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Jetzt schien sie die Wahrheit erkannt zu haben, die für sie schrecklich sein mußte, denn sie drehte sich langsam nach dem wirklichen Paul um. Im nächsten Augenblick hatte sie die Entfernung zwischen sich und ihm mit einem Satz überwunden und schwebte mit ausgestreckten Krallen und gefletschten Zähnen dicht über ihm. Miau schien nicht im geringsten erschrocken zu sein.

»Du ... Affe!« fauchte Tigerishka. Sie senkte den Kopf mit den scharfen Reißzähnen noch mehr, so daß Paul unwillkürlich die Augen zusammenkniff. Dann sprach sie langsam und sehr deutlich weiter, als habe sie es mit Analphabeten zu tun: »Ihr behandelt ... die Kleine ... wie ein Tier ... wie ein gewöhnliches Tier ... als Haustier?« Die Verachtung in ihrer Stimme war nicht zu verkennen.

In seiner Angst erinnerte Paul sich an eine Behauptung, die Margo ständig wiederholte, und stotterte: »Nein! Nein! Katzen sind Leute!«

Don Merriam hatte früher einmal am Rand des Grand Canyon gestanden und hatte einen Blick in die Leibnitz-Schlucht in der Nähe des Südpols des Mondes geworfen. Aber er hatte noch nie in seinem Leben — außer während seines Fluges durch den Mond — einen so unglaublich tiefen Schacht gesehen. Wie tief erstreckte er sich? Fünf Kilometer? Fünfundzwanzig? Fünfhundert? Er schien an keiner Stelle weniger als zwei Kilometer breit zu sein, obwohl er irgendwo weit unten in einem leuchtenden Punkt endete — aber diese Erscheinung beruhte nur auf einer perspektivischen Veränderung, an der Don selbst schuld war.

Er spielte mit dem Gedanken, daß der Schacht geradewegs durch den Mittelpunkt des Planeten bis zur entgegengesetzten Seite führte, so daß er niemals den Boden berühren würde, wenn er jetzt hineinsprang, sondern nur etwa sechstausend Kilometer weit fallen würde. Ein langsamer Fall, wenn hier die gleichen Gesetze galten, die auf der Erde physikalische Erscheinungen beeinflußten — mindestens zwanzig Stunden lang, in denen er wahrscheinlich bereits verdurstet wäre. Aber dann würde er schließlich im Mittelpunkt des Planeten zur Ruhe kommen und durch die Luft an die Wand des Schachtes schwimmen können, wie er es in der Kabine des ›Baba Yaga‹ getan hatte, als das Schiff sich im freien Fall befand.

Am seltsamsten war jedoch, daß der Schacht nicht einfach einer senkrechten Röhre glich, die durch felsiges Gestein nach unten gebohrt worden war — tatsächlich waren nirgendwo Felsen zu sehen —, sondern daß seine Wände in Stockwerke aufgeteilt waren, die sich unendlich weit fortzusetzen schienen. Don zählte einige Dutzend Stockwerke, bevor die beleuchteten Abstufungen vor seinen Augen verschwammen und undeutlich wurden. Weit unter sich erkannte er auch winzige Schiffe, die wie bunte Käfer durch den Schacht schwebten.

Nachdem Don alles das in sich aufgenommen hatte, fragte er sich, ob die Stimme, die er gehört zu haben glaubte, nicht doch nur eine Illusion gewesen war. Aber dann überlegte er sich, daß sie dort unten leben mußten, daß ihre Wissenschaft und Technik dieses Wunder geschaffen haben mußte. Wo waren sie? Weshalb hatten sie ihn so lange allein gelassen? Vielleicht bildete er sich nur ein, auf Englisch angesprochen worden zu sein. Oder doch? Ihre Fähigkeiten waren bestimmt ...

»Komm!«

Don drehte sich erschrocken um, obwohl er die Stimme bereits zu erkennen glaubte. Dann zuckte er noch mehr zusammen, als er sah, was hinter ihm stand — ein riesiger Tiger, dessen Körperformen ihn allerdings entfernt an einen Menschen erinnerten. Der Tiger öffnete die Lippen, so daß Don seine weißen Reißzähne sehen konnte, und wiederholte seine Aufforderung: »Komm!«

Ohne zu überlegen und ohne wirklich zu wissen, was er tat, bewegte Don sich wie in einem Traum auf das seltsame Wesen zu. Als er nur noch zwei Meter von ihm entfernt war, nickte der Tiger zweimal, woraufhin der Boden unter seinen Füßen nachgab, so daß er mit Don in das Innere des Wanderers sank. Das Wesen trat einen Schritt nach vorn, bis seine ausgestreckte Pfote leicht auf Dons Schulter lag. Don dachte in diesem Augenblick unwillkürlich an Doktor Faust, der sich von Mephisto in die Hölle hatte führen lassen. Mit Hilfe seiner magischen Spiegel hatte Mephisto dem Doktor Faust alles gezeigt, was dieser sehen wollte. Aber welche Zaubervorrichtung konnte das dazugehörige Verständnis vermitteln?

Don Merriam und der Tiger waren eben erst knietief im Boden versunken, als es am Himmel plötzlich aufblitzte. Einen Augenblick später hingen zwei Untertassen über dem ›Baba Yaga‹ — und ein kleines Schiff, das Dons so ähnlich war, daß er zuerst an Dufresne dachte. Aber dann erkannte er die geringfügigen äußeren Unterschiede und sah den Sowjetstern an der Seite.

Seine Beobachtungen wurden unterbrochen, als die Plattform langsam und gleichmäßig versank.

20

Während nur sehr wenige Menschen unmittelbar mit dem Wanderer und seinen Bewohnern in Berührung kamen, was ihnen je nach Veranlagung als spannend oder erschreckend erschien, und während eine etwas größere Zahl die Ursachen seines plötzlichen Erscheinens wissenschaftlich zu ergründen versuchte, kannte der überwiegende Teil der Menschheit den neuen Planeten nur durch Beobachtungen am Nachthimmel und die Zerstörungen, die er überall anrichtete. Die erste Rate der Verwüstungen bestand aus Vulkanausbrüchen und Erdbebenstößen. Die hohe Anziehungskraft des Wanderers wirkte sich zunächst vor allem auf die Erdkruste aus, in der sich Veränderungen dieser Art rascher als in den Wassermassen der Erde fortpflanzen.

Schon sechs Stunden nach dem Erscheinen des Wanderers war es bereits zu heftigen Beben in den traditionell gefährdeten Gebieten um den Pazifik und entlang des Mittelmeeres bis in das Herz Asiens gekommen. Das Land erzitterte; Häuser wurden wie Spielzeug durcheinander geworfen und zerstört. Vulkane, die seit Jahrhunderten nicht mehr aktiv gewesen waren, spuckten plötzlich wieder rotglühende Lavaströme aus. Zwischen Alaska und der Antarktis kam es zu Hunderten von Erdbebenstößen, die teilweise unter Wasser begannen. Riesige Flutwellen wälzten sich über die Weltmeere und verwandelten sich in alles zerstörende Springfluten, sobald sie Küsten erreichten, hinter denen das Land nur flach anstieg. Hunderttausende starben.

Trotzdem gab es noch viele Gebiete — selbst in Meeresnähe —, wo alle diese Zerstörungen und Verwüstungen nur Gerüchte oder eine Schlagzeile in den Zeitungen waren. Oder vielleicht eine Stimme im Radio, bevor der Wanderer über dem Horizont aufstieg und sämtliche Funkverbindungen nachhaltig störte.

Die zweite und größere Rate der Zerstörungen, an denen der Wanderer schuld war, wurde durch die Meere verursacht, die fast drei Viertel der Erdoberfläche bedecken. Diese Wasserschicht mag unbedeutend erscheinen, wenn man sie nach kosmischen Maßstäben mißt, aber für die Menschen ist sie seit Urzeiten fast unendlich weit, tief und mächtig gewesen. Und sie hat immer ihre Götter gehabt: Dagon, Nun, Nodens, Ran, Rigi Neptun, Poseidon. Und die Musik des Meeres sind die Gezeiten.

Die Harfe der Meere, die von der Mondgöttin Diana gespielt wird, ist mit Saiten aus Salzwasser bespannt, die einige Kilometer dick, Hunderte von Kilometern breit und Tausende von Kilometern lang sind.

Über die großen Wasserflächen des Stillen und des Indischen Ozeans erstrecken sich die Baßsaiten: von den Philippinen nach Chile, von Alaska nach Kolumbien, von der Antarktis nach Kalifornien, von Arabien nach Australien, von Basutoland nach Tasmanien. Hier werden die tieferen Töne angeschlagen; manche Vibrationen halten einen ganzen Tag lang an.