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Folgerung aus Olafs Anruf Number one: Olaf hat sich daran erinnert, wie Costin hier bei ihm auftauchte, als sein, Costins, Vater gestorben war. Olaf mußte annehmen, daß Costin, weil er schon einmal in derselben Situation gewesen war, Olaf und alles, was er gerade durchmacht, versteht. Number two: Olaf hat außer Costin niemanden, dem er das sagen beziehungsweise der seine Gefühle nachvollziehen möchte beziehungsweise könnte. Number three: Olaf ist (unglaublich!) ’ne arme Sau. (Costin schenkt sich Number four: Olaf steht auf Costin.)

Bei seinem ersten Besuch nach Olafs Kanada-Reise hatten Kupferstiche an der Wand gehangen, Ansichten eines Städtchens, Toronto-City 1885 hatte darunter gestanden. Olaf hatte Costin zur Begrüßung umarmt, dann so getan, als sei gar nichts geschehen, immer wenn Costin dann das Gespräch auf Kanada lenken wollte, war Olaf ihm ausgewichen, es schien ihm unangenehm zu sein, daß er Costin soviel von sich verraten hatte, auch zu den Kupferstichen sagte Olaf nichts weiter. Weil Costin davon ausging, daß Olaf in Toronto nicht die Zeit hatte, Andenken zu kaufen, hatte die Annahme nahegelegen, daß es sich um Erbstücke handelt. Costin hat sich wieder auf dem schwarzen Ledersofa zur Seite, zu Olaf gedreht, der die ganze Zeit über auf ihn eingeredet hat, ohne daß Costin ihm wirklich zugehört hätte. Olaf ist sehr nah an Costin gerückt, er hat den Kopf in den Nacken gelegt, seine Augen sind geschlossen, manchmal hebt er die Hand, um etwas zu betonen, sein schulterlanges nach hinten gekämmtes graues Haar ist etwas fettig, und auch eine Rasur wäre mal wieder fällig.

Und das müsse er, Olaf, ihm noch erzählen, das sei der Hammer, das sei jetzt witzig, also, der Opa, der bei ihm im Haus wohne, den habe er sicher auch schon einmal im Treppenhaus getroffen — Costin weiß, was jetzt kommt, Olaf erzählt diese Geschichte irgendwie ständig, und nicht nur ihm, sondern auch den anderen Popstars, neulich hat er noch mit Shaneela darüber geredet. Hat dir Olaf auch diese Geschichte erzählt? Ja. Jetzt schon zum dritten Mal —, der trage immer so ein kariertes Hütchen, manchmal habe er auch einen Stock, und — Achtung! — er habe immer so einen kackfarbenen Anorak an, ob Sommer oder Winter, total egal für den, also, Olaf beugt sich näher an Costins Ohr, so daß Costin Olafs Mundgeruch, ein Gemisch aus Zigaretten und Käsecrackers, in der Nase hat, eines Tages also klingele es bei ihm, fährt Olaf fort, es sei Samstag abend, er denke sich noch, wer klingelt bei mir denn am Samstag abend, er geht zur Tür, macht die Tür auf, wer steht vor der Tür? Der Opa, weißes Shirt, weiße Shorts, weiße Söckchen, Turnschuhe und — Achtung! — weißes Stirnband um die Glatze. Und was sage der Opa? Costin hat zu lächeln begonnen und sagt mit Greisenstimme: „Ja, hallo, Herr Erdrich“, Olaf prustet los: „Genau. Ja, hallo, Herr Erdrich, ich bin ihr Nachbar, ich wollte Sie da mal was schon seit geraumer Zeit — geraumer Zeit! — fragen, wo Sie doch bei diesem Management sind.“ Costin kichert, sagt: „Ich würde mich gern. .“, Olaf fällt ein, gleichzeitig sagen sie, Costin, Olaf, synchron: „. . Ihrem Management zur Verfügung stellen.“ Olaf: Als was? Der Opa: Als Künstler. Er, Olaf: Als Künstler? Er, der Opa: Ja. Er singe. Er könne auch tanzen. Er trainiere. Bei sich zu Hause. An Geräten. Olaf solle jetzt mal aufpassen. Und da pumpe sich der Opa vor Olaf auf. Die kleinen Bizeps-Bällchen seien in die Höhe gesprungen. „So plopp-plopp“, sagt Costin.

„So plopp-plopp“, bestätigt Olaf schnell, wobei sich seine Stimme überschlägt.

Costin und Olaf lachen.

Olaf legt die Hand auf Costins Arm, seine Augen sind immer noch geschlossen. Jetzt mal was anderes, er habe da schon ein paar Ideen, konkrete Ideen, was Costin tun könne, Costin solle sich keinen Kopf machen, er, Olaf, habe doch die Kontakte, er wisse natürlich, wie Costin sich jetzt so fühle, er habe es schon bei so vielen vor ihm erlebt, das Loch, in das man falle, wenn es mit der Band endgültig aus sei, aber es gebe da verschiedenes, was er momentan für Costin sehe.

26

Von der Anhöhe, auf die sie gestiegen sind, kann man jetzt die flache rote Wüste des Mars bis zum Horizont überblikken.

Costin atmet zweimal laut ein, aus, sagt: „Das ist überwältigend.“

Vladimir, der ebenfalls in die Ferne schaut, öffnet den Mund.

Sören sagt mit russischem Akzent: „Das entschädigt einen wirklich für die ganze Mühe.“

Zu spät.

Vladimirs Mundbewegung und Sörens Stimme waren nicht synchron, aus der Regie ist von Toni, von dem hinter der Glaswand nur der von der Leselampe erhellte Gesichtsausschnitt sichtbar ist, die Anweisung gekommen, die Szene noch mal zu wiederholen.

Costin hat langsam echt das Gefühl, seinen Text besser vorbereitet zu haben als Sören den seinen, obwohl doch Sören hier der Profi ist, Sören ist die Stimme von Kent Foster, Jude Afro und dem alten Eddie Murphy. Also noch mal die Aussicht über die Marswüste. Costin atmet schwer, was später im fertig synchronisierten Film wie das Atmen durch ein Sauerstoffgerät, Marke 2001, klingen wird.

Er schaut noch mal sicherheitshalber auf den am unteren Bildrand eingeblendeten Text und sagt: „Das ist überwältigend.“

Sörens Stimme hat mit den Lippenbewegungen Vladimirs „Das entschädigt einen wirklich für die ganze Mühe“ gesagt.

Schnitt.

Astronauten Wolfgang Reinhard (Stimme: Costin) und Vladimir „Wodka“ Mravinsky (Stimme: Sören) steigen die Anhöhe herab.

Bei Aufnahmen wie diesen jetzt kann man tatsächlich nicht sehen, denkt Costin, daß der ganze Film Mission Universe inklusive der Figuren — eine internationale Gruppe von Astronauten, die bis zum Saturn fliegt — computeranimiert ist. Als bis dato „realitätsgetreueste filmische Darstellung“ (Presseankündung) einer innerhalb der nächsten 100 Jahre vielleicht schon möglichen Erkundung des Alls wird dann das Ganze in den IMAX-Kinos laufen.

Costin muß noch immer aufpassen, daß er nicht plötzlich in die Stimmlage seiner allerersten Rolle fällt (rollendes R, pseudo-französische Aussprache), die er vor drei Monaten gesprochen und in die er sich vielleicht, jetzt im nachhinein betrachtet, ein bißchen zu sehr reingesteigert hatte. Schließlich war aber der Dr. Goebbels in der europäischen Koproduktion Hitler — Der Zeichentrickfilm die Chance gewesen, auf die er gewartet hatte und die er keinesfalls vermasseln wollte. Über die Vermittlung Olafs, der eine Bekannte in den Synchronstudios von Babelsberg hatte — nach dem Erfolg der letzten Jahre auch Babelwood genannt —, hatte Costin als Dr. Goebbels vorsprechen dürfen. Würde er den Dr. Goebbels bekommen und dann der Film ein Erfolg werden, hätte er den Sprung ins ernste Fach, zumindest vorerst, geschafft, ein für allemal vorbei dieser PingPongs-Kinder-Krimskrams. Costin hatte sich sämtliche Bild- und Tonaufnahmen von Goebbels übers Internet bestellt und sein Apartment in Wedding damit beschallt, hatte sämtliche Lektionen, an die er sich noch vom Popstar-Sprechtraining erinnerte, beherzigt und war, das Skript laut rezitierend, im Zimmer auf- und abgegangen, hatte am Ende gehinkt. War Costin am ersten Aufnahmetag, als er bei der Vorbesprechung den Stimmen Hitlers, Eva Brauns, Himmlers und so weiter die Hand schüttelte — lauter, wie er sich hatte sagen lassen, bekannte Synchronsprecher —, noch etwas nervös gewesen, legte sich die Aufregung mit den ersten Bildern, die dann über den Bildschirm im Studio flimmerten und auf denen alle Figuren statt bereits fertige Gesichter lediglich weiße Flecken besaßen: DieMimik würde erst später den Stimmen der Sprecher entsprechend gezeichnet werden, so daß die Sprecher letztlich in der Gestaltung ihrer Rolle Freiheit zur individuellen Gestaltung hatten.