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Plötzlich begannen die Felsbrocken rascher an Don vorüberzuziehen — als ob der Zug auf dem Nebengleis sich in einen Schnellzug verwandelt habe.

Entweder hatte die Geschwindigkeit in Innern der Röhre sich erhöht oder ...

Don schaltete das Radargerät nochmals ein. Der ›Baba Yaga‹ und seine Eskorte hatten in der Zwischenzeit fünfzig Kilometer Höhe erreicht, aber ihre Sinkgeschwindigkeit betrug nur noch eineinhalb Kilometer pro Sekunde. Dons zweite Vermutung war bestätigt worden: Sie sanken langsamer als zuvor.

Aber das Radargerät zeigte auch, daß diese Sinkgeschwindigkeit nicht weiter abnahm. Don benützte die letzten zwanzig Sekunden, um die Oberfläche des Wanderers genauer zu betrachten. Dann riß er sich die Brille ab, als sein Schiff wieder in den Schatten des Planeten eintrat, und bereitete sich auf den Aufprall vor, der sein Ende bedeuten mußte.

Aber die dunkle Oberfläche war plötzlich nicht mehr da. Don hatte den Eindruck, der ›Baba Yaga‹ und seine Eskorte seien geradewegs durch die Decke eines riesigen beleuchteten Saales geflogen, denn er erkannte jetzt weit unter sich eine zweite Oberfläche. In diesem Augenblick wurde ihm erstmals klar, daß die sogenannte Oberfläche, die Licht und Radar reflektierte, in Wirklichkeit nur ein hauchdünner Film sein konnte, durch den selbst ein zerbrechliches Raumschiff wie der ›Baba Yaga‹ mit fast sechstausend Stundenkilometern fliegen konnte, ohne Schaden zu nehmen. Hinter dieser dünnen Hülle, die sich in dreißig Kilometer Höhe um den gesamten Planeten erstreckte, lag erst die wirkliche Oberfläche — wenn er jetzt nicht schon wieder eine Illusion vor sich hatte.

Es mußte die eigentliche Oberfläche sein, wenn komplexe und offenbar massive Gegenstände aller Art als Maßstab dafür gelten konnten. Die weite Ebene, die jetzt in Dons Bildschirm sichtbar geworden war, enthielt riesige Löcher mit fast zwei Kilometer Durchmesser, aus denen ein schwacher Lichtschein nach oben drang, und zwischen diesen Schächten alle möglichen gigantischen Objekte in verschiedenen Formen und Farben.

Riesige Gebäude, Maschinen, Fahrzeuge oder nur künstlerische Formen? Vielleicht handelte es sich sogar um Naturerscheinungen?

Der ›Baba Yaga‹ und seine Eskorte näherten sich rasch einem Punkt zwischen zwei Schächten. Don starrte nach unten, hatte aber keine Angst mehr, daß er auf der Oberfläche zerschellen würde, denn er vertraute jetzt auf die Fähigkeiten der unbekannten Wesen, die ihn hierher zu sich geholt hatten. Sein winziges Schiff sank immer langsamer, bis es endlich kaum zwanzig Meter über dem Boden zum Stillstand kam. In diesem Augenblick begann der ›Baba Yaga‹ eine langsame Drehung, die erst endete, als die Triebwerke wie vor jeder Landung nach unten zeigten.

Während das Schiff vorsichtig auf seine drei Teleskopbeine herabsank, merkte Don, daß sich ein Schwerefeld auf ihn auszuwirken begann. Er hielt sich an seinem Sitz fest, während er immer schwerer wurde, bis sein Gewicht schließlich fast dem auf der Erde entsprach, soweit er das nach seinem Aufenthalt auf dem Mond beurteilen konnte. Dann hörte er ein leises Geräusch, sah erschrocken zu Boden und stellte fest, daß die Luftschleuse sich völlig ohne sein Zutun geöffnet hatte. Die Leiter hing senkrecht herab und berührte leicht den Boden.

Im gleichen Augenblick sagte eine etwas undeutliche Stimme: »Komm! Zieh den schweren Anzug aus und komm herunter!«

19

Paul Hagbolt hatte sich noch immer nicht an die seltsame Körperhaltung gewöhnt, in der seine Fesseln ihn festhielten. Die unsichtbare Sonne hatte die Vorderseite seines Körpers bereits völlig getrocknet, als er zwei unergründliche Katzengesichter sah, die ihn aus den Blumenbeeten heraus beobachteten. Eines davon gehörte Miau, das andere war so groß wie sein eigenes. Die beiden schwebten durch die Blüten nach vorn, bis sie nicht länger verborgen waren, und blieben dann einander zugewendet, ohne sich um Paul zu kümmern oder das geringste Interesse für ihn zu zeigen.

Das Tiger-Wesen berührte Miau mit einer ausgestreckten Pfote. Die Katze schlug spielerisch danach, während ihr Schwanz aufgeregt zuckte; dann saß sie wieder ruhig und starrte in die großen Augen des Tigers, mit dem sie sich bereits angefreundet zu haben schien. Die beiden erinnerten Paul an eine Mutter mit ihrem Kind.

Er beobachtete den Tiger aufmerksam, wobei ihm zum erstenmal einfiel, daß er es vermutlich mit einem weiblichen Lebewesen zu tun hatte, denn der Gesamteindruck, den er bisher bekommen hatte, war durchaus nicht männlich energisch, sondern eher weiblich verspielt. Für eine Katze hatte ›sie‹ einen bemerkenswert kurzen Rumpf, lange Beine und lange Arme — dem Körperbau nach mehr eine Cheetah als jede andere irdische Katze, aber gleichzeitig erheblich größer: so groß wie Paul. Die Körperproportionen erinnerten ebenfalls eher an einen Menschen, so daß er vermutete, das seltsame Wesen könne sich unter Einfluß von Schwerkraft ebensogut auf zwei wie auf vier Beinen bewegen.

Ihr Pelz war an der Unterseite des Körpers grün, aber auf dem Rücken und an der Oberseite der Pfoten grün mit violetten Streifen. Der Kopf wies hochgestellte Katzenohren auf, aber die Stirn war breiter und höher als sonst bei Katzen, wodurch die Dreiecksform noch mehr betont wurde. Das ganze Gesicht erinnerte durchaus an eine Katze, denn selbst die hellen Schnurrbarthaare fehlten nicht. Hier war der Pelz dunkelviolett, aber um die Augen lag eine grüne Maske.

Die schlanken Pfoten hatten durchaus Ähnlichkeit mit Händen, wobei nicht einmal störte, daß ein Finger zu fehlen schien. Die Krallen waren im Augenblick nicht sichtbar. Der violett gestreifte grüne Schwanz lag in einem eleganten Bogen über den Hinterbeinen.

Der Gesamteindruck — selbst der Schwanz! — erinnerte Paul an eine schlanke Frau, die ein hautenges Pelzkostüm trug, das zur Ausstattung eines phantastischen Katzenballetts gehörte. Als er daran dachte, spürte er eine seltsame Unruhe, die er sich nicht gleich erklären konnte.

In diesem Augenblick begann das Tiger-Wesen zu sprechen — aber nicht mit ihm, sondern mit Miau. Das war so unwahrscheinlich und unerklärlich, daß Paul wie in einem Traum zuhörte.

»Komm, Kleine«, sagte das Tiger-Wesen und zeigte dabei weiße Zähne zwischen dunkelroten Lippen. »Wir sind doch jetzt Freunde. Du brauchst nicht mehr so schüchtern zu sein.«

Miau starrte weiter zufrieden vor sich hin.

»Du und ich gehören der gleichen Rasse an«, sprach das Tiger-Wesen weiter. »Ich spüre, daß du jetzt nicht mehr aufgeregt bist. Warum sprichst du also nicht? Hast du keine Fragen?«

In der folgenden Pause glaubte Paul zu erkennen, was sich hier in Wirklichkeit abspielte. Dann fuhr das Tiger-Wesen fort: »Du bist wirklich schüchtern, Kleine! Brauchst du einen Namen? Ich kenne deinen. Meiner? — Tigerishka! Ich habe den Namen für dich erfunden. Du hältst mich für einen schrecklichen Tiger aber gleichzeitig auch für eine schöne Ballerina. Alle Ballettänzerinnen nennen sich ›enska, -skaya, -ishka‹. Tigerishka!«

Dann verstand Paul alles. Dieses Super-Wesen war einem Super-Irrtum erlegen! Tigerishka hatte seine Gedanken innerhalb weniger Sekunden durchsucht und dabei sogar Englisch gelernt — aber sie hatte sich eingebildet, es dabei mit Miau zu tun zu haben. Im gleichen Augenblick erkannte er auch, welches Gefühl ihn vorhin bewegt hatte — männliches Begehren nach einem attraktiven weiblichen Wesen.

Tigerishka mußte diese Gedanken ebenfalls aufgenommen haben, denn sie drohte Miau scherzhaft mit einer violetten Pfote und sagte: »Das war aber nicht nett, Kleine. Du bist wirklich nicht groß genug — und wir sind doch beide Mädchen! Komm, sprich endlich mit mir ... Paul ...«