Als sie über die Böschung zurückkletterte, sah sie dort zu ihrer Überraschung Hunter stehen, der auf sie gewartet zu haben schien.
»Professor Hunter!« sagte Margo scharf. »Das hätte ich Ihnen wirklich nicht zugetraut!«
»Was?« fragte Hunter.
»Daß Sie hinter mir her spionieren.«
Er schüttelte den Kopf. »Sie irren sich, das war keineswegs beabsichtigt«, antwortete er dann. »Ich habe nur einen kleinen Erdrutsch gehört und wollte nachsehen, ob alles in Ordnung ist.«
»Ein Felsbrocken ist zum Strand hinabgerollt«, erklärte Margo ihm. Sie ging an ihm vorbei. »Aber das Geräusch kann nicht weit zu hören gewesen sein.«
»Ich habe es aber gehört«, meinte Hunter und ging neben ihr her. »Warum ziehen Sie nicht die Jacke aus? Es wird allmählich heiß.«
»Ich könnte mir geschicktere Annäherungsversuche vorstellen«, versicherte Margo spöttisch.
»Ich auch«, sagte Hunter.
»Wahrscheinlich«, stimmte Margo sofort zu. Sie blieb stehen und sagte: »Ross, nennen Sie einen führenden Wissenschaftler, besonders einen Physiker, der nobelpreisverdächtig ist und trotzdem nicht vergißt, daß der Mensch unmöglich alles wissen kann.«
»Das ist gar nicht so leicht«, meinte Hunter nachdenklich. »Da wäre zunächst Drummond zu nennen, aber auch Stendhal — der allerdings kein wirklicher Physiker ist — und Rosenzweig ... und selbstverständlich auch Morton Opperly.«
Margo nickte langsam. »Genau diesen Namen wollte ich von Ihnen hören«, sagte sie dann. »Vielen Dank, Professor.«
General Spike Stevens planschte durch das kalte Salzwasser an dem Fahrstuhlschacht vorbei, aus dem mit jeder Sekunde größere Wassermassen drangen, unter deren Druck die Metalltür erzitterte. Die Lampe auf seiner Brust leuchtete auf das hüfthohe Wasser hinab und ließ die historischen Schlachtszenen deutlich hervortreten, mit deren Abbildungen die Wand vor ihm tapeziert war.
Der General tastete die Wand ab, legte die Hand auf einen versteckt angebrachten Griff und riß eine Klappe auf, die hinter der Tapete verborgen gewesen war. Jetzt wurde eine dunkle Öffnung sichtbar, in der nur ein riesiger schwarzer Hebel waagerecht aus der Wand ragte.
Stevens drehte sich nach den anderen um. »Verstehen Sie mich richtig«, sagte er rasch. »Ich weiß nur, wo der Notausgang anfängt. Wo er aufhört, weiß ich ebensowenig wie Sie, weil ich offiziell nicht einmal ahnen darf, wo wir uns im Augenblick befinden — und ich habe auch keine Ahnung. Wir können nur hoffen, daß der Ausstieg zu einer Art Turm führt, weil wir wissen, daß wir fast zweihundert Meter unter der Erde sind und daß von oben irgendwie Salzwasser herunterkommt. Verstanden? Okay, ich öffne jetzt den Ausgang.«
Er wandte sich um und zog den schwarzen Hebel nach unten. Oberst Mabel Wallingford stand dicht hinter ihm, Oberst Griswold und Captain Kidley wiederum dicht hinter ihr.
Der Hebel bewegte sich zwei Zentimeter weit und blieb dann stecken. Stevens zog mit beiden Händen daran, bis er nur noch bis zu den Knien im Wasser hing. Oberst Mabel faßte ebenfalls an und machte einen Klimmzug an dem schwarzen Hebel.
»Halt!« rief Griswold plötzlich. »Wenn der Hebel klemmt, bedeutet das ...«
Der Hebel bewegte sich ruckartig zwanzig Zentimeter weiter nach unten. Kaum zwei Meter neben der kleinen Gruppe platzte die Tapete von der Wand, als eine schmale Eisentür aufflog. Im gleichen Augenblick schoß ein schwarzer Wasserstrahl mit hohem Druck aus der eben entstandenen Öffnung. Die vier Offiziere wurden voll getroffen und verloren sofort den Boden unter den Füßen.
Der Wasserstrahl strömte unvermindert rasch in den unterirdischen Bunker und füllte ihn innerhalb weniger Minuten, während die restliche Luft durch den Ventilatorschacht hinausgedrückt wurde. Die vier Lampen glühten noch kurze Zeit weiter, bis sie schließlich rasch nacheinander erloschen.
Margo und Clarence Dodd lehnten nebeneinander auf dem Geländer der Brücke, sahen zu den Hügeln hinauf und sprachen über die seltsamen Rauchwolken, die der leichte Morgenwind von Süden herantrieb. Sie verdunkelten die Sonne etwas und ließen ihr Licht rötlicher als sonst wirken.
»Vielleicht sind das nur Buschfeuer in den Bergen«, meinte der kleine Mann. »Ich fürchte allerdings, daß noch mehr dahintersteckt, Miß Gelhorn. Wohnen Sie in Los Angeles?«
»Ich habe einen Bungalow in Santa Monica gemietet, aber das ist kein großer Unterschied.«
»Haben Sie dort Familie?«
»Nein, ich lebe allein.«
»Das ist gut. Falls wir nämlich keinen Regen bekommen ...«
»Sehen Sie nur!« unterbrach Margo ihn und wies nach unten. »Das Flußbett ist plötzlich voll Wasser! Bedeutet das nicht, daß es in den Bergen geregnet hat?«
In diesem Augenblick kam Hixons Lieferwagen mit triumphierendem Hupen von einer Erkundungsfahrt an der Küste entlang zurück. Dicht hinter ihm fuhr ein gelber Schulbus mit etwa zwanzig Sitzplätzen. Die beiden Fahrzeuge hielten auf der Brücke an. Wojtowicz kletterte aus dem Bus. Er trug eines der beiden Gewehre in der Hand. Doc kam hinter ihm her, blieb aber auf der Treppe stehen, damit alle ihn sehen konnten.
»Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen die freudige Mitteilung machen, daß ich für Sie alle ein ausgezeichnetes Transportmittel beschafft habe«, rief er fröhlich. »Ich habe darauf bestanden, einen Blick auf den Monica Mountainway zu werfen — und dort stand dieser entzückende kleine Schulbus, als habe er nur auf uns gewartet. Er ist aufgetankt und reichlich mit keimfreier Milch und Sandwiches mit Erdnußbutter und Marmelade beladen. Machen Sie sich alle fertig, damit wir in fünf Minuten fahren können!«
Doc trat auf die Straße herab und ging auf das Brückengeländer zu. »Das dort unten ist nicht Regenwasser, sondern die Flut, Doddsy«, stellte er fest, als der kleine Mann fragend nach unten zeigte. »Sie brauchen nur einen Blick über das andere Geländer zu werfen, dann sehen Sie eine einzige ununterbrochene Wasserfläche, die bis China reicht. In unseren Tagen muß man eben auf Überraschungen dieser Art gefaßt sein. Sie haben das zweite Gewehr, Doddsy — deshalb fahren Sie mit den Hixons. Ida ebenfalls, damit sie sich um Ray Hanks kümmern kann. Ich kommandiere den Bus.«
»Mister Brecht«, sagte Margo, »wollen Sie jetzt den Monica Mountainway benützen?«
»Jedenfalls so weit wie möglich«, antwortete Doc. »Ich möchte erst einmal sechshundert Meter höher sein, wenn sich das irgendwie schaffen läßt. Und dann ...« Er zuckte mit den Schultern.
»Mister Brecht«, fuhr Margo fort. »Vandenberg drei liegt ziemlich am Ende der Bergstraße. Eigentlich sogar in unmittelbarer Nähe. Morton Opperly hält sich dort auf — er ist für die wissenschaftliche Seite des Mondprojektes verantwortlich. Meiner Meinung nach müßten wir uns mit ihm in Verbindung setzen.«
»Eigentlich gar keine schlechte Idee«, meinte Doc nachdenklich. »Er ist bestimmt vernünftiger als die Idioten in V-2 und freut sich vielleicht sogar über ein paar Rekruten, die nicht übergeschnappt sind. Ich bin auch dafür, daß wir in dieser kritischen Situation Anschluß an die besten Wissenschaftler suchen. Allerdings weiß vorläufig noch niemand, ob wir V-3 jemals erreichen — oder Opperly noch dort ist, wenn wir endlich ankommen«, fügte er schulterzuckend hinzu.
»Darüber brauchen wir uns jetzt noch keine Sorgen zu machen«, antwortete Margo. »Ich möchte nur, daß Sie mir helfen, wenn sich eine Gelegenheit bietet, mit ihm Verbindung aufzunehmen. Ich habe einen wichtigen Grund dafür, den ich allerdings vorläufig noch nicht erklären kann.«