angemessenen Sätze einfielen — Nein, das ist ja furchtbar, wie ist das passiert, wie geht’s dir jetzt, bist du in Ordnung —, sondern, so lächerlich ihm dann seine Verwunderung darüber erschien, daß Olaf, der ja schließlich gegenüber ihnen, seinen Künstlern, oder, wie Olaf sagte, seinen Kindern, immer auf die Big-Daddy-Tour machte, überhaupt selbst einen Vater besessen hatte. Olafs Vater hatte in Toronto gelebt und war gebürtiger Kanadier, wie Olaf dann am Telefon erzählte, weinend, und Costin überlegte, was zum Geier Olaf dazu bewog, gerade ihm, Costin, einem unter doch wahrscheinlich vielen Bekannten, und nicht einmal ein Freund, das alles zu erzählen.

Olaf hatte seinen Vater seit seiner Kindheit, als er zusammen mit seiner Mutter, einer Deutschen, nach Berlin gezogen war, nicht mehr gesehen. Weder er, der Vater, noch Olaf hatten jemals versucht, in Kontakt zu treten. Etwas mußte wohl vorgefallen sein während Olafs Kindheit, Costin wollte da nicht nachfragen, aber irgendwas Großes, das spürte Costin in seinem Hotelbett, hatte da im Raum gestanden, denn Olaf schluchzte zwar weiter, hatte aber in der Gesprächspause „Asshole“ und „dieser Dreckskerl“ gestammelt. Das Telefonat hatte damit geendet, daß Olaf Costin sagte, er werde die nächsten Tage in Toronto sein, um die Erbschaft zu regeln, und er danke ihm, daß er für ihn da sei.

Costin war sich, nachdem er sein Handy auf den Nachttisch gelegt hatte und dann so im Bett lag, Blick auf die Zimmerdecke, plötzlich nach ein paar Minuten nicht mehr hundertprozentig sicher gewesen, ob das jetzt gerade wirklich passiert oder ob das nur so ein super-intensiver Flash gewesen war, so absurd und peinlich hatte sich das da eben angefühlt. Als er im Lauf der folgenden Wochen den üblichen Verdächtigen, das heißt anderen aus dem Popstar-Stall, über den Weg lief, stellte sich heraus, daß sie von der ganzen Sache mit Olaf gar keine Ahnung hatten. Der Grund, warum Olaf zur Zeit nicht erreichbar sei, bestand für sie darin, daß er auf einer Messe in Moskau sei. Toronto? Beerdigung? Vater? Olaf Erdrich und Vater? Hä? Costin hatte langsam realisiert, daß Olaf tatsächlich nur ihm vom Todesfall seines Vaters erzählt hatte, so daß Costin es dann auch unterließ, die anderen darin einzuweihen.