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„Und jetzt sagst du mir bitte, wie du das immer schaffst, von einem Satz zum anderen vom Imperfekt ins Präsens zu wechseln“, sagt Wendy laut, als sie sich an ihrem Schreibtisch zurücklehnt. Der Satz erscheint auf dem Bildschirm; Wendy hat vergessen, die Diktier-Funktion auszuschalten. Jetzt das Tempus der Passage wieder zu korrigieren, dazu hat sie wirklich keine Lust.

Sie schüttelt den Kopf über sich selber, löscht den letzten Satz und sagt dann: „SPEICHERN“.

41

Sie träumt, daß sie die etwa 40jährige Frau auf dem sepiabraunen Porträt ist, das sich in einer der Schachteln mit losen Fotos befand und bei dem unklar ist, um wen genau es sich handelt, eine Verwandte oder nur eine Bekannte der Familie. Während sie träumt, ist ihr die ganze Zeit bewußt, daß das hier ein Traum ist und daß sie, sobald sie aufwacht und, wie jeden Morgen, mit einem Ruck aufsteht und ins Bad geht, wieder Wendy sein wird und die Frau nur ein sepiabraunes Porträt.

Trotzdem hat sie, als sie sich in diesem Moment im Traum mit einem Mann im Frack und mit nach hinten gekämmtem aschblonden Haar unterhält, den sie irgendwo auf einem anderen Schwarzweißfoto gesehen hat, Angst, weil sie weiß, daß am Verschluß ihres Cocktailkleids hinten die beiden obersten Knöpfe offen sind und daß es, wenn jetzt noch mehr Knöpfe aufgehen, zu einer peinlichen Szene vor dem Mann kommen könnte. Durch die aufgeschobene Terrassentür des Hauses ist sie am Arm des Mannes nach draußen, in einen Park spaziert. Auf einer Wiese an einem Teich hat eine Gesellschaft bei einem Picknick auf einem großen weißen Tuch zusammengesessen, man plaudert, man lacht, Kinder in Matrosenanzügen und weißen Kleidchen spielen daneben Fangen, rufen. Ein Herr mit grauem Bart, Kapitänsmütze, weißer Hose und Schuhen hat sich eine Zigarre angesteckt, schnell hintereinander an ihr gezogen, ihr Ende hat dabei jedesmal aufgeglüht. Der Mann im Frack hat seine Jacke ausgezogen und unterhält sich mit der Frau im blauen Kleid neben Wendy über den Anschlag am Oktoberfest vor zwei Wochen. Wendy ist aufgestanden. Schon steht sie am Teich. Schon ist sie umgezogen. Sie trägt den schwarzen an den Oberschenkeln abschließenden Badeanzug, in dem dieselbe Frau vom sepiabraunen Porträt auf einem anderen Foto am Strand sitzt. Wendy schämt sich und hofft, daß niemand vom Picknick drüben sie sieht, weil sie, obwohl die Frau auf dem Porträt sehr schlank ist, wie in Wirklichkeit an der Hüfte Zellulitis hat. Wendy schaut an sich herab und ist wieder Wendy und nicht mehr die Frau vom Foto. Sie geht vom Ufer ans Ende des Stegs und paßt auf, daß sie sich keine Späne in ihre nackten Füße einzieht, wie früher, als Kind immer, am Attersee.

Als sie mit einem Kopfsprung, den sie nie beherrscht hat, ins Wasser taucht, tut die Kühle wunderbar gut, Wendy muß ganz verschwitzt gewesen sein.

42

„[Mama, Aufnahme vom 22.10.]

Wie ich deinen Vater kennengelernt habe? Warte mal. Wie ist das gewesen? Also, wie ich nach der Schule die Schneiderlehre gemacht habe, da ist meine beste Freundin die Jenny Frank gewesen. Wir sind da oft zusammen ausgegangen — in Clubs und auf Partys und so weiter. Na ja, und deinen Vater, den habe ich da schon gekannt, weil er ist ja im Fernsehen gecastet worden, das weißt ja, und irgendwo hat man das halt zufällig verfolgt, eine Folge mal, und man hat sich gedacht, schon fesch, der, mit seinen schwarzen Lokken und seinem Blick, und singen und tanzen hat er auch gekonnt. Also. Na ja, und dann hat es da im Juni das Open Air gegeben, in Graz hats nicht soviel Open Airs gegeben. Und da ist man froh gewesen um alles, was mal passiert ist, und, kannst dir ja denken, die Jenny und ich ganz vorn dabei. Die Jenny, die ist immer ein ganz pragmatischer Mensch gewesen, ich weiß gar nimmer, was aus der geworden ist, irgendwie hab ich die aus dem Auge verloren, als ich nach Wien zum Studieren bin. Na ja, die Jenny, die hat dann gesagt: ‚Komm, wir gehen jetzt backstage, sagen ma denen hallo‘. Na ja, wir also backstage. Wir haben uns da nichts gedacht. Na, und natürlich sind da so Bodyguards gestanden, kein Vorbeikommen ist da gewesen. Aber irgendwie müssen wir Eindruck gemacht haben auf die, wir haben halt unseren weiblichen Charme spielen lassen. Eine Adresse von einer After-Show-Party haben wir bekommen, und daß wir ruhig Freundinnen mitbringen können, na, weißt eh, wie das so ist. Gut. Wir also Make-up, Röckchen, aufgeregt wie noch was am Abend zum Hotel, das Astoria, ja, ich glaub das Astoria ist das gewesen. Na, und wir gehen also zum Zimmer, das uns der Bodyguard gesagt hat, und wir klopfen, na, und wer macht uns auf? Dein Papa. Also, der Sänger von den — PingPongs hießen die, richtig. Und fällt mir um den Hals, als ob wir uns kennen. Na, betrunken war er halt. Jenny und ich natürlich ein bisserl ängstlich zuerst, sind dann mit ihm zur Party, ins Zimmer. [lacht] Na, am Morgen sind dann die Jenny und ich recht früh nach Haus, noch bevor die anderen auf sind, im Zimmer. Ja, und unmittelbar im Anschluß daran, da habe ich ja den Albert kennengelernt. Das ist schon eine merkwürdige Situation gewesen. Wo ich dann zuerst gedacht habe, du bist vom Albert und wir eigentlich nur deshalb geheiratet haben, und ich habe es ja selbst nicht gewußt. Später ist es mir dann schon gedämmert, und vielleicht hats der Albert sich auch gedacht. Gesagt hat er nie was. Und das mit dem Vaterschaftstest, den ich hab machen lassen, heimlich, das habe ich ihm auch nicht gesagt. Da bist du drei oder vier gewesen und ich hab es ihm eigentlich sagen wollen, aber ich habs nicht gekonnt, weißt du. Das ging nicht. Gesehen habe ich deinen Vater dann ein paar Male noch. Im Fernsehen oder halt so in Zeitschriften. Da habe ich immer Angst bekommen, weil mir dann das Ganze klargeworden ist, und das war dann beinah, na, unerträglich wars halt, dem Albert oder auch dir danach in die Augen zu sehen. Und da hab ich beschlossen, das auf sich beruhen zu lassen. Was war, war. Fertig. Jetzt ist jetzt. Und ich habe nicht mehr verfolgt, was dein Vater macht. Einmal sind wir ihm aber dann doch begegnet. Da wirst dich nicht mehr erinnern daran. Da waren wir zu dritt, du, ich, der Albert, im Kino und haben uns diesen Zeichentrickfilm mit den Dinosauriern angeschaut, und dein Vater ist einer von denen gewesen. Also gesprochen hat er halt einen. Na, weißt eh. Und ihr, der Albert und du, ihr habts nichts gespannt, und die Stunde da im Kino, das war so was von furchtbar. Ich habs beinahe nimmer ausgehalten. Ich weiß noch, wie der Albert mich danach gefragt hat, nach dem Kino, was ist, und wie ich es auf die Klimaanlage im Kino und die Hitze draußen geschoben habe.“