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13

Sie ist ruckartig aufgestanden und hat ihren Teller mit den Speiseresten klirrend auf den seinen gelegt. Ihre schwarzen Locken sind ihr dabei ins Gesicht gefallen, das hat sexy ausgesehen. Er wollte sie leicht am Arm festhalten, „Jetzt bleib doch mal da“, hat er gesagt, aber sie hat sich mit einer übertriebenen Bewegung losgemacht und ist mit festem Schritt in Richtung Küche gegangen. Jetzt steht er auf, sieht ihr nach, wartet darauf, daß sie sich umdreht und „Das ist einfach zu-viel“ oder „So was kannst du zu deinen Angestellten sagen, aber nicht zu mir“ sagt. Er geht ihr nach. Sie steht mit gesenktem Kopf vor der Ablage, auf die sie die Teller abgestellt hat, er kennt ihren Gesichtsausdruck, sie versucht, nicht zu weinen.

Sie holt Luft und sagt: „Ich habe wirklich Verständnis für alles, was du durchgemacht hast, mit deinem Vater und so, und ich habe dir auch geholfen“, sie atmet aus und holt Luft, „aber das“, sie hält den Atem an, „das ist jetzt eben zuviel. Das kannst du mit deinen Angestellten machen, aber nicht mit mir. Das geht jetzt zu weit mit deiner schlechten Laune, Stefan, wirklich.“

Jetzt hält sie es nicht mehr zurück, sie weint.

„Nimm auch Herrgott noch mal Rücksicht auf deine Mitmenschen. Bitte.“

Sie hält sich die flache Hand vor den Mund und geht zur Tür. Ohne ihn anzusehen, hat sie darauf gewartet, daß er einen Schritt zur Seite macht und sie durchläßt.

Er sagt: „Ana“, legt ihr die Hand auf die Schulter, den weichen hellblauen Wollpulli (= Bitte um Verzeihung). Sie hat Wallner angesehen, ohne ein böses Gesicht zu machen, wie er es eigentlich erwartet hätte (= Wut), sondern mit Tränen in den Augen und auf den Wangen (= Trauer), für einige Momente (= möglicher Beginn der Vergebung durch vorbehaltlose Darlegung der eigenen Gefühle), dann ist sie in den Flur und weiter ins Wohnzimmer gegangen.

Er steht noch in der Tür und schaut auf die von der Dekkenlampe beleuchteten weißen Kacheln des Küchenbodens. Er möchte ihr sagen, daß er doch wisse, daß er sie verletze und daß er das nicht wolle und daß er sich schäme, es ihm leid tue und daß es Scheiße sei, er sei über den Tod seines Vaters immer noch nicht weg und daß er das an ihr abreagiere, daß ihm das bewußt sei.

14

Der Braunbär streift durch das Unterholz. Die dünnen Stämme der Bäume sind kahl. Der Braunbär verfolgt mit der Schnauze am Boden eine Fährte. Deutlich sind die Geräusche, die er macht, zu hören, sein Schmatzen, Grunzen, Brummen. Das Feld ist von Schnee bedeckt. Der Wind weht Schneeschleier in die Höhe. Der Braunbär stapft über das Feld. Seine Beine versinken fast vollständig im Schnee. Der Schnee knarzt. Der Braunbär sitzt auf einer seichten Stelle im Fluß. Sein Fell ist naß. Mit einer nicht genau zu verfolgenden Bewegung seiner Vordertatzen fängt er einen mittelgroßen Fisch. Der Fisch windet sich so lange, bis ihm der Braunbär den Kopf abbeißt.

Männliche Stimme aus dem Off: „Kira wird noch viele Fische fangen in diesem Herbst. Manchmal bis zu 40 an einem Nachmittag. Das ist auch dringend nötig. In drei Wochen wird Kira Winterruhe halten. Für drei Monate. Drei Monate, in denen sie zwar ihre Höhle nicht mehr verläßt. In denen sie aber auch zwei Junge zur Welt bringen wird.“

Der Braunbär liegt eingerollt im engen Inneren einer Höhle. Das Licht ist schummrig. Seine Augen sind geschlossen. Er gibt Geräusche von sich, Röcheln, Grunzen. Seine Ohren zucken.

Ana schaltet um.

Eduardo hält Constanze umarmt. Constanze hat ihren Kopf an Eduardos Brust gedrückt.

Constanze (leise): „Ich kann dein Herz schlagen hören.“

Ihre Lippenbewegungen sind nicht vollkommen synchron mit ihrer Stimme. Eduardo hat die Augen geschlossen. Er wiegt Constanze hin und her.

Eduardo (leise): „Laß uns das, was heute abend geschehen ist, für uns behalten. Ich werde es nicht meinen und du wirst es nicht deinen Eltern erzählen.“

Es klopft.

Eduardo: „Herein.“

Eduardos Vater, Hernando, tritt ein.

Hernando: „Entschuldigung.“

Er läßt die Tür einen Spalt offen.

Hernando (von draußen): „In zehn Minuten gibt es Abendessen, Kinder.“

Ana schaltet um. Die Uhr auf dem hellblauen Hintergrund zeigt 18:59 Uhr. Der Sekundenzeiger rückt von 51 auf 52.

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13. Juli

17:00 Uhr. Dr. Bräuer. Impfpaß mitbringen!

16

14. Juli

Nürnberg. Huber.

17

An einem Samstagnachmittag geht er in den Hobbyraum und sperrt die Tür hinter sich zu. Der Hobbyraum besitzt eine vergitterte Luke aus gelbem Glas. Vom Partykeller nebenan kann er den neuesten Song der im letzten Herbst im Fernsehen gecasteten Popgruppe hören, der, wie er von Costin weiß, gerade in die Top Ten eingestiegen ist. Wenn der Song zu Ende ist, entsteht eine Pause. Dann beginnt derselbe Song von vorn.

In den Modern Dance Lessons, die Costin einmal die Woche in Regensburg besucht, studiert er zusammen mit anderen Jugendlichen bei einem ehemaligen Juror einer Casting-Show Choreographien der aktuellen Popgruppen ein. Es ist sein größter Wunsch, gecastet zu werden. Wie Wallner weiß, steht an der Wand neben der Tür des Hobbyraums Anas Camcorder auf einem Stativ. Costin filmt seine Tanzschritte und schaut sich dann die Aufnahmen an, um eigene Fehler zu erkennen und seine Wirkung auf ein mögliches Publikum zu überprüfen. Kurz nachdem Ana Costin ihren Camcorder geschenkt hatte, hat er in seiner Freizeit mit seinen Freunden, vor allem aber zu Hause, beim Essen, während Wallner und Ana fernsahen oder sich unterhielten, gefilmt, bis es Wallner zuviel wurde und er es ihm eines abends verbot. Wallner hatte wieder Ärger in der Firma gehabt, war zu Hause von Costin überrascht worden, der ihm beim Aufsperren der Haustür und Eintreten im Flur mit dem Camcorder aufgelauert hatte.

Wallner hat sich seit der Auflösung der Wohnung seines Vaters oft, bei der Arbeit in der Firma oder abends, kurz vorm Einschlafen, vorgestellt, wie er in den Keller geht, die Hobbyraumtür hinter sich schließt, wie sein Blick über die hier gelagerten Möbel schweift, die braunen Umzugskartons, wie er ihre Laschen auseinanderzieht und nach und nach die Gegenstände herausholt, die er damals in Bergisch-Gladbach, hastig und ohne sie wirklich anzusehen, umgeräumt hatte, die Fotos, die Aktenordner, den Fernseher, das Radio.

Wallners Blick schweift über die neuen Möbel, die Stehlampe, die zusammengerollten Teppiche, das Nachttischchen, das, sobald er seine Bankausbildung macht und eine eigene Wohnung hat, Costin bekommen soll. Wallner zieht die Laschen des Umzugskartons gleich neben der Tür auseinander und nimmt die Schuhschachtel heraus, in die er die Fototaschen aus den Schreibtischschubladen seines Vaters gelegt hatte.