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„So, CO oder besser Costin, jetzt erzähl mal“, sagt Lore. „In einer meiner ersten Sendungen warst du ja damals mit deiner Band, den“, Lore liest ab, „PingPongs zu Gast. Das ist jetzt über ja, ogottogott, machen wir das hier schon so lange? das ist über zehn Jahre her. Wie isses nun, mit dem Leben danach?“

Lore will jetzt vor allem was zu Almtrieb hören, keine Frage, dem Gebumse, Aylin, was da wirklich gelaufen ist, was für eine dumme Sau Aylin sei oder ähnliches.

Schon bevor Costin aus den Kulissen kam, war er etwas nervös, doch das war kein Vergleich zu jetzt, seine Augen müssen sich in sich drehende rotweiße Spiralen verwandelt haben, Schweiß muß ihm auf der Stirn stehen, was dann hoffentlich später geschnitten wird, bitte. Erst als er auf einem Monitor am Rand der Bühne sich in der Totale neben Peter E. und Lore sitzen sieht, wird er ruhiger, er befeuchtet seine Lippen, sagt: „Ja, also“, lehnt sich zurück und faltet die Hände hinter dem Kopf.

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Die Fahrstuhltür ist aufgegangen, und er hat plötzlich — ohne daß es einen Auslöser dafür gegeben hätte, also wirklich gar nichts, optisch, akustisch oder geruchstechnisch, geraucht hatte er ja auch nichts — diese Szene vor Augen gehabt, wann? vor 20 Jahren oder mehr vielleicht, diese Fahrradtour mit Mama und Tata, wo er vorausgefahren war und dann vor einem Ortsschild, keine Ahnung jetzt, wie der Ort hieß, gewartet hatte, ewig, „Griaß God“ hatte darüber gestanden, über dem Ortsschild, genau, irgendwann, erst nach einer Stunde oder so, hatte ihn Tata auf dem Handy angerufen und hatte rumgedruckst, von wegen, wo steckst du, warum bist du, weißt du wie lange schon et cetera, bis rausgekommen war, daß er und Mama sich verfahren hatten, was Tata aber unter keinen Umständen zugeben wollte, genau — Costin sperrt die Tür zum BIBO-Büro auf —, Tata, der immer so groß auf: „Hier komm ich her, ne“, und: „Ich wohn hier schon ewig, ne“, und: „Die Leute und ich, ne, wir verstehen uns halt, ne“, gemacht hat. . Tata also und verfahren, sozusagen vor seiner Haustür, das war schon was, Costin hatte ihnen entgegenfahren müssen, so planlos waren die beiden, verschärfenderweise hatte es dann auch noch zu schiffen angefangen, und auf einmal hatte Tata ausnahmsweise nicht der Mama, sondern ihm, Costin, die Schuld an allem gegeben, als ob sie sich verfahren hätten, weil er, Costin, vorausgefahren war, Tatas übliche Verschwörungskomplotts halt, die Gewerkschaften, die Politiker, die Mama und jetzt eben mal zur Abwechslung Costin — er schließt die Tür hinter sich und geht durch den Flur, er wird ziemlich grantig, das spürt er jetzt —, na gut, sie hatten dann in so einer komischen Pension übernachtet, total Horrorshow, in Costins Zimmer war alles orange gewesen, orange Vorhänge, orange Bettdecke, oranger Teppich, orange Tapete, an der Wand ein Schwarzweißfoto, er sieht es jetzt wieder vor sich, ein Mann in Uniform, schätzungsweise Weltkrieg, schätzungsweise Wehrmacht, ein Familienbild wahrscheinlich, der Herr Papa, der Opa, keine Ahnung, am nächsten Tag waren sie dann weitergefahren, über die tschechische Grenze nach Taus, genau, so ein kleines tschechisches Kaff, an das er jetzt, merkwürdigerweise, überhaupt keine Erinnerungen mehr hat, man müßte eigentlich mal schauen, bei seinen und Anas Filmen zu Hause, im Kellerabteil, ob sich da nicht irgendwo was finden läßt über die Tour damals, andererseits: Sich da durchzuwursteln, das alles zu sichten und sich noch mal den Psychostreß mit der Vergangenheit anzutun, Mama und Tata so zu sehen, von wegen sweet memories, Nostalgie und so, da hat Costin momentan nicht den Nerv für, außerdem auch überhaupt keine Zeit. Später vielleicht. Hinter der verschlossenen Tür des Büros sind Georgis und Julians Stimmen zu hören gewesen, ein Hundelaut von Timmi. OK, sie besprechen die Tourpläne für die Bands. Costin ist wieder mal zu spät. Ein wenig jedenfalls.

Aber während er jetzt so vor der Tür steht und die beiden so reden hört, wird ihm klar, daß es eigentlich gar keine Rolle spielt, ob er da ist oder nicht, also im Label jetzt. Georgi und Julian legen so viel Herzblut in das Ganze und halten den Laden am Laufen — Costins Anwesenheit braucht es eigentlich gar nicht. Natürlich ist sein Geld, sein Gesamtkonzept, nenn’ es Vision, und sein Draht zu den Künstlern die Voraussetzung. Aber im Prinzip haben ja Georgi und Julian Costins Ideen vollkommen verinnerlicht. Ihm fiele kein Fall ein, wo er nicht mit den beiden d’accord gewesen wäre. Costin drückt die Klinke der Tür, die Stimmen der beiden verstummen.

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Costin bahnt sich im extremst stickigen und verrauchten Aftershowpartyzelt einen Weg durch die Menge, manche Bands, die vorher bei der Ceremony, genauer: der MTV Europe New Year’s Bash Ceremony in der Halle gleich nebenan aufgetreten waren, haben sich gar nicht erst umgezogen, sondern sind in ihren Bühnen-Outfits, im Bären- und Hasenkostüm oder lediglich mit BH und Hotpants bekleidet oder aber in irgend so einer wahrscheinlich türkischen Tracht — wohl eine Referenz an den Veranstaltungsort, Istanbul — hierhergekommen. Costin ist sauübel, er müßte sich mal unbedingt hinsetzen, das heißt also, jetzt entweder ab aufs Klo oder zur Lounge, die auch da irgendwo am anderen Ende des Zelts sein müßte.

Soviel steht fest: Costin muß endlich mit dem Kiffen aufhören, mit über 40 muß man auch mal erwachsen werden, nix Peter Pan, nix junggebliebenes Genie à la Wolfgang Amadé, das hier ist das wirkliche Leben, also: Kiffen aufhören, der erste Vorsatz fürs neue Jahr.

Denn Istanbul wäre wahrscheinlich eine super Stadt, gerade in den letzten Jahren, nach dem EU-Beitritt, dürfte sich da einiges getan haben. Betonung Konjunktiv. Denn eigentlich das komplette Wochenende über, das er jetzt zusammen mit Georgi (und Timmi) und Julian hier ist, ist Costin stoned gewesen, nicht übermäßig, aber doch so sehr, daß Straßenzüge unvermittelt Ähnlichkeit mit einer gewissen Stadt namens Gotham City bekamen und sich in einer Bar die Stimmen der sich unterhaltenden Leute plötzlich in einen hochgetunten Singsang verwandelten, der verdammt noch mal nach dem Schlumpflied klang; schließlich hatte Costin an einem Stand in einem Basar den hellblauen Dr. Manhattan, den roten Night Owl und die lila Kapuze Rorschachs von den Watchmen erspäht. Obwohl er deshalb eigentlich ein gutes Gefühl hätte haben müssen — schließlich waren das hier die ultimativen Weltenretter —, war Costin, wahrscheinlich kalkweiß im Gesicht, in die Hocke gegangen und hatte schön tief durchgeatmet, und ein und aus.

Costin mußte für keine Ahnung wie lange auf einem der weißen Ledersofas in der Lounge eingenickt sein. Georgi (an ihrem Bein Timmi) hatte ihn wach gerüttelt, er hatte für einen Moment erschrocken, ja in Panik in ihr Gesicht geschaut, sie hatte neben ihm Platz genommen und gegen das Gemurmel und die Heizstrahler angeschrien: „Hey, Chef, nicht einschlafen jetzt, gleich ist es 12!! Außerdem weißt du nicht, was ich gerade herausgefunden habe!! Also Q ist von R zur Presse bei S und T zu U gewechselt, V von W hat aufgehört und macht jetzt was ganz anderes, Hundezucht oder so, ich hab’s nicht ganz verstanden, und Lisa ist jetzt Quasselstrippe auf Neun Live, Xs Vertrag bei Y wird nächstes Jahr gelöst, X wird frei, Z wird von einem Major übernommen, wahrscheinlich Time Warner, und Elisabeth hat sich von Mehmet getrennt, sie sind nicht mehr zusammen“ — Costin streicht Timmi durchs Fell; es ist weich —, „wo Elisabeth doch schwanger ist, und ich habe den Scout von A aus London getroffen, der kannte BIBO und fand uns ganz Klasse und die und der“, und Costin hat nicht mehr zugehört, weil plötzlich, ohne daß es eine Ankündigung oder eine Aufforderung gegeben hätte, auf einmal alle in der Lounge, nahezu gleichzeitig, simultan sozusagen, aufgestanden und Richtung Ausgänge geströmt sind. Während dann Costin Georgi (und Timmi) so hinterherstolpert, überlegt er, daß er sich ja jetzt eigentlich noch weiter Vorsätze fassen sollte, noch ein paar jedenfalls, daß so eine Aktion jetzt angebracht wäre, Vorsatz Nummer eins hat er ja schon.