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Fritz Leiber

Wanderer im Universum

1

Erzählungen aus dem Reich des Schrecklichen und Übersinnlichen beginnen oft mit einem bleichen Gesicht, das in einer Vollmondnacht am Fenster auftaucht, oder einem alten Dokument in zittriger Handschrift oder dem traurigen Gebell eines Hundes über dem nebligen Moor. Aber unsere Story begann mit einer Mondfinsternis und vier Himmelsfotografien auf Hochglanzpapier, die alle Sternenfelder und ein planetarisches Objekt zeigten. Nur ... mit den Sternen schien irgend etwas passiert zu sein.

Die älteste Fotografie war erst sieben Tage alt, als die Mondfinsternis begann. Die Aufnahmen waren in drei Sternwarten gemacht worden, die weit voneinander entfernt lagen; die vierte war von einem Satelliten aus zur Erde gefunkt worden. Sie stellten alle Erzeugnisse einer hochentwickelten Technik dar und verkörperten den wissenschaftlichen Fortschritt, der jeden Aberglauben widerlegt und lächerlich erscheinen läßt.

Trotzdem lief dem jungen Wissenschaftler, der sie als erster zu Gesicht bekam, unwillkürlich ein kalter Schauer über den Rücken. Als er die schwarzen Punkte betrachtete, die dort sein sollten und die seltsamen dunklen Schatten die dort nichts zu suchen hatten, empfand er einen Augenblick lang ein unerklärliches Unbehagen, das ihn auf eine Stufe mit Höhlenbewohnern Teufelsanbetern und Medizinmännern und ihrem Aberglauben stellte.

Die Fotografien wurden auf dem Dienstweg weitergegeben und kamen schließlich im Hauptquartier des amerikanischen Mondprojekts in der Nähe von Los Angeles zusammen. Die amerikanische Luftwaffe besaß gegenüber dem sowjetischen Mondprojekt nur einen hauchdünnen Vorsprung, während die Russen im Wettrennen um den Mars mit weitem Vorsprung führten. Deshalb war das Unbehagen im Hauptquartier am größten, obwohl die Wissenschaftler ihre Befürchtungen durch ironisches Gelächter und witzig gemeinte Bemerkungen zu überdecken versuchten.

Schließlich beeinflußten die vier Fotografien — oder vielmehr das, was sie anzeigten — die gesamte Bevölkerung der Erde. Sie gaben den Blick in ungeahnte Abgründe der menschlichen Seele frei, brachten Tausende um den Verstand und kosteten Millionen das Leben. Und sie veränderten auch den Mond.

Deshalb könnte unsere Story irgendwo beginnen — mit Barbara Katz, die Palm Beach nachts in ihrem schwarzen Lastexanzug unsicher machte, oder Doc Brecht, der in Los Angeles Klaviere verkaufte, oder Charlie Fulby, der einen Vortrag über Fliegende Untertassen hielt, oder General Spike Stevens, der den Oberbefehlshaber der amerikanischen Luftwaffe vertreten mußte, oder Rama Joan Huntington, die andere zum Buddhismus zu bekehren versuchte, oder mit Don Merriam, der zur Besatzung des amerikanischen Mondstützpunktes gehörte, oder sogar mit Tigran Biryuzow, der in einem Raumschiff um den Mars kreiste. Wir könnten aber ebensogut mit Tigerishka oder Miau oder Ragnarok oder dem Präsidenten der Vereinigten Staaten beginnen.

Aber weil sie sich ohnehin in der Umgebung von Los Angeles aufhielten, wo das Unbehagen seinen Anfang nahm, und weil sie in unserer Story eine wichtige Rolle spielen, beginnen wir am besten mit Paul Hagbolt, einem Publizisten des amerikanischen Mondprojektes, Margo Gelhorn, der Verlobten eines der vier jungen Amerikaner auf dem Mond, und mit Margos Katze Miau, die eine seltsame Reise vor sich hatte; und mit den vier Fotografien, die zu diesem Zeitpunkt allerdings noch keine wirkliche Bedrohung, sondern nur ein streng gehütetes Geheimnis darstellten; und mit dem Mond, der damals gerade die Position am Himmel erreichte, in der die Erde genau zwischen ihm und der Sonne stand.

Margo Gelhorn trat auf den Rasen hinaus und sah zu dem Vollmond auf, der hoch am Himmel stand. Der Erdsatellit wirkte so plastisch dreidimensional wie ein Basketball aus geflecktem Marmor. Sein silbernes Licht machte den ungewöhnlich milden und klaren Abend noch zauberhafter.

»Da ist der verdammte Kerl ja wieder«, sagte Margo.

Paul Hagbolt, der hinter ihr durch die Tür trat, lachte etwas krampfhaft. »Du hältst den Mond anscheinend wirklich für einen Rivalen.«

»Unsinn, aber er hat Don«, antwortete die blonde junge Frau rasch. »Sogar Miau ist wie hypnotisiert.« Sie hielt eine graue Katze im Arm, in deren grünen Augen sich der Mond spiegelte.

Paul sah ebenfalls nach oben und suchte nach dem Schatten dem die Astronomen den Namen Mare Imbrium gegeben haben. Er konnte den Krater Plato nicht ausmachen, in dem sich der amerikanische Mondstützpunkt befand, wußte aber, daß er jetzt sichtbar war.

»Bisher war es schon schlimm genug, immer dieses Ungeheuer vor Augen zu haben und zu wissen, daß Don dort oben ständig in Lebensgefahr ist«, meinte Margo erbittert. »Aber jetzt muß ich auch noch an die andere Erscheinung denken, die auf den astronomischen Fotografien zu sehen ist ...«

»Margo!« sagte Paul scharf und sah sich unwillkürlich um. »Das ist alles noch immer streng geheim. Wir dürfen nicht darüber sprechen — zumindest nicht hier.«

»Das Mondprojekt hat wirklich eine alte Jungfer aus dir gemacht! Außerdem hast du mir gegenüber nur Andeutungen ...«

»Sogar das war schon zuviel.«

»Schön, worüber sollen wir uns dann unterhalten?«

Paul seufzte fast unhörbar. »Hör zu«, begann er, »ich dachte wir wollen hier draußen die Mondfinsternis beobachten und später vielleicht eine kleine Spazierfahrt machen, um ...«

»Oh, die Mondfinsternis hatte ich ganz vergessen! Der Mond ist nicht mehr so klar wie vorher, findest du nicht auch? Fängt es jetzt schon an?«

»Vermutlich«, antwortete Paul. Er warf einen Blick auf die Uhr. »Allmählich ist es Zeit.«

»Was merkt Don davon?«

»Nicht viel. Natürlich wird es dort oben dunkel. Aber das ist eigentlich alles. Halt, die Außentemperatur sinkt um etwa einhundertzwanzig Grad Celsius.«

»Und das soll nichts sein?«

»Die Veränderung ist in Wirklichkeit nicht so erschreckend weil die Außentemperatur vorher ungefähr fünfundsechzig Grad beträgt«, erklärte Paul ihr.

»Eine sibirische Kältewelle löst also die Hitze ab, aber er sagt: ›Das ist alles nicht weiter aufregend.‹ Und wenn ich mir vorstelle, daß gleichzeitig dieser andere unbekannte Schrecken aus dem All immer näher an den Mond ...«

»Hör auf, Margo!« Paul lächelte nicht mehr. »Du phantasierst.«

»Ich phantasiere? Hast du mir nicht selbst erzählt, daß die vier Aufnahmen deutlich zeigen, wie ...«

»Ich habe dir nichts erzählt, was du nicht vollkommen falsch ausgelegt hättest. Nein, Margo, über dieses Thema möchte ich heute abend nicht mehr sprechen. Ich will nicht, daß du dir überflüssige Sorgen machst. Komm, wir gehen wieder hinein.«

»Hineingehen? Obwohl Don dort oben ist? Ich will die Mondfinsternis beobachten — von der Küstenstraße aus.«

»Dann holst du dir lieber eine wärmere Jacke«, meinte Paul ruhig. »Jetzt ist es noch warm, aber das kann sich hier in Kaliformen rasch ändern.«

»Auf dem Mond vielleicht nicht? Hier, du kannst Miau einen Augenblick halten.«

»Warum? Wenn du glaubst, daß ich mit einer Katze im Auto ...«

»Weil die Jacke jetzt noch zu warm ist! Hier nimm sie und gib mir Miau zurück. Warum willst du nicht mit einer Katze fahren? Katzen sind Leute wie du und ich. Nicht wahr, Miau?«

»Das stimmt nicht. Sie sind nur schöne Tiere.«

»Nein, sie sind doch Leute. Selbst dein verehrter Heinlein muß zugeben, daß sie Bürger zweiter Klasse sind, die auf der gleichen Stufe wie Eingeborene oder Fellachen stehen.«

»Diese Theorien interessieren mich im Augenblick nicht, Margo. Ich weigere mich nur, eine nervöse Katze in einem Kabriolett mit geöffnetem Verdeck zu transportieren.«