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Tante Maria steckt die Hand in die Gummibärchenpackung. Tante Maria wird sagen, daß sie früher, als Jugendliche, manchmal von Gummibärchen geträumt habe. Tante Maria sagt, es sei schon seltsam, früher, als Jugendliche, da habe sie sich so Süßigkeiten immer gewünscht, die waren so unerreichbar, und jetzt gebe es sie in jedem Supermarkt hier, in Bukarest, gleich nebenan, manchmal habe sie, Tante Maria, sogar von Gummibärchen geträumt.

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Der Rumänien-Ferien-Costin, das wird Costin in diesem Moment klar, wo er in der Las-Vegas-Bar in Bukarest — gefühlte Uhrzeit: nach zwölf — seinem sehr entfernt, keine Ahnung wie weit entfernt, verwandten Cousin Tudor gegenübersitzt, den Rumänien-Ferien-Costin gibts nicht mehr, der ist tot. Und es würde Costin nicht wundern, wenn tatsächlich in dieser Sekunde eine aufleuchtende Glühlampe über seinem Kopf erschiene, Marke: Ich hab’s! Wenn Costin alias damals noch der Rumänien-Ferien-Costin mit Ana vor seiner PingPongs-Zeit hierher gekommen war, hatte er jedenfalls tierisch Spaß daran gehabt, Tudor sein damals noch zukünftiges, jetzt mittlerweile zurückliegendes Leben als Popstar auszumalen, den Glamour; nun vermeidet er die Themen PingPongs, CO et cetera trotz Tudors beharrlichem Nachfragen (siehe gerade eben). Gleichzeitig ist es vorbei mit den Stories, die der Rumänien-Ferien-Costin dann wieder zu Hause, also in Deutschland, also in Cham, Quirin, Marco und Sara von nicht unbedingt wahren, dafür aber trotzdem glaubwürdigen — hey! Das ist eben Rumänien, Leute! — Abenteuern (kraß — vor unserem Haus war ’ne Schießerei, beziehungsweise: boah! — , da lag ein Toter auf der Straße. Echt erschossen. Voll die Mafia da in Bukarest beziehungsweise:. . und dann kam da der Zigeunertreck durch die Stadt gezogen, mit Planwagen, Rumänien ist Dritte Welt, Leute, ich sags euch et cetera) und Geheimtips (rumänische Folklore mit DJ, voll abgefahren, das wird der neue Trend, denkt daran, beziehungsweise: Da gibts noch Cafés und Restaurants von vor dem Zweiten Weltkrieg, ohne daß da was verändert wurde, hey wirklich) erzählte, die meisten typischen rumänischen Lokale sind umgebaut worden (siehe Las-Vegas-Bar), die Zeit für rumänische Geheimtips ist nach dem Hype vor fünf Jahren oder so, als plötzlich überall in Deutschland rumänische Musik gehört, rumänisches Essen gegessen wurde und Kids zwischen 16 und 25 Wert darauf legten, daß auf ihrer Kleidung Made in Romania stand, ist vorbei, außerdem existiert ja niemand, dem Costin das alles erzählen könnte (Problem numero uno), zu Hause (Problem numero due) — äh? Wo? Cham? Berlin? Bukarest? Voilà.

Nicht einmal mehr Tudor, der, von der grünen Lampe über dem Tisch beschienen, gerade stumm die Hände auf dem Tisch gefaltet hat, gibt auch nur ansatzweise Stoff für die — frei erfundenen — (Abenteuer-)Geschichten her, als deren Held er sich noch zu Costins Gymnasialzeiten unter dem Namen Cousin Tudor bei Costins Freunden und sogar bei Tata einer gewissen Beliebtheit erfreute: Cousin Tudor dealt, Cousin Tudor fährt mit einem Opel, Jahrgang 81, nach Moskau, den Kofferraum voll Gras. Und jetzt? Tudor, verheiratet, Tochter, Job als Elektroingenieur, Brille.

Es gebe da noch eine Sache in Rumänien, die Costin reizen würde, bevor er abhaut und die peinlichen Versuche, hier eine Karriere als Sänger zu starten, so schnell wie möglich vergißt, it never happened — Song von? — , Konstanza, diese Stadt am Schwarzen Meer — klingt doch gut, oder? also als TV-Fantasy-Serie zum Beispiel —, da will Costin noch einmal hin, da war er schon mal, mit sechs oder sieben oder so, es gibt dieses Video von Ana, wie er eine Straße entlanggeht mit so, ja, keine Ahnung, wie das hier heißt, Gründerzeit? — Fassaden, weiß, mit Ornamenten, auf einer Bank hockt, eine Strandpromenade und das Meer natürlich, sehr hell das alles, die Sonne glitzert, ja, da will er noch mal hin, bevor er zurück zu MA geht, also zu Olaf und Co.

Tudor hat Costin eine Frage gestellt, schon eine ganze Weile zuvor, Costin hat sie nicht verstanden und sagt jetzt erst „Wie bitte?“, dann, sich schnell verbessernd, „Ce?“

Ob er schon einmal auf Mallorca gewesen sei.

Costin hat das bejaht und dann zu erzählen angefangen, wie es so auf Mallorca aussehe. Tatsächlich hat er aber totalen Bullshit geredet, weil er, das hat er, ohne sich dann zu korrigieren, bemerkt, ziemlich genau das Strandbad am Großen Wannsee und die Fahrt mit dem Dampfer zur Pfaueninsel beschreibt.

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Er geht die Straße entlang, die weißen Fassaden der Häuser erinnern an Gebäude der Gründerzeit. An der Strandpromenade sitzt er auf einer Bank. Er schaut auf das Meer. Die Wellen glitzern in der Sonne.

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Beim Atmen haben sich vor seinem Mund kleine Dunstwölkchen wie Sprechblasen gebildet. Costin entscheidet sich für die dürre Fichte vor ihm, setzt die Axt ab, holt aus und schlägt sie in den Stamm. Aylin hat sich gebückt, um Reisig zu sammeln. Keine Frage: Der braune Leinenkittel mit der weißen Schürze und das rote Kopftuch stehen ihr, und natürlich hat sie es sich auch nicht nehmen lassen, unter dem Kittel irgend so einen Spitzenunterrock anzuziehen, dessen Rand jetzt plötzlich hervorschaut. Costin schultert den Stamm der Fichte und trägt ihn zum Leiterwagen.

Dieter schichtet gerade Holzscheite darauf, und Costin kann nur hoffen, daß er selbst in seinen, also Costins, kurzen Lederhosen, seinem Leinenhemd und seinen Haferlschuhen eine bessere Figur macht als Dieter. Spiegel in der Hütte ist ja nicht.

Auch Aylin legt ihr Reisigbündel auf den Leiterwagen, stemmt die Hände in die Hüften, sagt „Puh“ und „Also das mit dem Schlachten, hey, also daß ich heute da mitmache und mit euch dieses Schwein schlachte, also, daß überhaupt der Rudi geschlachtet wird, das könnt ihr ja knicken.“

Dieter widerspricht: „Vor 150 Jahren, Aylin, da haben sich die Leute auch nichts geschissen. Schlachten ist etwas ganz normales. Das gehört zum Leben auf der Alm und überhaupt so auch sonst dazu.“

Costin hält sich da diesmal raus, denkt sich aber natürlich seinen Teil; daß zum Beispiel das ja so klar war, daß Aylin, Ex-Kika-Moderatorin und Oktober-Playboy-Bunny (siehe Ex-Kika-Moderatorin!), das Leben hier auf der Alm wesentlich schlechter wegsteckt als das Stehaufmännchen Dieter, der mal als Comedian lange vor Costins Zeit Erfolg hatte, Costin kennt ihn nur aus ein paar Schwarzweiß-TVSketchen, die manchmal zu Silvester laufen, daß Dieter überhaupt noch lebt, hatte er gar nicht gewußt. Diese Schiene — Aylin: Frau Etepetete, Ich-bin-sensibel, Zickzick, Dieter: Mr. Schlechte-Witze-am-laufenden-Band, har, har — sind die beiden schon bei der Vorbesprechung mit den anderen gefahren, die Schiene fahren sie auch jetzt —, egal, ob mit Kamera, so wie jetzt, oder ohne.

Costin selbst, der ja, wie ihm jetzt auffällt, tatsächlich für einen Moment den Kameramann direkt neben sich eigentlich total vergessen hatte, hat sich ja, als die Show losging vor einem Monat, ein bißchen an seine PingPongs-Casting-Zeit erinnert. Zuerst immer nur wenn die Kamera da war: Adre-nalin-Rush, der Kick, Quasselquassel, gute Performance; sobald Kamera aus: schlaff, boah, bin ich müde, boah, kein Bock. Dann war es ab einem bestimmten Punkt, nach ein, zwei Wochen, plötzlich egal gewesen, ob er gerade gefilmt wurde, er hatte sich einfach konstant, sogar auf dem Klo oder im Bett, wo garantiert nicht gefilmt wurde, so gefühlt (siehe Kick), als sei da gerade irgendwo irgendwer im Dunkeln, oder besser: irgendwas, das auf ihn gerichtet sei, das ihn registriert.